Editorial, Kommentar: 22.06.2016

In gedämpfter Feierlaune

Fußball zieht immer: Das untermauern ein weiteres Mal die guten Quoten, die ARD und ZDF mit ihrer Berichterstattung von der Euro 2016 bisher erzielen konnten. Aber die Zuschauer sind durchaus anspruchsvoll und deshalb müssen die Sender etlichen technischen Aufwand treiben, um eine zeitgemäße Berichterstattung aus Paris zu realisieren.

Euro 2016: Es gab wohl selten eine Europameisterschaft, bei der die Zuschauer so viel über Taktik, Aufstellungen oder Spielweisen erfahren konnten.

Bei Sport-Events in der Größenordnung einer Europa- oder gar einer Weltmeisterschaft, fließen natürlich auch stets aktuelle Entwicklungen in die technische Planung der Sender ein. In diesem Jahr etwa spielt Augmented Reality eine größere Rolle — damit bereiten die Sender unter anderem die Aufstellungen, aber auch Spiel- und Spieler-Analysen grafisch ansprechend auf.

Es gab wohl selten eine Europameisterschaft, bei der die Zuschauer so viel über Taktik, Aufstellungen oder Spielweisen erfahren konnten. Wer mit seinem Taktik-Wissen noch auf dem Stand von »Libero« und »Vorstopper« steht, kann in diesen Wochen sein Knowhow schnell und einfach auf den aktuellen Stand bringen. Dafür liefern ARD und ZDF mit ihren Experten umfassendes Futter.

Die Analysen und besonders deren grafische Aufbereitung wären in dieser Form selbst vor wenigen Jahren noch gar nicht möglich gewesen: Erst jetzt, wo Software und ausreichend Processing-Power zusammenspielen, ist das machbar.

Ob es aber die neu vorgestellte »Packing-Rate« dauerhaft ins Analyse-Instrumentarium der Sender schaffen wird, muss sich noch zeigen. Für jene, die es vom ARD-Experten Mehmet Scholl noch nicht gehört haben: Die Packing-Rate soll nicht nur die reine Anzahl der Pässe erfassen, die den Mitspieler erreichen, sondern auch die Anzahl der Mitspieler, die mit diesem Pass überspielt werden — als Indikator für die Spielqualität einer Mannschaft.

»Das Netz«, das bei solchen Themen gerne zitiert wird, scheint jedenfalls noch uneins darüber zu sein, ob »Packing« den Fußball verändern wird — oder eher nicht. Oliver Kahn gehört offenbar zu den Zweiflern, denn er twitterte nach der 0:2-Niederlage der offensiven Belgier gegen Italien: »So Mehmet, jetzt erklär mir mal ganz genau die Packingrate.«

Aber auch sprachlich wird aufgerüstet: Begriffe aus dem Boxen erfreuen sich neuerdings bei Fußballkommentatoren großer Popularität. Da wird vom »Lucky Punch« schwadroniert und vom »Wirkungstreffer«. Indirekte Ehrerweisung für den verstorbenen Muhammad Ali oder einfach nur Blödsinn, weil eben meist die Bezüge gar nicht stimmen?

So oder so: Neue technische Möglichkeiten und Analyseinstrumente machen eine Übertragungen möglicherweise interessanter, neue Formulierungen können eventuell das übliche Phrasendreschen durchbrechen — aber ein langweiliges und ideenloses Spiel wird davon auch nicht besser. In diese Fällen müssen Experten und Moderatoren dann doch wieder eine alte Weisheit bemühen: »Man kann im Fußball vieles, aber eben nicht alles erklären.«
 
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