Top-Story, Trend: 02.07.2015

IP-Special: Qvest Media, Daniel Url

Daniel Url ist Managing Director von Qvest Media, einem Unternehmen von Wellen+Nöthen. Wellen+Nöthen ist ein System- und Handelshaus für die AV- und Broadcast-Branche, das in den Bereichen Sales, Rental, System Integration sowie Service aktiv ist. Der Hauptsitz liegt in Köln, Niederlassungen und Schwesterunternehmen existieren in Berlin und Dubai. Im folgenden finden Sie die vollständige Version von Daniel Urls Antworten auf die Fragen von film-tv-video.de.

IP for Broadcast gehörte zu den Topthemen der vergangenen Messen. Was verstehen Sie unter IP-basierter Produktion?

IP-basierte Produktion wird oftmals gleichgesetzt mit Remote-Produktion. Remote-Produktionen sind jedoch kein neuer Trend in der Branche, sondern bereits seit Jahren etabliert. Im Rahmen solcher Produktionen werden aktuell meistens Setups eingesetzt, bei denen Video- und Audiosignale ausschließlich per IP »abgesetzt« werden.

Für uns bedeutet »IP-basierte Produktion« hingegen wesentlich mehr, als die reine Übertragung von IP-Signalen anstelle der herkömmlichen Verarbeitung mittels einer SDI-Infrastruktur. Ziel ist somit die Umsetzung ganzer Senderinfrastrukturen auf IP-Technologie. Dies bedeutet etwa den  Ersatz von SDI- durch IP-Komponenten wie Router, Controller, Videomischer, Multiviewer, Videoserver, Signalverteilung sowie die Nutzung von IP-Cloud-Services.

Im Ergebnis bergen IP-basierte Systemarchitekturen entscheidende Vorteile, wie zum Beispiel:

  • Kosteneffizienz: IP-basierte Systemlandschaften lassen sich zu spürbar geringeren Kosten umsetzen.
  • Multicasting: Multicast-Signale im gesamten IP-Netz, wodurch die SDI-Verteilung obsolet wird.  Mehrere Signale können über eine 10-Gbit-Verbindung durch Kompression — etwa 6 bis 8 x 1,5 Gbit HD, je nach Kompression — parallel übertragen werden.
  • Flexibilität: Vereinfachte Verkabelung, die, anders als eine HD-SDI-Verkabelung, keinen vergleichbaren Längenbeschränkungen unterworfen ist.
  • Software Services: Viele Anwendungen, die bislang auf Hardware, wie Modulen und Karten basierten, lassen sich künftig mittels Software und Backend Cloud Services realisieren.
  • Skalierbarkeit: Aufbau einer 4K-fähigen Senderinfrastruktur (4K komprimiert in 10-Gbit-IP).
  • User-basierte Distribution: Völlig neue Möglichkeiten in der Nutzerverwaltung für Videosignale.
  • Verschlankung: Zwischen Encoder auf der Kameraseite und Decoder auf Server-Seite sind keine Zwischenschritte mehr erforderlich, da neue Codecs die Generierung verschiedener Qualitätsstufen aus einem Stream erlauben.

Aktuell gibt es unterschiedliche Ansätze und Standards, wenn es um IP-basierte Übertragung geht, darunter SMPTE 2022 und AVB. Welchen Standard unterstützt ihr Unternehmen und warum?

Qvest Media und Wellen+Nöthen unterstützen klar den SMPTE-Standard, auch wenn wir die AVB-Technologie als sehr guten Ansatz schätzen. Die Industrie hat sich jedoch bereits mehrheitlich für SMPTE ausgesprochen.

Unserer Ansicht nach dreht sich die aktuelle Fragestellung daher eher darum, welcher Codec sich für die Datenkompression durchsetzen wird. Hier gibt es zur Zeit noch mehrere Lösungen am Markt, wenngleich sich zwei als tonangebend herauskristallisieren: LLVC, der unter anderem von einem breiten, von Sony angeführten Konsortium unterstützt wird, und TICO, für den sich unter anderem Grass Valley Belden ausgesprochen hat. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass diese Codecs nicht zueinander kompatibel sind. Das heißt, die gesamte IP-Produktionsinfrastruktur muss entweder auf LLVC oder TICO  — oder einem anderen Codec — basieren oder mit Bridge-Interfaces ausgestattet werden. Die Entwicklung der nächsten 12 Monate bleibt also spannen.

Weitere Herausforderungen, die es nach unserer Auffassung noch zu lösen gilt, sind außerdem:

  • Synchronisation bei hoher Netzwerklast. Im normalen IP-Netzwerk wird ein Paket einfach nochmals versendet. PTP – Precision Time Protocol.
  • Forward Error Correction (FEC) bei Paketverlusten bei SMPTE 2022-5
  • Redundanz mit Hitless-Failover bei SMPTE 2022-7
  • Security: Wie sieht das künftige Sicherheitskonzept von einem TV-Sender aus?
  • Leistungsüberbuchung von IP-Switchen: In der herkömmlichen Anwendungswelt von IP-Infrastrukturen lassen sich IP-Switche überbuchen. Dies ist für Video-Over-IP-Anwendungen jedoch nicht möglich.
  • Auch in Zukunft werden Siliziumprodukte notwendig sein, um Standard-Hardware zu nutzen (Encoder / Decoder, FEC, Netzwerksynchronisation/REF).

Welche Produktionsbereiche adaptieren nach Ihrer Einschätzung die neue IP-Technologie zuerst?

Das ist eine sehr gute Frage. Am ehesten vorstellbar sind solche Infrastrukturen zunächst in geschlossenen Produktionsumgebungen und Produktionsinseln, wie etwa einem Ü-Wagen. Hier würden die Vorteile klar überwiegen:

  • Geringe Verkabelung, da mehrere HD-Signale über eine 10-Gbit-Verbindung verarbeitet werden können
  • Multicast-Verteilung
  • Weniger Kupfer und daher verringertes Gewicht, was in einem Ü-Wagen sicher eines der Hauptargumente darstellt
  • Einfacher Aufbau der Infrastruktur

Allerdings wird sich die breite Nutzung von Video-Over-IP erst dann durchsetzen, wenn sie ebenso reibungslos funktioniert wie derzeit SDI. Kaum ein Ü-Wagen-Betreiber wird derzeit ein Produktionsrisiko eingehen.

Daher sind wir der Auffassung, dass ein neu zu bauender Sender die radikale Initialzündung für den Markt und den Wechsel auf IP sein könnte. Ebenso denkbar sind zunächst Produktionsinseln, die evolutionär auf IP-Technologie umgestellt werden und am Ende der Produktionskette zunächst noch SDI-Signale an die Sendeinfrastruktur übergeben.

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