Branche, Top-Story, Trend, Unternehmen: 06.04.2017

Arri: Ein ganzes Jahrhundert Bilder

Im Gespräch: Die Arri-Vorstände Franz Kraus und Dr. Jörg Pohlman über 100 Jahre Arri, die Zukunft der Kamera- und Lichttechnik – und Aus­blicke für die gesamte Filmbranche.





film-tv-video.de: Die Innovations­geschwindigkeit hat sich erhöht. Aktuell werden viele neue Entwicklungen diskutiert: höhere Auflösung, HDR, HFR oder 360-Grad-Aufnahmen beschäftigen den Markt. Wie ist Arris Haltung hierzu?

Franz Kraus: Vieles davon ist von den Entwicklungen bei den Consumer-Displays getrieben. Plötzlich gibt es Produkte – etwa Oled-Displays – mit denen man neue, realitätsnahe Bildeindrücke vermitteln kann. Die Endkunden möchten diese Qualität auch im Bewegtbild sehen.

Aktuell können die Konsumenten zwar bessere Qualität in puncto Auflösung und Kontrast wahrnehmen und greifen zu größeren Displays, es treten dann aber auch unangenehme Effekte hervor, die vorher eher untergingen: Shutter- und Blurring- Effekte etwa. Was muss man also tun? Will man hohe Kontraste und hohe Detailauflösung wiedergeben, so muss man auch die Framerate in die Überlegungen einbeziehen.

Arri, Kraus
Franz Kraus: »HFR wird aktuell in der Branche eher ablehnend diskutiert.«

Das wird aktuell in der Branche aber eher ablehnend diskutiert, etwa auch in Bezug auf die HFR-Projekte von Peter Jackson und Ang Lee.

Ang Lees HFR-Film »Die irre Heldentour des Billy Lynn« ist von der technischen Qualität her absolut überzeugend. Aber viele Leute hatten den Eindruck, dass hier die Mystik und Magie des Films verschwinden. Es gab darüber viele Debatten, die für uns als Hersteller sehr interessant waren. Wir müssen erkennen, in welche Richtung sich die Erwartungshaltung von Filmemachern, wie auch Konsumenten weiterentwickelt.

Aber eines ist meiner Meinung nach sicher: HFR wird kommen. Die Frage ist nur, ob es zunächst im Film- oder im TV-Bereich einzieht. Im Augenblick sieht es danach aus, dass der TV-Bereich vorangeht. Höhere Frameraten können etwa im Sport sehr interessant sein. Schade wäre nur, wenn sich Ang Lee bei seinem nächsten Projekt der Broadcast-Technologie bedienen müsste.

Generell spüren wir jedenfalls viele Vorbehalte, auch beim Thema HDR. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir aktuell eine Phase der Transformation durchleben, vergleichbar mit der des Übergangs vom Stumm- zum Tonfilm.

Es reicht nicht, einfach nur mit höherer Auflösung, höherer Framerate oder höherem Kontrast so wie bisher zu drehen. Nun, da die Technik bereitsteht, sind die Kreativen, die Regisseure, Kameraleute und Produzenten gefordert. Den Shortcut, eines nach traditionellem Rezept hergestellten »one fits all« Filmes, den sich angesichts solcher Veränderungen viele wünschen, auch die Hersteller, den wird es meiner Meinung nach nicht geben.

film-tv-video.de: Was bedeutet das in letzter Konsequenz für die Kameraentwicklung?

Arri Kraus
Franz Kraus: »Wird es künftig Filme geben, die nicht mehr über selektive Tiefenschärfe die Aufmerksamkeit des Zuschauers lenken?«

Franz Kraus: Wird es künftig Filme geben, die nicht mehr über selektive Tiefenschärfe die Aufmerksamkeit des Zuschauers lenken? Bei denen alles, wie in der Realität, gleichermaßen scharf abgebildet wird?  Das scheint ein absolutes »No No« für viele DoPs zu sein, zu deren Aufgabe das Zeigen, wie das Verbergen gehört. Soll alles gezeigt werden, so muss jedes Bildelement Realqualität bieten. Das zieht viele Diskussionen kreativer wie budgetärer Art nach sich, aber heute ist die Technik so weit, dass sich eine neue Filmsprache entwickeln kann. Das ist ein Prozess, der länger dauern wird – aber wir müssen darauf vorbereitet sein.

Dr. Jörg Pohlman: Am Ende stellt sich die Frage, ob sich diese Ästhetik durchsetzen wird. Will ein Schauspieler wirklich, dass man bei der Nahaufnahme jede Falte sieht? Darum ging es auch in der Diskussion um Ang Lees Film, als manche sagten: „Das ist schon real, aber möchte ich das sehen?“

Das ist eine spannende Frage und dass es durchaus unterschiedliche Sichtweisen gibt, kann man schon daran ablesen, dass es tolle digitale Kameras gibt, vor die dann ein Objektiv geschraubt wird, das 30 Jahre alt ist und im Grunde genau den gegenteiligen Effekt hat.

Ein anderes Beispiel: von den Filmen, die für den Oscar nominiert waren, wurden drei noch analog gedreht. Man darf also auch das Medium Film nicht abschreiben.

film-tv-video.de: Ist 360-Grad-Technik auch für Arri ein Thema?

Arri, Pohlman
Dr. Pohlman: »Es gibt eine Nachfrage für 360-Grad-Systeme, die eine hohe Bildqualität bieten.«

Dr. Jörg Pohlman: Definitiv. Es gibt eine Nachfrage für 360-Grad-Systeme, die eine hohe Bildqualität bieten. Viele Anfragen dafür gibt es zum Beispiel aus der Industrie. Wir glauben aber, dass es nicht nur eine Kamera, sondern auch vernünftige Software und gut funktionierende Workflows für 360-Produktionen geben muss. Deshalb arbeiten verschiedene Abteilungen innerhalb unseres Hauses interdisziplinär an diesem Thema.

Seite 1: Was bringen 100 Jahre Tradition?
Seite 2: Divisionen, Vertriebsveränderungen
Seite 3: HDR, HFR, 360-Grad
Seite 4: Licht, Innovationsgeschwindigkeit
Seite 5: Zukunftstrends

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller

Bildrechte
Arri (3), Tom Fährmann (3), Nonkonform (4), Archiv (5)

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