Festival, Veranstaltung: 03.06.2021

Filmfest München 2021: Reihe »Neues Deutsches Kino«

Das Filmfest München zeigt in der Reihe »Neues Deutsches Kino« 14 deutsche Produktionen als Weltpremieren.

Die deutsch-deutsche Geschichte bildet dabei einen vielschichtigen Themenkern, ob als Tragikomödie, Biopic oder Drama. In weiteren Werken wird hintergründig die Reibungsfläche zwischen dem Individuum und der Gesellschaft ausgelotet.

Christoph Gröner, Künstlerischer Leiter Filmfest München.

»Die Filme erforschen die Möglichkeit des Hier und Jetzt – selbst wenn sie bisweilen historisch grundiert sind. Wir freuen uns, dass wir sehr kraftvolle Lebenszeichen des deutschen Kinos so geballt dem Publikum präsentieren können – ob sozialrealistisch, absurd oder auch sehr poetisch«, kommentiert Christoph Gröner, Künstlerischer Leiter des Filmfests München seine Auswahl.

»Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber / wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber /« beginnt eines der bekanntesten Zitate von Thomas Brasch, der sich mit den komplexen Zuständen in der DDR und der Bundesrepublik beschäftigte. Der kunstvolle Schwarz-Weiß-Film »Lieber Thomas« von Andreas Kleinert porträtiert den rebellischen Schriftsteller (Albrecht Schuch) assoziativ, collagiert mit Auszügen aus dessen Werken. Er wird die Reihe Neues Deutsches Kino eröffnen.

©Filmfest München / Franziska Stünkel / alamode film
Lars Eidinger in »Nahschuss«.

In »Nahschuss« von Franziska Stünkel spielt Lars Eidinger den von Werner Teskes Leben inspirierten DDR-Karrieristen Franz Walter, der zwar in der Stasi immer weiter aufsteigt, aber schnell mit seinen Taten zu hadern beginnt. Als Walter tanzt, heult und schreit Lars Eidinger – aus Sicht des Festivals ein weiterer Höhepunkt in seiner Schauspielkarriere.

In »Das Mädchen mit den goldenen Händen« wünscht sich Gudrun die beschauliche Ost-Vergangenheit eigentlich zurück. In ihrem Regiedebüt zeichnet Katharina Marie Schubert eine unbeugsame Frauenfigur, besetzt mit Corinna Harfouch, und vermisst dabei den Graben zwischen Ost und West.

Weiter zurück in die deutsche Geschichte geht »Schattenstunde«. Regisseur Benjamin Martins zeigt in seinem intensiven Kammerspiel die Verzweiflung des Dichters Jochen Klepper (Christoph Kaiser), der für sich, seine Frau und seine Stieftochter – beide Jüdinnen – im nationalsozialistischen Deutschland nur noch einen Ausweg sieht…

©Filmfest München
»Ivie wie Ivie« wirft einen Blick auf Alltagsrassismus und Identitätskrisen.

Natürlich spielt das Thema Diversität und Identität ebenfalls eine zentrale Rolle in der Reihe »Neues Deutsches Kino« 2021. Sarah Blaßkiewitz wirft in ihrem Erstlingswerk »Ivie wie Ivie« einen spielerischen Blick auf Alltagsrassismus und Identitätskrisen: Ivie (Haley Louise Jones) hat plötzlich eine (Halb-)Schwester – das bringt ihr Leben ordentlich durcheinander. Sie fühlt sich fremd im eigenen Freundeskreis und im eigenen Leben.

Auch die Beziehung der Freundinnen in»Viva Forever« ist nicht mehr wie früher. Regisseurin Sinje Köhler entführt in ihrem selbst geschriebenen Langfilmdebüt an den sonnigen Gardasee. Hier muss eine Clique von Endzwanzigerinnen feststellen, dass sie sich alle verändert haben. »Generation Beziehungsunfähig«, der zweite Film von Helena Hufnage, widmet sich der Generation Tinder. In dieser Komödie, basierend auf dem titelgebenden Bestseller-Sachbuch von Autor Michael Nast, arbeiten sich Frederick Lau und Luise Heyer als »odd couple« mit viel Wortwitz aneinander ab.

©Filmfest München/mindjazzpictures/Antje Kroeger
»Trans —i got Life«

Zwei Dokumentarfilme gehen direkt und einfühlsam zugleich der Frage der Geschlechteridentität nach. »Trans —I got Life« von den Regisseurinnen Imogen Kimmel und Doris Metz begleitet Transmenschen auf dem Weg zu sich selbst und zeigt Höhen und Tiefen im Prozess der Geschlechtsangleichung.

