Medientage: Künstliche Intelligenz als digitales Dilemma
Die Medientage München thematisierten beim Eröffnungsgipfel die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz für Medien und Demokratie.

Digitale Innovation, Transformation und Disruption: Die Künstliche Intelligenz (KI) forciert für Wirtschaft und Gesellschaft eine mediale Zeitenwende und ein digitales Dilemma. Einerseits öffnen sich neue Perspektiven und Kommunikationsräume. Andererseits geraten traditionelle Geschäftsmodelle ebenso unter Druck wie demokratische Werte und freie Meinungsbildung.
Zum Auftakt der 39. Medientage München haben prominente Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen Medienwirtschaft, Kultur, Journalismus und Politik über Szenarien und Strategien diskutiert, mit denen KI gewinnbringend eingesetzt und reguliert werden kann, um die Autonomie des Einzelnen, die Demokratie einer offenen Gesellschaft und einen freien, chancengleichen Wettbewerb zu stärken.

Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Medien.Bayern GmbH, verwies in seinem Grußwort auf eine Legitimationskrise von Demokratie, Meinungsfreiheit und Journalismus:
»Auch bei uns haben immer mehr das Gefühl, sich aus Angst vor Hass und Hetze nicht frei am öffentlichen Diskurs beteiligen zu können.« Außerdem würden sich viele Menschen von klassischen Medien abwenden, weil sie sich nicht repräsentiert oder verstanden fühlten. Demokratievertrauen sei »kein Selbstläufer«, sagte Schmiege.
Die Chancen der Künstlichen Intelligenz skizzierte der BLM-Präsident knapp wie folgt: .,Weniger Routine. Auch mehr Recherche. Weniger Kosten. Mehr Qualität.« Gefährlich aber werde es, wenn etwa die in die Google-Suche integrierte Funktion »Al Overviews« zum zentralen Gatekeeper avanciere und bestimmte Medieninhalte verdränge. In der Folge gerieten Medienpluralität und Meinungsfreiheit in Gefahr. Geplante übernahmen wie die von Sky Deutschland durch RTL oder die von ProSiebenSat.1 durch Media for Europe könnten Anzeichen dafür sein, dass in der Branche das tradierte Geschäftsmodell »aus dem Gleichgewicht geraten« sei, warnte Thorsten Schmiege.

Auch Dr. Wolfram Weimer bezeichnete die Freiheit der Medien durch die großen Digital Plattformen aus den USA als »bedroht«. Der Staatsminister für Kultur und Medien kündigte an, in wenigen Tagen ein Eckpunktepapier zu präsentieren. So solle erreicht werden, dass sogenannte Big-Tech-Unternehmen mit einer Art Digitalabgabe künftig Geld zahlen müssen, wenn sie Inhalte deutscher Medien übernehmen wollen. Außerdem verhandele er mit großen Streaming-Anbietern, damit diese stärker in deutsche und europäische Produktionen investieren. Wolfram Weimer bezeichnete es als denkbar, dass die US-Oligopole der Digitalwirtschaft bald ähnlich aufgelöst würden wie in den 1980er-Jahren AT&T. Die mögliche Begründung: eine Bedrohung der Medienfreiheit.
Vor dem Hintergrund der Übernahme der ProSiebenSat.7-Mehrheit durch Berlusconis Media for Europe (MFE) erklärte der Staatsminister, Pier Silvio Berlusconi habe bei Gesprächen im Kanzleramt versprochen, München bleibe der Standort von ProSiebenSat.1 und die re daktionelle Unabhängigkeit des deutschen Unternehmens gewahrt. Einen Tag vor dem Medientage-Gipfel hatte MFE das gesamte ProSiebenSat.7-Vorstandsteam abberufen.

Als »Herausforderung« bezeichnete Dr. Markus Söder die aktuellen Veränderungen im einst von Leo Kirch gegründeten Konzern. Der Bayerische Ministerpräsident verglich die Vorgänge bei ProSiebenSat.1 mit einem Trainerwechsel, der manchmal nötig sei, wenn es wie der aufwärts gehen solle. Die Pluralität der Inhalte sei nicht bedroht. Dafür sorge das Bayerische Mediengesetz. Der Fall sei ein Beispiel für einen sehr dynamischen, globalen Medi enmarkt, der durch amerikanische Digital-Konzerne geprägt werde.

Die USA nutzten alle Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen, urteilte Markus Söder. Dabei spiele Regulierung kaum eine Rolle. Sich gegen die US-Wirtschaftsmacht mit europäischer Regulierung zu wehren, verspreche wenig Erfolg. Auch hinsichtlich einer Digitalabgabe äußerte sich der Ministerpräsident skeptisch. Kennzeichnungs- und Haftungspflichten seien wichtig. Dar über hinaus aber wirke »Regulationskleinteiligkeit« anachronistisch. Zurzeit dauere es bis zu einem Jahr, »bis im Medienstaatsvertrag ein Komma verändert werden kann«. Auch in europäische Regulatorik habe er wenig Vertrauen. Vielmehr glaube er, dass mehr Freiheit und Investitionen deutschen Medienunternehmen zu neuer Stärke verhelfen könnten.
Im Interview mit der Journalistin Eva Schulz sagte Markus Söder, im politischen Prozess seien Entscheidungen besser als endlose Debatten. Sich neuen Technologien zu verweigern sei gefährlich. Das gelte auch für Social Media, und zwar selbst dann, wenn soziale Online-Netzwerke von Feinden der Freiheit genutzt würden. Befragt, warum er dem rechtspopulistischen Online-Angebot Nius ein Interview gegeben habe, argumentierte Markus Söder, er befürworte zwar eine Ächtung der AfD, suche aber Gespräche mit deren potenziellen Wählern.

