Kommentar, Live, Olympia, Sport, Top-Story: 10.02.2022

Olympia in Peking, Technik in Mainz und München

ARD, ZDF und Eurosport berichten mit ganz unterschiedlichen Konzepten aus Peking — und OBS nutzt als Host Broadcaster etliche neue Technologien. Ein Überblick.





»Es sind die kompliziertesten Spiele aller Zeiten« — so fasst es BR-Sportchef Christoph Netzel kurz und knackig zusammen. Die Kompliziertheit dieser Spiele erfordert aus technischer Sicht anspruchsvolle Remote-Produktionskonzepte der Broadcaster, die von Olympia berichten. Der Host Broadcaster OBS wiederum tut einiges, um eindrucksvolle Bilder zu liefern, mit denen die Broadcaster Olympia in Szene setzen können. Was der Host Broadcaster OBS und die Sender ARD, ZDF und Discovery/Eurosport konkret dafür tun, erläutert dieser Produktionsreport.

Host Broadcaster OBS bietet Innovationen

OBS ist der Host Broadcaster der Olympischen Spiele und produziert die Bilder und Töne, die Milliarden von Zuschauern weltweit in den Programmen der unterschiedlichen Broadcaster zu sehen bekommen. Auch ARD, ZDF und Eurosport bedienen sich aus dem Pool an Bildern des Host Broadcasters OBS.

Für Peking 2022 wird OBS mehr als 6.000 Stunden an Inhalten produzieren. Die Rechteinhaber werden im Vergleich zu den Spielen in PyeongChang 2018 Zugang zur doppelten Menge an Content haben. 

Die Informationen, Bilder und Grafiken auf dieser Seite fassen zusammen, was OBS im PDF »Media Guide Olympic Winter Games Beijing 2022« veröffentlicht hat (© Media Guide Olympic Winter Games Beijing 2022). 

Standards und Auflösung

OBS produziert die Olympischen Winterspiele nativ in Ultra High Definition (UHD) und High Dynamic Range (HDR) mit immersivem Audio.

@Olympic Broadcasting Services
OBS arbeitet mit einem HDR-zu-SDR-Produktions-Workflow, bei dem die 1080i-Ausgabe über eine hochwertige Konvertierung aus dem primären UHD-HDR-Signal erfolgt.

Insgesamt setzt OBS 15 Ü-Wagen ein, zusammen mit neun Produktionseinheiten in Datenzentren vor Ort, einem Fly-Away-System und einem »virtualisierten Ü-Wagen«.

Olympic Broadcasting Services (OBS) mit Hauptsitz in Madrid wurde vom IOC gegründet.

Zum ersten Mal bei Olympischen Winterspielen wird OBS den Ton der Spiele über ein immersives 5.1.4-Audiosystem produzieren. OBS erweitert den 5.1-Surround-Sound um eine Überkopf-Soundebene und damit um eine dritte Audiodimension mit vier hängenden Deckenmikrofonen, die in der Höhe verstellbar sind. Zwei neue Mikrofone wurden speziell für diese immersive Klangproduktion entwickelt. Insgesamt wird das OBS mehr als 1.600 Mikrofone (40 verschiedene Modelle) einsetzen.

Cloud-basierte Workflows

OBS konzentrierte sich bei der Produktion der Spiele in Peking auf eine Erweiterung IP-basierter Remote-Produktionskapazitäten in Verbindung mit einem cloud-basierten Ansatz für die Bereitstellung, Nachbearbeitung und Verteilung von Inhalten.

OBS hat cloud-basierte Workflows entwickelt, die es erlauben, direkt aus der Mixed Zone via IP zu übertragen.

So sei es derzeit den Rechteinhabern möglich, nicht nur alle während der Spiele produzierten Live-Inhalte über IP zu empfangen, sondern auch ihre Live-Interviews mit den Athleten aus der Mixed Zone direkt an ihren Hauptsitz zurückzusenden, und zwar mit extrem geringer Latenz und in hoher Auflösung. Diese hochzuverlässige Punkt-zu-Punkt-Verteilung aus der Mixed Zone sei nun an allen Wettkampfstätten sowie im Olympiastützpunkt verfügbar.

©2020 Olympic Broadcasting Services / Mario Martin
Yiannis Exarchos ist CEO bei OBS.

