Editorial, Kommentar, Top-Story: 05.05.2012

Menetekel — oder doch nicht?

Als der babylonische Kronprinz Belsazar ein Festmahl hielt, soll an einer Wand eine geheimnisvolle Schrift erschienen sein, die niemand zu deuten wusste: das Menetekel. Diese biblische Geschichte regte Rembrandt, Händel, Rossini, Heine und Schumann zu künstlerischen Bearbeitungen dieses Stoffs an. Zwar ist letztlich bis heute ist eine klare Deutung der Worte »mene mene tekel uparsin« unklar, weil aber Belsazar in der Nacht nach der Erscheinung getötet wurde, gilt das Menetekel als Unheilsverkündung, Mahnruf und böses Vorzeichen.

Natürlich kann man, je nach Stimmung und Veranlagung, jederzeit und überall böse Omen erkennen und hineindeuten. So kündigte etwa Harris dieser Tage an, die Broadcast-Division des Unternehmens verkaufen zu wollen. Der Grund für diesen Schritt: Der Broadcast-Bereich von Harris wachse zu langsam und erwirtschafte zu geringe Erträge. Harris musste als Gesamtkonzern in den vergangenen Jahren Wertverluste hinnehmen und will sich deshalb wieder enger fokussieren. Der neue CEO des Unternehmens hat deshalb begonnen, alles abzustoßen, was nicht mit entsprechenden Zahlen zu einer signifikanten Ergebnisverbesserung beiträgt.

Dem Vernehmen nach herrschte unter den großen Harris-Aktionären schon länger Unmut über die Bilanz der Broadcast-Division, in die das Unternahmen für Firmenübernahmen (etwa Encoda Leitch, Zandar) und den Ausbau der Vertriebsorganisation etliches Geld gepumpt hat. Auch wenn die Broadcast Division von Harris aus Sicht der Broadcast-Branche ganz gut dasteht und sich in dem hier herrschenden schwierigen Marktumfeld recht gut geschlagen hat, kann man die Entscheidung der Harris-Konzernleitung auch als Signal werten, dass der Broadcast-Bereich von den Investoren — zumindest auf der Ausrüsterseite — nicht mehr als besonders gewinnträchtig betrachtet wird. Dabei stellt sich natürlich auch die Frage des Maßstabs: Vielleicht sind auch die geforderten Wachstumsraten und Ertragszahlen, die in den Chefetagen von Firmen wie Harris und auch vielen anderen, einfach überzogen und nicht dauerhaft erreichbar?

So oder so: Der TV-Markt wird sich weiter verändern — auf der Ausrüster-, wie auf der Programmanbieterseite. Entwicklungen wie das Streben nach mehr Effizienz, nach vielfachen Verwertungsmöglichkeiten der Inhalte und nach günstigeren Produktionsmethoden, das sind nur ein paar wenige Belege für diesen Prozess.

War es etwa früher üblich, im technischen Bereich stets einen gewissen Headroom einzuplanen und höchste Qualitätsanforderungen zu stellen, so wird hier heute in immer mehr Fällen massiv gespart und nur noch das angeschafft, was unbedingt nötig ist und gerade noch gut genug.

Parallel dazu finden Entwicklungen statt, die für die TV-Technik nicht eben günstig sind: Die Sender geben immer größere Anteile ihrer Geldmittel dafür aus, um quotenträchtige Sportrechte und bekannte Gesichter für ihre Stationen zu kaufen, statt in Qualität auf der inhaltlichen und technischen Seite zu investieren. Hinzu kommt, dass etwa vom Gebührengeld, das bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ankommt, immer weniger tatsächlich für die eigentlichen Aufgaben zur Verfügung steht. Einen Hinweis gibt etwa ein Zitat aus einem älteren KEF-Bericht: »Die betriebliche Altersversorgung bleibt mit einem Gesamtvolumen von rund 2,2 Milliarden Euro im Gebührenzeitraum 2009-2012 von erheblicher Bedeutung für den Finanzbedarf der Rundfunkanstalten«. Auf deutsch: Rund 16.000 frühere Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Sender erhalten im Durchschnitt rund 1.500 Euro Betriebsrente monatlich — zusätzlich zu ihrer gesetzlichen Rente. Dieser Anteil der von der GEZ eingezogenen Rundfunkgebühren kommt also niemals im Programmbereich an.

Zurück zum Menetekel: Dessen letztgültige Deutung ist ja, wie schon erwähnt, immer noch unklar — und Belsazar wurde schon mehr als 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung ermordet. Vielleicht ist deshalb eher das Motto »Back to Business« angesagt.

Sie werden sehen.

P.S.: Apropos Schriftzeichen an der Wand — hier gab es dieser Tage einen interessanten Austausch, denn aus dem weltberühmten, oscar-geschwängerten »Kodak Theatre« wurde das »Dolby Theatre«. Darin kann man natürlich ebenfalls ein Menetekel sehen.