Audio, Branche, Broadcast, Studie: 23.09.2019

DAB+ überraschend stark im Kommen

DAB+ überrascht: Mitte 2019 verfügen 22,7 Prozent der deutschen Haushalte über mindestens ein DAB+-Radiogerät im Heim oder Auto.

Der Rekordanstieg um 34 Prozent ist die wesentliche Erkenntnis des Digitalisierungsberichtes Audio 2019. In zwei weiteren Bundesländern bereiten Privatradios den Sendestart vor.

Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt, Brema, Porträt © Annette Koroll
Cornelia Holsten, Direktorin der Brema.

Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt Brema, hob bei der Berichtsvorlage der Medienanstalten am Digitalradiotag der Internationalen Funkausstellung den »gewaltigen Sprung nach vorne« hervor, den der digitale Hörfunk im letzten Jahr gemacht hat. »Der Point of no Return zur Volldigitalisierung ist überschritten«, so Holsten weiter, denn die Netto-Digitalisierungsrate stieg um 5 auf 58 Prozent. Dass DAB+ den »Sprung« entscheidend beeinflusst hat, steht außer Frage. Zum Vergleich: Die Haushalts-Ausstattung mit IP-Radios wird mit rund 12 Prozent angegeben – nach einem Anstieg um 1 Prozent.

DAB+ in den Bundesländern: Zuwächse bis 55 Prozent.

Beim Trend zur digitalen Terrestrik halten unerwartet die bisherigen »Stiefkinder« in Sachen DAB+ weitere Überraschungen bereit: Bundesländer, wo es auf oder unterhalb der Landesebene keine Privatradios über DAB+ gibt, haben den Trend überdurchschnittlich befeuert. Der höchste Zuwachs beim Gerätebestand bringt Niedersachsen nahe an den Bundesschnitt. Der dortige Landtag hatte im Juni die Landesregierung aufgefordert, die weitere Finanzierung der »Übergangstechnologie« DAB+ aus dem Rundfunkbeitrag zu verhindern – zugunsten des 5G-Mobilfunks. An der parlamentarischen Lobby vorbei stieg die Haushaltspräsenz von DAB+ von 14,1 (2018) um 55 auf nunmehr 21,8 Prozent. Dass der Landtag 5G mit der Bemerkung verbindet, Radio »muss da empfangbar sein, wo die Hörer sind« erweist sich schon wegen der löchrigen Versorgungsplanung für den neuen Mobilfunk als Widerspruch in sich.

Als einziger Ausspielweg des Radios konnte DAB+ seine Tagesreichweiten erhöhen.

Ähnlich unerwartet positiv ist die Entwicklung in NRW, wo die gesetzlich vor Wettbewerbern geschützten UKW-Ableger der Lokalpresse DAB+ jahrelang blockiert haben. Für den überregionalen Einsatz wurden dort zwei Abdeckungen beantragt. Für das bevölkerungsreichste Bundesland melden die Statistiker nunmehr DAB+-Radios in 21,3 Prozent der Haushalte – das liegt erstaunliche 50 Prozent über dem Vorjahreswert.

DAB+, Werbung
DAB+ wird schon länger in der Werbung penetriert.

Konsequente Unterstützung: Bayern ist DAB+-Primus

Trotz eines Wachstums von »nur« 33 Prozent schreibt sich Bayern wieder als Primus in den 2019er Ländervergleich zur DAB+-Ausstattung. Der Freistaat holt mit seinem Sendenetzkonzept und Fördermitteln bis 2020 alle Lokalradios parallel zu UKW auf DAB+. 29,7 Prozent der Haushalte nehmen das digitale Angebot an. Auf den Plätzen folgen Sachsen (26 Prozent) und Baden-Württemberg (24 Prozent).

Stark mitbestimmt wurde der aktuelle Trend durch die Autoindustrie. »Fast die Hälfte aller Neuwagen rollen inzwischen mit DAB+ Radio vom Band, Tendenz weiter steigend«, zieht das (Lobby-) Digitalradiobüro aus dem Digitalisierungsbericht heraus. Die Zahl der DAB+-Autoradios wuchs 2018/2019 um rund 50 Prozent bzw. 2,2 Mio. Stück auf 6,6 Mio.

Seit 2015 ging der Bestand von »nur UKW«-Autoradios um 15 Prozent zurück. Gewinner im Kfz ist DAB+; IP-Radio ist eine Randerscheinung in Kombi-Empfängern.
DAB+, Logo
»Point of no Return«: Bei DAB+ erreicht?