Darüber hinaus habe sich die OBS Cloud, eine Suite von Cloud-Services, die in Zusammenarbeit mit Alibaba speziell für datenintensive Broadcast-Workflows entwickelt wurde, als Schlüssel zur Optimierung vieler olympischer Broadcast-Workflows erwiesen, betont OBS. Die Cloud-Technologie ermöglicht es Rundfunkanstalten, Medienmanagement-Workflows von der Verarbeitung über die Bearbeitung bis hin zur Verteilung besser, einfacher und schneller zu gestalten. Dank OBS Cloud kann OBS vollwertige cloud-basierte Front- und Backend-Lösungen für die Rechteinhaber bereitstellen.

©2021 Olympic Broadcasting Services / Silvio Avila
In Peking halten sich klassische Distribution und Cloud-Distribution erstmals die Waage.

Zum ersten Mal werden mehr als 20 Sendeanstalten die Feeds in Echtzeit in ihrem zentralen Produktionshaus zu Hause über die Cloud empfangen, entweder in UHD oder HD. Die Spiele in Peking sind übrigens die ersten Spiele, bei denen mehr Live-Signale über Cloud als über traditionelle Distributionswege verteilt werden.

Zudem haben sich durch die Umstellung auf Remote-Produktions-Workflows auch die Broadcast-Teams vor Ort drastisch reduziert. Im Vergleich zu den Olympischen Winterspielen in Pyeong Chang 2018 sind in Peking fast 40 Prozent weniger Broadcaster vor Ort.

OBS nutzt rund 30 Kameras, die via 5G übertragen können.
Cloud und 5G

Die flächendeckende 5G-Abdeckung an allen olympischen Austragungsorten bietet auch neue Möglichkeiten für die Live-Berichterstattung. Zum ersten Mal wird OBS die superschnelle 5G-Mobilfunkverbindung nutzen, um Live-Signale von rund 30 5G-Kameras zu übertragen, darunter die Kameras auf den Schneemobilen beim Skilanglauf und die Kameras im Start- und Zielbereich beim alpinen Skifahren.

Virtualisierter Ü-Wagen

In Zusammenarbeit mit Intel will OBS außerdem flexiblere und modulare Produktionsumgebungen erforschen und hat einen virtualisierten Übertragungswagen entwickelt. Während der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking wird OBS diese neue Live-Produktionsumgebung als Proof of Concept in der Curling-Halle testen.

@Olympic Broadcasting Services
Der virtualisierte Übertragungswagen wurde im National Aquatics Centre aufgestellt. Es dient als Austragungsort für die Curling-Wettbewerbe.

Basierend auf einer cloud-gehosteten, software-basierten Architektur, die die Funktion eines herkömmlichen Übertragungswagens widerspiegelt, wird das Produktionsteam des Austragungsortes seine Arbeit von einer Production Gallery auf dem Gelände aus erledigen und dabei COTS-Lösungen (Commercial Off-The-Shelf) verwenden. Ein vor Ort befindliches Datenzentrum wird die Cloud-basierte Architekturplattform replizieren.

 © 2022 Olympic Broadcasting Services
Vom traditionellen, hardware-basierten Workflow zum virtualisierten, software-basierten Produktions-Workflow.

In der ersten Phase dieses Projekts stehen Funktionalität und Interoperabilität im Vordergrund sowie das Ingesting und die Verarbeitung der 1080p50-SDR-Videofeeds von 18 Kameras, die für die Berichterstattung über eine der Bahnen beim Curling verwendet werden, sowie der Audiofeeds.

Darüber hinaus werden vier zusätzliche native IP-Kameras, die für das virtualisierte Ü-Wagen-Projekt bestimmt sind, an den Network Stack angeschlossen werden, sodass keine Kamerakontrolleinheiten mehr benötigt werden.

Mit diesem Ansatz wäre es künftig möglich, flexiblere Produktionsteams zu haben, die nicht unbedingt auf dem Venue stationiert sind, sondern vielleicht von ihrem jeweiligen Land aus operieren. Der Bedarf an großen Produktionsteams vor Ort würde entfallen, und ebenso wäre auch eine langfristige Anmietung von weltweitem Broadcast-Equipment für die Live-Produktion der Spiele obsolet.

KI und AI für Tagging und Logging

Das Verschlagworten von Live-Inhalten ist eine Aufgabe, die vielfach Studenten oder andere Hilfskräfte mehr oder weniger manuell erledigen. Hier könnten AI und KI die Workflows aber durchaus vereinfachen oder zumindest ergänzen.

OBS experimentiert auch mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz, um relevante Inhalte schneller und effizienter generieren zu können.

