Archivierung, Branche, Top-Story, Video: 22.07.2019

Schätze retten: Das Glockenbacharchiv

Back to the roots: Der Dokumentarfilm-Kameramann Hans Albrecht Lusznat kehrte zu seinen Wurzeln im Videobereich zurück. Das ruft Erinnerungen aus den 1970er-Jahren wieder — und es entstand ein veritables Restaurierungs- und Archivierungsprojekt.

Ein paar alte Magnetbänder umzukopieren kann ja wohl keine große Sache sein? Wenn die Bänder aber aus den 70er-Jahren sind, dann schon.



Glockenbacharchiv, © Hans Albrecht Lusznat
Am Schnittplatz wurde inhaltlich diskutiert, heute zersetzen sich die Tapes.

Eine erste Recherche zeigte, dass das Abspielen dieser Tapes nicht einfach möglich war. Die erste Hürde: Funktionierende Geräte für dieses Format sind heute nur noch sehr vereinzelt vorhanden.

EIAJ-1, Open Reel, historische Videobänder, © Nonkonform
Open Reel im Kunstsstoffschuber und ein zerfallender Kleber: Ursachen fürs »Sticky Shed Syndrom«.

Das nächste noch größere Problem: Bei diesen historischen Videobändern wurde ein bestimmter Kleber verwendet, mit dem die Magnetpartikel auf die Polyesterbasis aufgebracht wurden. Dieser Kleber verursacht nun offenbar Probleme, weil Zerfallsprozesse, die im Laufe der Zeit innerhalb der Magnetschicht vor sich gehen, Lösungsmittel ausdünsten. Das Band klebt dann in der Folge an den Führungsstiften und der Kopftrommel des Recorders fest. Dieses Phänomen nennen Archivexperten »Sticky Shed Syndrom«.

EIAJ-1, Open Reel, historische Videobänder, © Nonkonform
Das Sticky Shed Syndrom musste ausgetrieben werden.

Ohne Vorbehandlung gab es also keine Möglichkeit, die Bänder aus dem Glockenbacharchiv wieder abzuspielen. Das Sticky Shed Syndrom musste ausgetrieben werden und eine aufwändige Reinigung der Bandoberfläche war erforderlich.

Die Rettung
EIAJ-1, Open Reel, historische Videobänder, © Nonkonform
Die Bänder mussten in einem Klimaschrank schonend »ausbacken«.

Weitere Recherche ergab: Findige Tüftler haben eine empirische Methode entwickelt, die Bänder in einem Klimaschrank schonend zu »backen« und dann durch eine Reinigungsanlage zu schicken. Damit kann man die Klebeeigenschaft an der Oberfläche zeitweilig beseitigen.

Glockenbacharchiv, © Hans Albrecht Lusznat
Der Schnittplatz der Glockenbachwerkstatt.

Erfahrungen der Experten sagten: Frisch aufbereitet kann man ein solches Band — je nach Zustand — im günstigsten Fall zumindest noch einmal abspielen und es dabei digitalisieren. Entscheidend ist aber der tatsächliche Zustand der Bänder — die Uhr tickt bei historischen Tapes also immer weiter.

Anfang 2014 stellte Lusznat einen Förderantrag, um die Restaurierung der Glockenbach-Wochenschau zu finanzieren. Nach langem Hin und Her gelang es tatsächlich im Jahr 2018, Geld dafür aufzutreiben: Im Zusammenhang mit der 40-Jahr-Feier der Glockenbachwerkstatt und einer geplanten Veranstaltungsreihe bewilligte die Stadt München einen Zuschuss, das Glockenbacharchiv zu restaurieren.

Glockenbacharchiv, © Hans Albrecht Lusznat
Die Themen konnten von den Teilnehmern frei gewählt werden.

Durch den Zeitverlust seit 2014 hatte sich der Zustand der Bänder noch einmal wesentlich verschlechtert. Der Restaurator musste schließlich insgesamt über einen Zeitraum von drei Monaten an den Bändern arbeiten: besonders das vorsichtige, langsame Backen erforderte Zeit, erst dann konnte jeweils das Reinigen, Abspielen und Digitalisieren erfolgen.

Glockenbacharchiv, © Hans Albrecht Lusznat
Bürger aus dem Viertel konnten selbst Videobeiträge produzieren und in der Wochenschau der Glockenbachwerkstatt veröffentlichen.

Das Aufarbeiten und die Digitalisierung pro 30-Minuten-Spule kostete letztlich 100 Euro (Nettopreis).

 

Glockenbacharchiv, © Hans Albrecht Lusznat
Mitmachen war erwünscht.
Die Aufbereitung

Leider war unter anderem auch aus den Beschriftungen der Bänder nicht mehr zweifelsfrei zu erkennen, was wirklich darauf abgebildet war. Nach der Rettung der Aufnahmen steht nun noch das Sortieren und Aufbereiten. Im Verlauf des Jahres 2019 wird es öffentliche Vorführungen in der Glockenbachwerkstatt geben, und einen Eindruck kann man auch in Youtube gewinnen.


Ein Porträt über die Medienarbeit in der Glockenbachwerkstatt in den 70er-Jahren und Beispiele der Produktionen.

 

Die unten eingefügte Bildgalerie zeigt viele weitere Bilder aus der Glockenbachwerkstatt (alle Fotos: © Hans Albrecht Lusznat):

Seite 1: Einleitung, Technik und Gesellschaft, Alternative Medienarbeit
Seite 2: Medienarbeit, Glockenbacharchiv
Seite 3: Rettung, Aufbereitung, Videoclip

Keine Story mehr verpassen? Einfach hier den Newsletter abonnieren.