Kommentar, Top-Story: 16.07.2002

Über-Lebenskünstler

Zugegeben: Der Branche geht es schlecht und das lässt sich auch nicht schön reden, selbst wenn nun hie und da wieder zarte Hoffnungspflänzchen aufkeimen. Die Serie der Pleiten und Insolvenzen reißt bislang nicht ab.

Da kann sich mitunter das Gefühl einschleichen, die ganze Medienbranche bestehe aus lauter empfindlichen Pflänzchen, die auch trotz intensiver Hege und Pflege stets kränkeln und nur mit Mühe vor dem Dahinwelken zu retten seien. Das stimmt natürlich nicht, denn etliche große wie kleine Unternehmen der Branche erfreuen sich bester Gesundheit, blühen und sprießen.

Zwei Beispiele aus der jüngeren Geschichte belegen zudem, dass auch ziemlich robuste Gewächse im Mediengarten wachsen, die selbst massive Fehlbehandlung wegstecken. Eins sei dabei noch vorausgeschickt: Diese beiden Beispiele wurden ausgewählt, weil sie besonders plastisch zeigen, was gemeint ist – dass es gerade im klassischen Broadcast-Umfeld noch zahlreiche andere Beispiele gibt, versteht sich von selbst.

So verkraftete Avid die viel zu teure Übernahme von Softimage, die mit einem Preis von 280 Millionen Dollar in keinem Verhältnis zu dem steht, was der Erwerber dafür erhielt. Entwicklungsgeld in stattlichem Umfang wurde davor schon für das Unix-Effektsystem Media Spectrum verbrannt. Gleiches gilt für das zugekaufte, zunächst weiter entwickelte und dann eingestellte Media Illusion. Auch der Ausflug in den Akquisitionsmarkt, mit dem direkt an Kameras andockbaren Diskrecorder Camcutter, hinterließ seine Spuren. Zählt man noch das Hin und Her auf der Organisationsebene mit Tektronix, Grass Valley, Avstar und iNews dazu, dann lässt sich mit einiger Berechtigung sagen, dass das Unternehmen auf dem Weg in nun wieder ruhigeres Fahrwasser wirklich schon satte Tiefschläge wegsteckte: Aber Avid ist immer noch da, das Geschäft läuft wieder besser als im ersten Quartal und die Perspektiven stimmen.

Auch Discreet passt in diesen Themenzusammenhang. Einst kaufte man von D-Vision eine Schnitt-Software, die man dann mit anderen zugekauften Softwares anreicherte, dann unter dem Namen Edit mit viel Marketingpower vertrieb und dieser Tage einfach wieder abkündigte. Der Ausflug ins Thema Virtual Sets stand ebenfalls nicht unter einem glücklichen Stern und hinterließ außer heftigen Kosten und einigen unglücklichen Kunden nur wenig Erwähnenswertes. Das nicht gerade als Schnäppchen erworbene On-Air-Grafiksystem Frost gibt es mittlerweile ebenfalls nicht mehr. Bei den angestammten Produkten aus dem Effekt-Editing-Bereich und aus dem Animationssektor stimmen dagegen Reputation wie auch das Produkt-Portfolio.

Wie gesund muss der Kern eines Unternehmens sein, wie gut müssen sich die anderen Produkte verkaufen, damit solche Episoden nicht ins Aus führen? Da darf man durchaus von einer gewissen Robustheit sprechen.

Um nochmal zum eingangs aufgebauten Bild zurück zu kehren: Im Gartenbau werden beim Baumschnitt gezielt Äste und Triebe entfernt und zurück geschnitten, auf dass der Baum gekräftigt werde und reichlich Früchte trage. Vielleicht funktioniert das ja auch in der Medienbranche so. Bei den genannten Beispielen ist es jedenfalls so, denn bei ihnen ist der Baum selbst gesund – auch wenn der eine oder andere Trieb zu sehr wucherte. Sie werden sehen.

Autor
C. Gebhard, G. Voigt-Müller
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