»Das starke Geschlecht« nimmt sich derer an, die sich in ihrer Sexualität vorgeblich sicher fühlen: heterosexuellen Männern. Regisseur Jonas Rothlaender bringt die Protagonisten mit den schriftlich festgehaltenen Fantasien anderer Männer aus der Fassung und somit zum Reden – über die eigenen Unsicherheiten und Erfahrungen.

Auf eine neue Reise geht es für Comedy-Schauspielerin Anke Engelke. Im Drama »Mein Sohn« agiert sie als verzweifelte, leicht eingefahrene Mutter. Lena Stahl schickt ihre Protagonistin mit ihrem nach einem Unfall im Rollstuhl sitzenden Sohn auf einen Roadtrip durch ein ungewohntes Deutschland.

Das Filmfest München hat sich bei seiner diesjährigen Ausgabe auch mit bekannten und beliebten Open-Air-Kinos zusammengetan.

In weiteren Filmen der Reihe wird Spießbürgerlichkeit thematisiert und auf die Schippe genommen. »«von Dietrich Brüggemann zeigt in raffinierten Tableau-Bildern und One-Shot-Szenen mit trockenem Humor die Nöte eines Paars: ein schwarzhumoriges Bild einer Generation, die an der Utopie des perfekten Lebens scheitert.

Auch Helga (Ulrike Willenbacher) in »Monday um zehn« ist durchgerutscht. Sie ist durch den Boden ihres Wohnzimmers gekracht und steckt nun fest. Eine Metapher auf ihr festgefahrenes Leben. Regisseurin Mareille Klein blickt mit jeder ironischen Drehbuchzeile hinter die Fassade deutscher Bourgeoisie.

Das Filmfest findet in diesem Jahr vom 1. bis zum 10 Juli statt.

Besonders expressionistisch reflektiert Regisseur Nikias Chryssos über deutsche Sauberkeitsmythen: Statt an »schmutzigen Gedanken« sind die Sektenmitglieder in »A pure Place« an der absoluten Reinheit interessiert. Die Geschwister Irina und Paul wollen sich aus den Fängen der Sekte befreien – und Belgiens Star Sam Louwyck beeindruckt als Sektenführer Fust.

Mit Patina und kultigem Lebensgefühl zieht »Heikos Welt« hat Dominik Galizia inszeniert, der seinen Protagonisten darts-spielend durch die Bars ziehen lässt. So richtig gut ist er erst, wenn er ein paar Bier und »Futschis« intus hat. Aber er braucht das Preisgeld für die Augen-Operation seiner Mutter.

Der Förderpreis Neues Deutsches Kino (mit den Kategorien Regie, Produktion, Drehbuch, Schauspiel) wird auch in diesem Jahr wieder verliehen. 

Alle Filme der Reihe Neues Deutsches Kino 2021
  • »Generation Beziehungsunfähig«
    von Helena Hufnagel, Deutschland 2021 / Buch Hilly Martinek, Helena Hufnnagel
  • »Heikos Welt«
    von Dominik Galizia, Deutschland 2021 / Buch Dominik Galizia
  • »Ivie wie Ivie«
    von Sarah Blaßkiewitz, Deutschland 2021 / Buch Sarah Blaßkiewitz
  • »Lieber Thomas«
    von Andreas Kleinert, Deutschland 2020 / Buch Thomas Wendrich
  • »Das Mädchen mit den goldenen Händen«
    von Katharina Marie Schubert, Deutschland 2021 / Buch Katharina Marie Schubert
  • »Mein Sohn«
    von Lena Stahl, Deutschland 2019 / Buch Lena Stahl
  • »Monday um zehn«
    von Mareille Klein, Deutschland, Schweiz 2021 / Buch Mareille Klein
  • »Nahschuss«
    von Franziska Stünkel, Deutschland 2021 / Buch Franziska Stünkel
  • »Nö«
    von Dietrich Brüggemann, Deutschland 2020 / Buch Anna & Dietrich Brüggemann
  • »A Pure Place«
    von Nikias Chryssos, Deutschland, Griechenland 2019 / Buch Nikias Chryssos
  • »Schattenstunde«
    von Benjamin Martins, Deutschland 2020 / Buch Benjamin Martins
  • »Das starke Geschlecht«
    von Jonas Rothlaender, Deutschland 2020
  • »Trans – I got Life«
    von Imogen Kimmel, Doris Metz, Deutschland 2021
  • »Viva Forever«
    von Sinje Köhler, Deutschland 2021 / Buch Sinje Köhler

Bildrechte
Filmfest München / Franziska Stünkel / alamode film (1), Filmfest München/mindjazzpictures/Antje Kroeger (1), Filmfest München (1)

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