Editorial, Kommentar, Top-Story: 24.04.2009

Workflow statt Produkte

Begriffe wie Workflow und Interoperabilität gehören schon seit vielen Messen zum Grundwortschatz praktisch aller Aussteller, von denen viele allem Anschein nach keine Produkte mehr verkaufen wollen, sondern »Solutions«. Mit jeder Messe wurde es in den vergangenen Jahren wichtiger, Workflows, Solutions und Interoperability zu betonen. Wie kommt das?

Vielleicht liegt die Wurzel darin, dass es früher als normal galt, eine Kassette aus dem Camcorder zu nehmen, in den Recorder einzulegen, sie dort abspielen und schneiden und dann vom gleichen Kassettentyp auch den Beitrag auf Sendung geben zu können. Interoperabilität galt als Grundvoraussetzung, nicht als besonderes Feature.

Dass Autos von VW ebenso mit Benzin von Shell, Aral oder Jet fahren können, wie die von BMW, Audi und Mercedes, setzt man einfach voraus. In der modernen Broadcast- und Videowelt gilt das aber nicht mehr. Weil also der Workflow und die Interoperabilität ein immer größeres Thema wurden, blieb für die Beschäftigung mit einzelnen Produkten leider immer weniger Zeit. Sie traten im Gegenteil in vielen Bereichen immer mehr in den Hintergrund.

Während der NAB2009 manifestierte sich dieser Trend erneut: Mehr denn je steht der Workflow im Vordergrund der Präsentationen der meisten Aussteller. Mehr noch, in vielen Gesprächen während der Messe geht es in erster Linie darum, einen Ablauf zu finden, der insgesamt funktioniert, die einzelnen Produkte werden dabei wie Bausteine betrachtet, die man zur Not auch gegen andere, ähnliche austauschen kann. Womit sollen die Cutter schneiden? Final Cut? Avid? Mit einer anderen Software? Lassen Sie uns einfach das nehmen, was unser Problem löst. Detaillierte Spezifikationen? Nun ja.

In diesem Punkt hat sich in der Branche einiges verändert. Der Schritt weg von der analogen eher hardware-orientierten, in die digitale, eher software-zentrierte Welt hat diesen Prozess letztlich wenn nicht angestoßen, so doch beschleunigt. Vom produktlastigen Herangehen hat man sich entfernt — was durchaus Vorteile hat, aber eben auch klare Nachteile — die etwa auch in unschönen Kompromissen Niederschlag finden können.

Oft liegen mittlerweile allerdings die Produkte einer bestimmten Kategorie auch so nah beieinander, dass die Kunden leidenschaftslos bleiben und sich schwer tun, noch große Unterschiede zu erkennen. Konkretes Beispiel: Wer einen neuen Server kauft, wird zumindest auf dem Papier keine großen Unterschiede zwischen den einzelnen Produkten der gleichen Preisstufe erkennen — wohl aber in der Art und Weise, wie sich der jeweilige Server in eine bestehende Infrastruktur einbinden lässt, wie offen er ist, wie tief seine Integrationsfähigkeit — und nicht zuletzt, ob die Service- und Support-Leistungen des Anbieters passen.

Gleichzeitig sind neue Workflows eben oft noch gar nicht, oder nicht ausreichend erprobt. Dann harzt und knarzt es in der Praxis und die Leidenschaftslosigkeit hat vielleicht zur Folge, dass man sehr, sehr ineffektiv arbeitet. Also wäre es schön, wenn man auch Workflows schon im voraus vergleichen könnte.

So schließt sich der Kreis zur NAB, denn die Messen brauchen, so wie sie derzeit gestrickt sind, eher Produkte, als Workflows, um funktionieren zu können. So besteht eine der Herausforderungen für die Messen vielleicht darin, künftig nicht mehr hauptsächlich Plattform für Produktvorstellungen zu sein, sondern Plattform für den Vergleich von Workflows.

Sie werden sehen.