Top-Story: 30.01.2004

DVB-T: Statusreport Januar 2004

Seit dem 4. August 2003 ist in und um Berlin der Fernsehempfang per Antenne nur noch digital möglich. 160.000 Haushalte mussten sich eine Set-Top-Box (STB) für Digital Video Broadcasting Terrestrial (DVB-T) zulegen oder auf Kabel oder Satellit ausweichen. Die Medienforscher der Projektgruppe Digital von ARD und ZDF untersuchten den regionalen TV-Empfangsmarkt nach der ersten Antennen-Digitalisierung in Deutschland.

»Die ursprünglichen analogen Antennennutzer waren mit ihrem Fernsehempfang weitgehend zufrieden (…) von daher gab es keine Motivation, sich technisch aufzurüsten,« heißt es im Mitte Januar 2004 veröffentlichten Bericht der Projektgruppe. Mehr als 73 % der »Umrüster« von analogem auf digitalen Antennenempfang nannten daher in einer Befragung auch schlichtweg »keine Alternative« als Kaufgrund für ihre STB. Die Endkunden erlebten also in der Mehrzahl den Übergang zur neuen Technik als »Zwangsanpassung«, konstatieren die öffentlich-rechtlichen Zuschauerzähler.

Argumente der DVB-T-Werbung wie »mehr Programme« und »bessere Empfangsqualität« wurden mit 20,6 und 14,8 % deutlich seltener als Gründe genannt, obwohl Mehrfachnennungen möglich waren. Nach der »Zwangsverkabelung« der 80er und dem Satellitenboom der 90 Jahre stellten sich die bis zum Start von DVB-T noch verbliebenen 9,8 % Antennenzuschauer als überalterte Gruppe Alleinlebender mit geringem Einkommen dar.

Die Folge davon: Mit bis dahin elf analog-terrestrischen Programmen gesegnet, erlag nur etwas mehr als die Hälfte dieses Antennenpublikums dem Umstiegsdruck, der in der Abschaltung analoger Sender in Berlin und Brandenburg zum 4. August 2003 kulminierte: Nur rund 5 % der TV-Haushalte in Berlin-Brandenburg wechselten von der analogen auf die neue Antennenempfangstechnik.

ZWEITNUTZER MÖBELN DIE STATISTIK AUF
Nun ist natürlich der von den Statistikern ermittelte, typische Analog-TV-Antennennutzer für die Geräteanbieter eine relativ uninteressante Zielgruppe. Da lag es nahe, neben den Analog-Umsteigern gezielt nach Nutzergruppen zu suchen, die sich vielleicht für neue Möglichkeiten wie den mobilen Empfang oder Interaktivität begeistern lassen.

Landesmedienanstalt und Industrie blieben aber zunächst die Umsetzung des Slogans »DVB-T: Das ÜberallFernsehen« schuldig. Im Umstellungszeitraum zwischen November 2002 und August 2003 waren kaum mobil nutzbare Geräte im Handel verfügbar. STBs für die angekündigten interaktiven Dienste suchte man ebenfalls vergeblich. Fahrzeugboxen, Videogeräte, tragbare Mini- und integrierte Heimfernseher sind erst seit dem Herbst 2003 erhältlich. Der Verkaufsbeginn für Terrestrik-Boxen des DVB-Interaktiv-Standards »Multimedia Home Platform« (MHP) ist überhaupt noch nicht in Sicht.

Trotz des limitierten Geräte- und Service-Angebots gab es aus den Reihen der eher technik-affinen Nutzer Zuwächse für DVB-T: Die Statistiker melden 21.000 »Wechsler« vom Kabel zur Antenne. 46.000 Kabelkunden und 17.000 Satellitenhaushalte, haben demnach als »Aufrüster« ihre Zweit- und Drittgeräte an die digitale Antennenversorgung anschlossen. Diese beiden Gruppen fingen laut Statistik die Abwanderung analoger Antennennutzer auf.

Diese neuen DVB-T-Kunden sind laut Statistik jünger, familiengebunden, verfügen über bessere Einkommensverhältnisse und höhere Bildung als das Stamm-Antennenpublikum. Sie sind technik-interessierter und empfänglicher für Argumente wie Mobilität, Programmvielfalt und Interaktivität.

