Branche, Kino: 06.11.2019

Rettungsplan für das älteste Kino Berlins

Immobilienspekulation bedroht in vielen Städten auch Kinos. Nun könnte es auch das wahrscheinlich älteste Kino Deutschlands treffen: das Berliner »Moviemento«.

Kreuzberg, Eckhaus, erster Stock: Filmort seit 112 Jahren.

Die Projektionsgeschichte des Berliner Kinos »Moviemento« reicht 112 Jahre zurück — es ist das älteste noch in Betrieb befindliche Kino Berlins — und damit wahrscheinlich das älteste Kino Deutschlands. Durch einen geplanten Verkauf der Räume droht nun die endgültige Schließung des Kinos. Das Moviemento-Team ruft um Hilfe.

Iris Praefke und Wulf Sörgel hatten 2007 das damals gefährdete Traditionskino übernommen. Im Oktober 2019 erfuhren sie nun vom geplanten Verkauf der Räume und zwar »für einen Preis, der eine wirtschaftliche Miete für ein Kino unmöglich machen würde«. Die einzige Möglichkeit, das Kino zu erhalten, sehen Praefke und Sörgel darin, »die Räume, die sich auch über den ersten Stock des Eckhauses Kottbusser Damm 22 hinaus erstrecken, selbst zu erwerben und sie so der Spekulation zu entziehen«.

Die Kinobetreiber Iris Praefke und Wulf Sörgel.

Durch Crowdfunding Mietspekulation verhindern

Sörgel und Praefke setzen Kaufpreis und Erwerbskosten auf 2 Millionen Euro an. 200.000 Euro aus eigener Tasche und eine Spende in gleicher Höhe sind ihr Startkapital.

Den Rest wollen sie per Crowdfunding auffüllen. In einem ersten Schritt wollen sie bis Anfang Februar 100.000 Euro als Basis für den angestrebten Kaufvertrag einsammeln.

Die dann vakanten 1,5 Mio. Euro sollen in einer zweiten Phase bis Oktober 2020 über das Netz zusammengebracht werden. Parallel hofft man auf Partner, die sich an der Finanzierung beteiligen. Und man spekuliert auf den Verkäufer. »Einem Kauf durch die derzeitigen Mieter stehen wir offen gegenüber«, erklärte ein Sprecher der Deutsche Wohnen dem RBB. Das bedeutet freilich noch nicht, dass die Eigentümer auch zu der erhofften »erheblichen Reduzierung des Kaufpreises« bereit sind.

Sollte die Zeichnung beim Crowdfunding die Kosten des Kaufs überschreiten, wollen Praefke und Sörgel den Einbau eines vierten Kinosaals finanzieren.

Länger geht’s kaum: 112 Jahre Kintopp im ersten Stock

35mm-Projektion im Moviemento.

Am »Zickenplatz«, der Nahtstelle zwischen Kreuzberg und Neukölln, soll ein Herr Alfred Topp ab 1907 bewegte Bilder gezeigt haben. Laut Legende wurde aus »Topps Kino« schließlich das »Kintopp«.

Über die Jahrzehnte firmierte das Kino unter Namen wie »Vitascope-Theater«, »Taki«, »Tali« und »Das lebende Bild«. Seit 1984 heißt es Moviemento und wird so in den Event-Kalendern geführt.

Technisch interessant ist die Projektion, die zwischen 1930 und 1959 realisiert wurde: Die beiden im 45 Grad-Winkel (entsprechend der Struktur des Eckgebäudes) versetzten Säle wurden gleichzeitig mittels eines Projektors bespielt. Dafür wurde das Bild im kleineren Saal durch einer Spiegelprojektion auf eine transparente Leinwand umgelenkt, um in der Publikumssicht seitenrichtig zu erscheinen.

Zu den Klassikern des Hauses gehört übrigens die »Rocky Horror Picture Show«, die (vielleicht auch gerade, weil sie im Premierenkino scheiterte) noch nach Jahren in »Kreuzkölln« eine wöchentliche Mitternachtsshow füllte; zum Ticket gab es Reis und andere Utensilien dazu, die man für diesen Kultfilm braucht.

Über die Zeit weckte das Kino schon bei etlichen früheren, prominenten Mitarbeitern deren hauptberufliche Film-Leidenschaft: Tom Tykwer, die späteren Chefs des Berlinale-Panorama Manfred Salzgeber und Wieland Speck, der Produzent Claus Boje und Rosa von Praunheim.

1995 wurde auf drei Säle mit insgesamt 232 Plätzen umgebaut. Seit etwa Anfang der 1970er Jahre steht — unabhängig von Namen und Betreiber — der Kinostandort als Synonym für Filme jenseits des Mainstreams. Kinoprogrammpreise des Bundes und des Landes und die EU-Auszeichnung 2012 für das beste Kinder- und Jugendprogramm Europas zeugen von der wertvollen Filmarbeit im Kiez. Zum Kinoalltag gehören neben den eigenen Programmen viele Festivals, die dort seit Langem eine Spielstätten-Heimat gefunden haben.

Iris Praefke und Wulf Sörgel  betreiben zwei weitere Kinos in Berlin. Seit Januar 2019 führt Sörgel auch das insolvenzbedrohte traditionsreiche Filmtheater »Weltspiegel« in Cottbus.

Wer das »Moviemento« unterstützen will, kann sich am Crowdfunding beteiligen.