An DAB+ kommen Privatradios nicht mehr vorbei

Schon am Vortag der Veröffentlichung war Vaunet, der Interessenverband vieler Radio-, TV- und Telekom-Firmen, von seiner Fundamentalopposition zu DAB+ etwas abgerückt. Obwohl UKW noch lange die Basis des Privatradiogeschäfts bestimme, »steigt die Relevanz auch von DAB+ als digitaler Übertragungsweg«, wird der Markt zur Kenntnis genommen. Der Trend wird aber weiter einer Art politischer Fernsteuerung zugeordnet: DAB+ habe jetzt »politisch den ‚point of no return‘ überschritten«. Nun wolle man sich an der Werbung für DAB+ beteiligen, sofern die Radiokreise des öffentlich-rechtlichen Hauptfeindes beschränkt werden. Neuerdings bringt Vaunet eine dreijährige Übergangsphase ins Gespräch. Diskutiert werden soll das aber erst, wenn nur noch 10 Prozent der Hauptzielgruppe tagsüber UKW einschalten. Dazu wurde eine halbe Milliarde Euro als Infrastrukturförderung gefordert. Damit den letzten nicht die Hunde beißen?

Das Digitalradiobüro verweist dazu darauf, dass rund 65 Stationen exklusiv über DAB+ senden und dieser Verbreitungsweg sein Vielfaltsversprechen einlöst. Interessant ist, dass sich unter den weiteren rund 200 zumeist landesweiten oder regionalen DAB+-Stationen zahlreiche Vaunet-Mitglieder finden. Prominent: Radio Regenbogen, dessen Geschäftsführer Klaus Schunk dem Radiobereich von Vaunet vorsitzt.

Den Endkunden soll DAB+ schmackhaft gemacht werden. Politisch ist eh schon alles gelaufen.

Politisch gewollt?

Die Blockade der Privatradios in einigen Bundesländern hat die gestalterische Mitwirkung der Politik verhindert und von Förderungen war daher keine Rede. Jetzt üben sich beide Seiten im Umgang mit dem Unvermeidlichen. Im Gegensatz zu 5G schafft die Politik für DAB+ die Fakten aber erst, nachdem es sich als nicht rückholbar erweist.

Sicherlich ist DAB+ auch politisch erwünscht. Vor dem Erfolg von DAB+ hatte es Vaunet nicht gestört, dass ARD und Deutschlandradio, finanziert aus dem Rundfunkbeitrag, sich an der Entwicklung des Sendestandorts beteiligten und dann – unter Inkaufnahme der Widrigkeiten des vorherigen DAB-Standards – die Akzeptanz für DAB+ bei den Hörern aufbauen mussten. Das hatte auch damit zu tun, dass DAB und DAB+ in Europa und mit Fördermitteln aus dem europäischen Förderprogramm Eureka 147 bis zur Standardisierung vorangetrieben wurde.

Das Einlenken von Vaunet kommt zudem zu einem Zeitpunkt, wo auch Europa und der Bund sich der Radiodigitalisierung annehmen. Seit Dezember 2018 schreibt die Neufassung des European Electronic Communications Code (EECC) den Kfz-Herstellern vor, die Autoradios ihrer Neuwagen mit UKW und Digitaltunern auszuliefern. Die 6. Novelle des deutschen Telekommunikationsgesetzes soll das noch vor Jahresende übernehmen und zwar erweitert: Auch alle sonstigen Radios mit Klartext-Anzeige des Programmnamens sind ab 2021 mit einem hybriden Tuner auszuliefern. Das ist kein Problem, denn im Handel ist das längst Alltag: Fast alle DAB+-Radios empfangen zugleich UKW und die meisten zeigen den Sendernamen im Display.

Digitaler Privatwellenschlag bald auch für das Saarland und Schleswig-Holstein

Die Grafik von Media Broadcast zeigt die geplante Versorgung des Bundesmuxes Ende 2019.

Trotz Vorbehalten à la Vaunet engagieren sich immer mehr private Radiostationen für DAB+. Die Saarland-Medienanstalt LMS gab am 13. September 2019 den Startschuß für eine neue landesweite DAB+-Plattform. Bemerkenswert: Erstmals einigten sich zwei Konkurrenten über ein gemeinsames Vorgehen. Zwar wird Divicon Media die Plattform betreiben. Das Unternehmen vereinbarte aber die Mitbenutzung von Antennen des anderen Bewerbers Media Broadcast. Der Deal hilft dabei, die Kosten in Grenzen zu halten, hebt die LMS hervor. Die Plattform soll mit zunächst zehn Programmen binnen sechs Monaten starten.