Dem entgegnete die Schriftstellerin, Publizistin und Podcasterin Jagoda Marinic, eine rechtspopulistisch initiierte Debattenkultur führe zur Polarisierung, wenn Debatten als eine Art »Battle« inszeniert würden. Solche Verengungen des Diskurses blendeten aus, dass es meist nicht nur zwei, sondern viel mehr Positionen gebe. Deshalb blieben viele Lebenswelten unterrepräsentiert.

Der Komiker und Satiriker Oliver Kalkofe kritisierte in diesem Zusammenhang Social-Media-Debatten, die von großer Emotionalität und Cancel Culture geprägt seien. Medien sollten Menschen ernst nehmen und zum Nachdenken anregen, empfahl er. Redaktionen hätten eine große Verantwortung dafür, wie die Welt wahrgenommen werde. Das gelte auch für den Einsatz von KI. ,»Sorgen wir dafür, dass wir keine Zukunft erschaffen, vor der wir selbst früher gewarnt haben«, lautete Oliver Kalk ofes Resümee.

Goli Sheikholeslami, Chief Executive Officer von Politico, unterstrich, die Kernaufgabe von Journalismus bestehe auch in Zeiten des digitalen Wandels vor allem darin, Öffentlichkeit für relevante Themen herzustellen. Wenn Social-Media-lnhalte eine Polarisierung bewirken würden, müsse Journalismus Raum für Verständigung schaffen. In den USA seien einerseits binnen zwei Jahrzehnten etwa vierzig Prozent der lokalen News-Angebote verschwunden. Andererseits habe der Blick nach Europa an Bedeutung gewonnen. Vor allem öffentlich rechtliche Programme würden in Europa ein wertvolles Gegengewicht zu marktgetriebenen Angeboten darstellen. Wie stark Ökonomie und Technologie die Medien-Branche beeinflussen, machte Florian Haller deutlich. Der Chief Executive Officer der Serviceplan Group, in deren House of Communication die Medientage München in diesem Jahr zum dritten Mal stattfinden, sprach in seiner Bestandsaufnahme von einer »rezessiven Situation« der Werbemärkte.

KI helfe vor allem den großen Tech-Plattformen, warnte der Chef von Deutschlands größter inhabergeführter Kommunikationsagentur. Konzerne wie Google und Meta verfügten über die passende Technologie, eine globale Reichweite und ausreichend Daten, während in Europa der Umgang mit Nutzerinnen- und Nutzer-Daten regulatorisch stark eingegrenzt werde. Stephan Schmitter, Chief Executive Officer von RTL Deutschland, ergänzte, während in den USA Amazon und Netflix »über Nacht« entscheiden würden, Streaming-Werbung künftig gemeinsam zu vermarkten, dauere es in Deutschland Monate, bis im Fall einer möglichen Sky-Übernahme durch RTL eine Entscheidung getroffen werde. Der RTL-Geschäftsführer mahnte deshalb Deregulierung und mehr Tempo an.

Dr. Christian Wegner, Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags, berichtete, sein Unternehmen habe sich frühzeitig entschieden, vor allem auf Abonnement-Einnahmen statt auf Werbe-Erlöse zu setzen. Das zahle sich jetzt aus. Bereits in fünf Jahren wolle sich das Verlagshaus komplett aus digitalen Erlösen finanzieren. Das sei möglich, weil die Süddeutsche Zeitung (SZ) inzwischen mehr Abonnenten und Abonnentinnen habe als je zuvor habe. Dennoch klagte auch der SZ-Geschäftsführer über die Macht der KI-Konzerne. OpenAI und Perplexity würden ihre Inhalte mit Rückgriff auf Inhalte fremder Medienunternehmen generieren. Deshalb sei ein finanzieller Ausgleich erforderlich und die KI-Plattformen müssten dazu gezwungen wer den, ihre Algorithmen so offenzulegen, dass sich deren Bots »lenken« ließen.

Dass Künstliche Intelligenz künftig einen wachsenden Einfluss auf Werbemärkte haben wird, ist nicht zu übersehen. Aber was bedeutet das für die Qualität der Medienangebote? Serviceplan-Geschäftsführer Florian Haller sprach sich dafür aus, nicht mehr von Qualitäts-, sondern von Vertrauensmedien zu sprechen.
Schließlich sei Vertrauen die zentrale Währung. Christian Wegner prophezeite, dass in Zeiten der KI-Dominanz im Social-Media-Sektor menschliche Kommunikation umso wichtiger werde. Je mehr Kl-lnhalte es gebe, desto mehr müsse Journalismus »bei den Menschen sein«, sagte Florian Hager. Der ARD-Vorsitzende und Intendant des Hessischen Rundfunks forderte zu einem »Schulterschluss« zwischen Verlagen und öffentlich-rechtlichen Programmanbietern auf. Dabei gehe es darum, der Öffentlichkeit die Verbindungen zwischen der Demokratie und einem freien Mediensystem darzustellen.