So bilanziert ZDF-Medienforscher Bernhard Engel schlussendlich für die Antenne 173.000 Haushalte, davon 85.000 primär versorgt. Annette Mende von der ARD-Medienforschung ergänzt: »15 Prozent der Kabel- und Satellitenhaushalte können sich eine Umrüstung vorstellen.« Es scheint also noch einiges möglich im digitalen Antennen-Markt.

Der Umstiegs-Erfolg sei »von vornherein nicht zu sehen« gewesen, kommentiert ZDF-Intendant Markus Schächter die weltweit ein- und erstmalige Umschaltaktion. Zudem erfassten die Statistiker nicht das gesamte Versorgungsgebiet, in das bis Jahresende 2003 um die 205.000 STBs geliefert wurden.

KONKURRENT KABEL GEWINNT AM DEUTLICHSTEN
Geht es allein nach den Zahlen, haben nicht einmal die ärgsten Widersacher des ÜberallFernsehens Grund zum Jammern. Die Kabelversorger hatten ihren 82-%-Anteil im ausgereizt geglaubten Regionalmarkt sogar um 27.0000 Kundenhaushalte auf 83,6 % ausbauen können. Sie zählen damit zu den Umstiegsgewinnlern. Zu danken haben die Kabelfirmen das jenen Partnern in der Wohnungswirtschaft, die »ihre bisherige Antennenversorgung einstellten«. So umschrieb die MABB im vergangenen August diese neue Phase der »Zwangsverkabelung«.

Die Medienforscher bestätigen das nicht nur. Ihre Untersuchung zur Effizienz der Öffentlichkeitsarbeit stellt zudem fest: Bei den »Wechslern« von Antenne zum Kabel war »die Wahrnehmung der meisten Kommunikationsmaßnahmen unterdurchschnittlich«. Nur 39 Prozent von ihnen (»Umrüster«: 66,6 Prozent) waren durch das Fernsehen informiert und mit 23,6 Prozent (»Umrüster«: 11,6 Prozent) ist die Angabe »nichts gesehen, gehört, gelesen« in dieser Gruppe extrem hoch.

Warum sich Kabel Baden-Württemberg (wo DVB-T aufgrund der Topologie und mangels Fördermitteln ohnehin erhebliche Startschwierigkeiten hat) bei der EU beschweren will, scheint angesichts der Berlin-Potsdamer Zugewinne des Kabels unverständlich. Einerseits kritisieren die Kabelversorger die DVB-T-Förderung über die aus Rundfunkgebühren gespeisten Etats der Landesmedienanstalten. Andererseits könnte ihnen die Politik von Wohnungsgesellschaften ganz wie in Berlin und Brandenburg auch in anderen Bundesländern den einen oder anderen Neukunden bescheren. Dass diese »Wechsler« den Anschluss vom Hausverwalter »aufgedrückt« bekamen und zudem über DVB-T eher schlecht informiert sein könnten, schert offenbar keinen Kabelversorger.

»EIN KLEINES DEUTSCHES WUNDER«
»Alle haben an einem Strang gezogen – ein kleines deutsches Wunder der Gemeinsamkeit.« Die Kabelversorger hat ZDF-Intendant Markus Schächter mit dieser Aussage garantiert nicht gemeint. Aber alle anderen Fernseh-Player, von den öffentlich-rechtlichen und privaten Programmanbietern über Netzbetreiber T-Systems bis zu den Landesmedienanstalten und Geräteherstellern, dürfen sich gelobt fühlen.

Schächter, wie auch RBB-Produktions- und Betriebsdirektor Nawid Goudarzi, sind für die weitere DVB-T-Verbreitung guten Mutes. Goudarzi sieht gar die letzte Analog-Abschaltung schon vor dem Planjahr 2010 im Möglichkeits-Bereich.
Verbindliche Starttermine gibt es mit dem 24. Mai und 5. November 2004 für NRW, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen. Bayern will sich mit München (20 % antennenversorgt) am 20. Oktober zwischen die West- und Nordlichter schieben und mit dem Großraum Nürnberg am 1. März 2005 folgen. Für Hessen wurde der Start noch im Jahr 2004 avisiert.

WEITERE INFOS
Einen Artikel zum Thema DVB-T mit Stand vor dem Abschalttermin in Berlin-Brandenburg finden Sie hier.

Downloads zum Artikel:

T_0104_DVB-T.pdf