Branche: 16.10.2014

Netzkongress: Zukunft des Fernsehens – Fernsehen der Zukunft

Am 10. und 11. Oktober 2014 fand in München der Zündfunk-Netzkongress statt. Bei über 30 Panels diskutierten dabei Publizisten, Blogger, Netzaktivisten, Künstler und Fernsehmacher unterschiedlichste Themen der Netzwelt. Dabei ging es auch um die Frage, ob wir unsere digitale Zukunft noch selbst in der Hand haben. Im Panel »Zukunft des Fernsehens – Fernsehen der Zukunft« gewährte unter anderem BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz seltene Einblick in die Zukunftsperspektiven des BR aus dessen eigener Sicht.

Das Jugend- und Szenemagazin »Zündfunk« des Bayerischen Rundfunks wurde in den 1970er Jahren für eine damals neue Art von Jugendradio bekannt. Neben der Förderung vieler neuer Bands wagten sich die Zündfunkmacher auch an politisch brisante Themen. Viele Künstler, Radio- und Fernsehmacher, die heute etabliert und arriviert sind, sammelten beim Zündfunk ihre ersten Erfahrungen. Die Zündfunk-Fangemeinde hat sich über die Jahre gehalten und erneuert.

Nach wie vor beschäftigt sich der Zündfunk nicht nur mit einem breiten Spektrum von Musik, sondern auch mit vielen aktuellen Themen aus Politik und Gesellschaft. Im vergangenen Jahr etwa richtete das Magazin erstmals den Netzkongress aus. In diesem Jahr gab es eine Fortsetzung dieser Veranstaltung. Am 10. und 11. Oktober drehte sich im Münchner Volkstheater alles um die verschiedenen Aspekte der digitalen Welt. In der Keynote des Kongresses etwa stellte Frank Rieger, Vorsitzender des Chaos Computer Clubs, die Frage: »Haben wir unsere digitale Zukunft noch selbst in der Hand?«

Von besonderem Interesse für die Fernsehbranche war natürlich das Panel »Zukunft des Fernsehens – Fernsehen der Zukunft«. Auf dem Podium saßen dabei die BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz, Egbert van Wyngaarden (Professor an der privaten Hochschule für Medien und Kommunikation Macromedia in München), Thomas Sessner (Redaktionsleiter KinoKino, BR) und die Autorin und Verlegerin Zoë Beck. Franziska Storz moderierte das Panel.

In ihrer Einführung ging Bettina Reitz auf die Probleme klassischer Fernsehsender ein und streifte Aspekte wie etwa den dramatischen Verlust junger Zuschauer, die Konkurrenz durch nichtlineare Angebote wie etwa Netflix oder Watchever, aber auch die Herausforderungen, die sich durch neue Distributionsformen im Web, über Apps und in sozialen Medien ergeben. Wie begegnet man solchen Herausforderungen? Beim BR halte man zum einen die regionale Berichterstattung für eine wichtige Komponente, um zukunftsfähig zu bleiben, aber auch die Produktion von Live-Events, durch die man sich von anderen Kanälen unterscheiden wolle, so Reitz.

Welche Rolle spielt die technische, digitale Revolution in diesem Szenario? Aus der Sicht von Bettina Reitz ersetzt sie letztlich bestehende Berufsbilder. Damit benennt die Intendantin für eine Führungspersönlichkeit innerhalb der öffentlich-rechtlichen Strukturen ungewohnt offen, was aktuell stattfindet: Bei den meisten großen und kleinen Projekten der TV-Sender geht es darum, mit neuen Strukturen, mehr Automatisierung und mehr Software, mit weniger Personal, also mit weniger Kamera- und Tonleuten oder Technikpersonal in den Regien und Sendeabwicklungen mehr Output zu erzielen.

Wie bemessen die Sender ihre Erfolge beim Publikum? Neben der Quote, die zumindest Bettina Reitz nicht als wichtigste Währung stehen lassen möchte, spiele besonders beim jüngeren Publikum natürlich die Kommentierung in den sozialen Medien eine wichtige Rolle. Die Zuschauer mögen es, wenn sie auf diesem Weg das Programm direkt kommentieren könnten, meint Zoë Beck dazu.

Doch sind die Sender darauf überhaupt vorbereitet, fragte Moderatorin Franziska Storz? Aus der Sicht von BR-Mann Thomas Sessner ist Social-Media-Kenntnis in den Senderstrukturen noch nicht auf breiter Basis vorhanden, wenngleich es natürlich Projekte gebe, in denen man bestimmte Produktionen gezielt auf diesem Kanal begleite — etwa mit stärkeren Facebook-Aktivitäten bei der BR-Soap »Dahoam is Dahoam«. Dass dies ausgerechnet bei dieser Serie stattfinde, erstaune vielleicht den einen oder anderen, so Sessner, habe sich aber als sehr erfolgreich erwiesen.

Ob das die Art von digitaler Ansprache ist, die sich Egbert van Wyngaarden vorstellt, wenn er sagt, dass man Leute in der digitalen Welt ganz anders erreichen könne? Dazu passt die Frage von Franziska Storz, ob das Fernsehen seine (jüngere) Zielgruppe überhaupt ernst nehme. Wieso gebe es beispielsweise unterschiedliche Mediatheken, Webauftritte, Facebook-Präsenzen innerhalb der Sender? Schreckt das jüngere Zuschauer nicht eher ab?

Antworten darauf lieferte auch das Panel nicht, aber man war sich einig, dass sich die Inhalte verändern sollen und müssen, wenn man in Zukunft bestehen will. Thomas Sessner wendet jedoch ein, dass man als deutscher Sender nicht über die Mittel verfüge, um etwa Serien mit dem Aufwand zu testen, der in den USA üblich sei.

Bettina Reitz ist dennoch sicher, dass sich die Art der Drehbuchentwicklung verändern müsse. Egbert van Wyngaarden führt den »Writer’s Room« als mögliches Modell fürs Drehbuchschreiben an: eine Einrichtung, bei der mehrere Drehbuchautoren über die Produktion einer Serie diskutieren und neue Ideen dafür entwickeln.

Ob sich das direkt auf den deutschsprachigen Raum übertragen lässt, bleibt offen, aber neue Produktionsformen sollten auf jeden Fall entwickelt werden, meint Bettina Reitz. So werde es durchaus den Fall geben, dass Produktionen des offentlich-rechtlichen Fernsehens auch bei Netflix zu sehen sein werden, wenn auch nicht gerade die Preziosen wie etwa der »Tatort«. Auch Co-Produktionen mit privaten Sendern seien denkbar — etwa so wie die aktuell angekündigte Zusammenarbeit zwischen Sky und der ARD bei der Serienproduktion »Berlin Babylon«.

Fazit

Lösungen oder wirklich schlüssige Konzepte und überzeugende Erfahrungen konnte das Panel »Zukunft des Fernsehens – Fernsehen der Zukunft« nicht bieten. Interessant war es dennoch, so etwas wie den Auftakt des offenbar jetzt erst beginnenden Prozesses der ernsthaften Auseinandersetzung öffentlich-rechtlicher Medien in Deutschland mit der Medienrealität der Gegenwart — und nicht der im Titel genannten Zukunft — zu beschäftigen.

Videotrailer zum Netzkongress

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