In Schleswig-Holstein soll noch vor Jahresende ein erster von drei lokalen Multiplexen mit je acht Stationen auf Sendung in Lübeck gehen und R.SH wird ab dem 1. Quartal 2020 im NDR-Multiplex landesweit mitverbreitet.  In Thüringen ist die Ausschreibung einer landesweiten Senderkette für Privatradios angekündigt. Die Medienanstalt HSH will dem Interesse für einen zweiten privaten Multiplex für Hamburg nachkommen.

Frequenzen, Bundesmuxe, Nutzungsdaten

Eng könnte es jedoch mit Frequenzen werden. Einige der 2011 für Deutschland reservierten, aber wegen der Blockadepolitik ungenutzte Ressourcen, mussten ans Ausland oder benachbarte Bundesländer abgegeben werden. In der Folge sind Pläne für regionalisierbare Sendetze für NRW und Thüringen möglichweise nicht oder nur eingeschränkt machbar.

Der nationale Multiplex wird laut dem Plattformbetreiber Media Broadcast bis Jahresende von 124 auf 137 Senderstandorte erweitert. Damit »steigt die Flächenversorgung auf 98 Prozent, auf deutschen Autobahnen nach den Netzausbauplänen von Media Broadcast auf über 99 Prozent«. Über 91 Prozent der Bevölkerung können die vier Deutschlandradios und neun Privatsender inhouse empfangen. Wann der zweite nationale DAB+-Multiplex auf Sendung gehen kann, unterliegt aufgrund eines Rechtsstreits jedoch der Spekulation.

Die ARD-Anstalten, von Anfang an – quasi in öffentlichem Auftrag – dabei, sind ausreichend mit Frequenzen ausgestattet. Sie bauen ihre Sendernetze mit Blick auf den Inhouse-Empfang weiter aus.

Ein wichtiger Knackpunkt der künftigen Entwicklung ist der Nachweis der Radionutzung. Die Vergleichbarkeit mit den Werten für UKW und Webradio ist für DAB+ noch nicht gegeben. Das ist nicht nur Voraussetzung für die Festlegung der Werbepreise, sondern auch Nachweis für die Forderung von Vaunet bezüglich des UKW-Ausstiegs. Die marktbeherrschenden Werbevermarkter RMS und AS&S (eine ARD-Tochter!) müssen sich die Aufforderung der Medienanstalten gefallen lassen, DAB+-Stationen in ihre Portfolios aufzunehmen und ihnen so vergleichbare Vermarktungschancen einzuräumen.

UKW-Ausstieg mit Sparpotenzial in Millionenhöhe – auch für Privatradios

Die ARD-Anstalten setzen zwischen 2017 und 2020 für die UKW-Verbreitung 211,7 Mio. Euro und für DAB+ 134,6 Mio. Euro an. Das Sparpotenzial durch einen UKW-Ausstieg wird mit jährlich 44,2 Mio. Euro angegeben. Deutschlandradio nennt ein Sparpotenzial von 10 Mio. Euro und hat den Abschied von UKW bereits begonnen. Seit Oktober 2018 wurden – parallel zur Aufschaltung des nationalen Programmpakets – fünf UKW-Standorte außer Betrieb genommen.

Der Kostenfaktor eines befristeten analog-digitalen Simulcast für die Privatradios ist durchaus nachvollziehbar. Ihre Furcht vor einem Ausstieg aus UKW bleibt aber unverständlich, wenn sie auf Webradio setzen. Dort steigen die Verbreitungskosten mit der Hörerakzeptanz. Die finanziellen Potenziale eines Verzichts auf UKW lassen sich anhand der genannten Eckwerte der Öffentlich-rechtlichen für die Privatradios zumindest erahnen.

Die Landesmedienanstalten legten diesen Teilbericht zum Stand der Digitalisierung zum zweiten Mal und wiederum beim Digitalradiotag der Internationalen Funkausstellung in Berlin vor. Download: Digitalisierungsbericht Audio 2019.

Weitere Infos: Hintergrundartikel von film-tv-video.de Broadcast oder Internet – Kampf um die Radiozukunft.

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Digitalisierungsbericht Audio 2019, Media Broadcast, Annette Koroll

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