Editorial, Kommentar: 18.08.2016

20 Jahre Smartphone

Vom Einfluss des Smartphones auf die Medienwelt.

Vor 20 Jahren kam mit dem Nokia 9000 Communicator das erste Smartphone der Welt auf den Markt. Der Hersteller, der ja bekanntermaßen nicht wirklich von dieser Pionierleistung profitieren konnte, schuf damit die Grundlage für einen neuen Markt, dessen heutige Dimensionen zum damaligen Zeitpunkt wohl nur die wenigsten für möglich hielten. Mittlerweile besitzen drei von vier Deutschen ein Smartphone – und nehmen es durchschnittlich 88 Mal pro Tag in die Hand — sagt zumindest die Marktforschung. Wenn man in U-Bahnen, vor Sehenswürdigkeiten, im Restaurant, beim Sport, bei Events aller Art mal um sich schaut, erscheinen diese Zahlen aber durchaus realistisch.

Auf der Distributionsseite haben Smartphones schon lange erheblichen Einfluss auf unsere Branche. Ein Aspekt des Smartphones wirkt aber darüber hinaus: Jedes Smartphone bringt schließlich auch eine oder zwei Kameras mit — und das verändert zunehmend auch die Akquisitionsseite. Im Fotobereich spüren die Hersteller schmerzlich, dass Smartphones den Markt einfacher Fotokameras so gut wie ausgelöscht haben. Smartphones haben auch große Teile des Consumer-Videomarkts übernommen. Das kann man im Urlaub besonders schön beobachten: Kaum jemand nutzt noch dedizierte Videokameras, stattdessen filmen Smartphones alles und jeden — und das bevorzugt im Hochkant-Format.

Diese Entwicklung macht aber beim Consumer nicht Halt: Auch Profis nutzen verstärkt ihre Handys, um aufzunehmen. Im News-Geschäft etwa sind Smartphones mittlerweile schon zu einer festen Größe geworden: Ein bisschen hochgerüstet mit einem zusätzlichen Mikrofon und einer Halterung, lassen sich Beiträge am Ort des Geschehens per Smartphone schnell und vergleichsweise unkompliziert aufzeichnen – und bei Bedarf gleich zum Sender übertragen. Schneller und kostengünstiger geht es kaum. Meist werden Smartphones dabei als Ergänzung zum klassischen ENG-Equipment gesehen — aber wer weiß, ob und wie lange das so bleibt?

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Smartphone heute.

Ein anderer Aspekt: Sender verwenden immer öfter Material von Augenzeugen, die sich zufällig am Ort des Geschehens befanden. Dafür gibt es ganz aktuell ein in mehrerlei Hinsicht doppelbödiges Beispiel: Bei den Olympischen Spielen in Rio stürzte eine der von OBS genutzten Seilkameras in der Nähe der Carioca-Arenen aus 20 m Höhe ab, weil ein Seil des Systems gerissen war. Ein Besucher hatte den Absturz der Seilkamera zufällig mit seinem Handy gefilmt. Die Aufnahmen des Absturzes, bei dem mehrere Besucher verletzt wurden, konnte man schon kurz darauf in einem aktuellen Beitrag der ARD sehen. In der Mediathek kann man den Beitrag aktuell abrufen.

20 Jahre Smartphone haben nicht nur unsere private Kommunikation, sondern auch das TV- und Nachrichtengeschäft nachhaltig beeinflusst —  inhaltlich, wie technisch. Wie wird die nächste große Entwicklung aussehen, die dem Smartphone das Wasser reichen kann? In den Entwicklungslabors der Silicon-Valley-Riesen scheint man die Antworten darauf derzeit bevorzugt in den Bereichen Gentechnik, Hirnforschung und künstliche Intelligenz zu suchen.

Ob man diese Perspektive eher vielversprechend oder eher beunruhigend findet, ist natürlich eine Frage der persönlichen Einstellung.