Branche, Broadcast, Live, Top-Story: 08.12.2012

Remote Production: Die Zukunft?

Die Olympischen Spiele in London markierten den Beginn neuer Distributionskanäle bei der Übertragung von Groß-Events: Broadcaster nutzten die Online-Berichterstattung so intensiv wie nie zuvor. Auch in anderen Bereichen testeten Fernsehsender neue Wege und experimentierten mit Remote Production. film-tv-video.de hat sich mit Dieter Thiessen vom NDR über neue Produktionsherausforderungen unterhalten.

Für den Erwerb der Übertragungsrechte von Sport-Events wie Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften bezahlen Broadcaster mittlerweile hohe Summen. Doch nicht nur die Rechte schlagen zu Buche, auch die Übertragungskosten sind hoch (wenngleich sie im Vergleich zu den Rechtekosten fast schon bescheiden wirken). Bei Großproduktionen muss schließlich eine Vielzahl von Mitarbeitern vor Ort sein und produzieren. Umfangreiche Technik muss an den Veranstaltungsort transportiert und dort mehrere Wochen vorgehalten und betrieben werden. Das ist unter dem zunehmenden Kostendruck, unter dem Broadcaster weltweit stehen, immer schwieriger umzusetzen.

Vor diesem Hintergrund suchen Fernsehsender nach alternativen und vor allem günstigeren Produktionsmethoden – und experimentieren mit Remote Production. Was sich jeweils genau hinter diesem Begriff verbirgt, das wird ganz unterschiedlich definiert, die Grundidee ist aber immer gleich: Am Veranstaltungsort ist nur noch ein kleines Team präsent, das überwiegend aus Reportern und Moderatoren besteht, während das Gros der Produktionsteams aus Produktionsverantwortlichen, Technikern und Redakteuren am Heimatstandort bleibt und dort mit der gewohnten, bestehenden Infrastruktur das Rohmaterial verarbeitet, das am Veranstaltungsort akquiriert und/oder vom Host Broadcaster zur Verfügung gestellt wird. So attraktiv diese Art der Produktion aus Kostensicht scheinen mag, so viele Herausforderungen birgt sie.

»Wenn man das Material von den Venues zu den Heimatredaktionen schicken möchte, muss man zunächst in die nötige Übertragungstechnik investieren«, sagt Dieter Thiessen,  technischer Leiter in der Außenproduktion beim NDR, und ergänzt: »Zudem muss man auch am Heimatstandort die nötige Infrastruktur bieten können, was ja in vielen Fällen auch schwierig wird: Kein Sender hält permanent eine große Infrastruktur vor, die er nur während der Zeit der Groß-Events braucht. Also baut man bei realistischer Betrachtung die notwendige, zusätzliche Technik eben nicht am Veranstaltungsort, sondern zuhause auf. Man spart also — plakativ gesagt — nur die Reise — und möglicherweise Transportkosten, aber hat dafür mehr Ausgaben um das Rohmaterial in die Heimat zu übertragen. Das kann sich in manchen Fällen rechnen, in anderen aber auch nicht.«

In Deutschland, wo innerhalb der ARD ganz unterschiedliche Sender die jeweiligen Groß-Events gemeinsam mit dem ZDF realisieren, ist es zudem gar nicht so einfach, einen zentralen Standort zu definieren: Entweder muss die Mannschaft des einen als Gast beim anderen Sender arbeiten, oder man muss die ankommenden Signale  aufwändig verteilen. »Bei den meisten Sendern innerhalb der ARD wird es schwierig, in den Heimatredaktionen aus dem Stand die passende technische und räumliche Infrastruktur zu bieten«, erläutert Dieter Thiessen.

Aus seiner Sicht muss man deshalb andere Wege finden, um Remote Production in kleineren Projekten zu testen, bevor man sie bei großen Events einsetzt: »Im Kleinen anfangen und Erfahrung Sammeln und dann aufs Große übertragen«, so Thiessen. »Dabei muss man letztlich immer abwägen, was man riskieren kann, denn als Dienstleister des Programms muss die Technik sicherstellen, dass die Produktion  einwandfrei läuft«, so Thiessen. Gerade in den Testphasen müsse man deshalb eben auch mal eine Produktion doppelt abdecken, also mit zweigleisiger Technik fahren.

Was weltweit betrachtet an Remote Production schon umgesetzt wird, hängt aus Thiessens Sicht weniger davon ab, was technisch möglich ist, sondern davon, wie die Workflows der Sender aussehen und wie sie ihr »normales« Programm produzieren. In Kanada etwa werde in der Wintersaison sehr viel Eishockey produziert, und dabei kämen schon heute ähnliche Workflows zum Einsatz, wie sie Remote Production erfordere. »Solche Broadcaster, die ausschließlich Sport produzieren, tun sich natürlich leichter, diese Arbeitsweise auch bei großen Events umzusetzen«, so Thiessen: »Wenn in Kanada ein Event realisiert wird, der außerhalb der Eishockey-Saison stattfindet, kann dort die Technik und der Workflow genutzt werden, die schon bereitstehen.«

Vielleicht kann man es vereinfacht so formulieren: Remote Production lässt sich nicht wie eine neue Gerätegeneration einführen, weil sie viel mehr als andere Technologien die individuellen Workflows eines Senders berücksichtigen muss.

Eine ähnliche Herangehensweise hält Thiessen auch in anderen Bereichen für sinnvoll, in denen derzeit neue Technologien einziehen: »IT ist in der Außenübertragung Alltag, und auch IP-Technologien werden mehr und mehr kommen«. Schon heute nutzt der NDR vorhandene Ü-Wagen-Technik, um bestimmte Events per Live-Streaming zu begleiten. »Wenn wir beispielsweise bei einem Basketballspiel mit der Technik ohnehin vor Ort sind, um einen Beitrag zu produzieren, können wir auch das gesamte Spiel gleich noch fürs Live-Streaming, also für die Online-Auswertung mitnehmen«.

In dieser Richtung werde man verstärkt aktiv werden, ist sich Thiessen sicher. Aktuell gehe es letztlich darum, aus all den neuen Verwertungsformen und –kanälen wie Online, HbbTV. Live-Streaming sowie die Versorgung von Second Screens und Mobilgeräten, Stück für Stück die passenden Workflows zu finden und zu etablieren und auch die Mitarbeiter auf dieser Reise mitzunehmen, denn »die Produktionszyklen werden immer kürzer, und da ist es essenziell, die Mitarbeiter immer wieder  mit einzubinden«, bilanziert Thiessen.