OBS hat hierfür mit Automatic Media Description (AMD) eine KI-Lösung entwickelt, die erstmals in Tokio im Einsatz war.
Diese Lösung wird darauf trainiert, automatisch nach bestimmten Inhalten/Videosequenzen zu suchen und diese Inhalte, sobald sie indiziert sind, zusammenzufügen. Auf dieser Basis lassen sich schnelle Highlight-Pakete erstellen, die wiederum den OBS-Produzenten zur Verfügung gestellt werden können.

Eine weitere potenzielle Anwendung könnte darin bestehen, das OBS-Material nach bestimmten nationalen Athleten zu durchsuchen. Das ist derzeit nicht möglich, aber eine häufige Anforderung der Rechteinhaber, die natürlich die nationalen Athleten gerne mehr in den Fokus ihrer Berichterstattung rücken möchten. Das könnte mit dem Einsatz von KI möglich werden.

Weiter sei nach Peking auch geplant, mit automatisiertem Switching zu arbeiten, was den Einsatz von KI bei Live-Übertragungen bedeuten würde.

©2021 Olympic Broadcasting Services / Silvio Avila
Virtual Reality bringt die Zuschauer mitten in die olympischen Stätten.
8K VR

Gemeinsam mit Intel wird OBS die Olympischen Winterspiele zum ersten Mal live in 8K Virtual Reality (VR) aufnehmen, produzieren und verbreiten. So soll es möglich werden, die Spiele in höherer Qualität und lebensechter VR zu verfolgen. Die Sendeanstalten können solche VR-Feeds in 8K nutzen, um virtuelle Kulissen für ihre Fernsehstudios zu schaffen.

8K
8K – fast schon Standard bei Olympia.

Für diese Spiele hat OBS mit NHK und der China Media Group (CMG) als Partner und Inhaltslieferanten zusammengearbeitet.

Es wird 8K-Übertragungen von ausgewählten Wettkampfstätten und dem National Stadium for Ceremonies geben, wobei OBS ein einheitliches multilaterales 8K-Feed erstellt.

Bullet Time

OBS setzt in Peking mehrere Multikamera-Wiedergabesysteme für »Bullet-Time«-Zeitlupenwiederholungen ein. Diese Systeme ermöglichen Effekte, die vergleichbar sind mit Actionszenen im Film »The Matrix«, wo die Kamera 360 Grad um den Hauptdarsteller zu schwenken scheint, während er in der Luft schwebt oder einer Kugel ausweicht.

In Pyeong Chang 2018 wurden solche Systeme vor allem beim Eiskunstlauf verwendet. Jetzt werden sie in den meisten Eisstadien eingesetzt, aber auch im Genting Snow Park.

©2018 Olympic Broadcasting Services / Owen Hammond
Multi-Camera Replay-Technologie im Einsatz vor vier Jahren in PyeonChang.

Für Curling und Eisschnelllauf hat sich OBS mit Partner Alibaba zusammengetan, um dessen Cloud-Lösung für die nahtlose Bereitstellung der Multi-Kamera-Replays zu nutzen. Es ist das erste Mal, dass das OBS auf einen cloud-basierten Workflow für die Replays setzt. Alle Kamerabilder von den beiden Austragungsorten werden an einen Edge-Server gesendet und in der Alibaba Cloud rekonstruiert, um die Replay-Clips zu erstellen. Sie werden in der Cloud auf 4K hochkonvertiert, bevor sie an die Produktionseinheit am Venue zurückgeschickt werden.

©Screenshot Eurosport
Links oben im Bild ist die Geschwindigkeit des Abfahrers eingeblendet.
Live Speed und Tracking

Für Peking 2022 hat sich OBS mit Omega zusammengetan, um die Live-Geschwindigkeitsmessung für die Abfahrtswettbewerbe auf die schnellsten Abschnitte der Strecke auszudehnen, damit das weltweite Publikum einen Einblick erhält, mit welchen Geschwindigkeiten die Skifahrer die Hänge herunter rasen.

©Olympic Broadcasting Services
Die neuen Grafiken auf dem Bildschirm
sollen helfen, die Athleten zu identifizieren, die in der gleichen Aufnahme zu sehen sind, und so die Geschichten zu erzählen.

Bei anderen Sportarten, konkret beim Biathlon und beim Langlauf, wird OBS per 2D-Bildverfolgungstechnologie (auch Athleten-‚Pinning‘ genannt) den Kommentatoren und Zuschauern helfen, die Position der Athleten während des gesamten Wettkampfs in Echtzeit zu verfolgen.

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