Kamerasupport, Top-Story, Trend, VFX: 21.02.2001

Motion Control: Basis vieler VFX

Die Umsetzung der umfangreichen Visual Effects, mit denen heute in Werbung und Kinofilmen gearbeitet wird, beginnt in vielen Fällen schon am Drehort: Motion-Control-Systeme bewegen dabei die Kamera.

Schon seit der Erfindung des Cinematographen beruhen viele Filmtricks auf der Überlagerung mehrerer Aufnahmen. Jahrelang wurde dazu die Filmkamera statisch fixiert (»locked off«), es wurde mit unbewegter Kamera aufgenommen. Die Motion-Control-Technik ermöglicht das passgenaue Überlagern mehrerer Aufnahmen auch bei bewegter Kamera, selbst wenn sehr komplexe Kamerafahrten durchgeführt werden.

Motion-Control-Systeme sind motorisierte, computergesteuerte Kamerakräne, mit denen sich vorprogrammierte Kamerabewegungen exakt ausführen und mehrfach hintereinander wiederholen lassen. Dabei sind die Bewegungen auch schrittweise und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausführbar. Als Kameras kommen verschiedene Film- und Videosysteme in Frage. Zudem ist es auch möglich, mit einem Motion-Control-System nicht die Kamera, sondern die Aufnahmeobjekte zu bewegen.

Heute werden verschiedene Bildebenen (Layer) in der Regel beim digitalen Compositing miteinander kombiniert. Voraussetzung für glaubhafte, realistische Bildwirkung ist dabei die exakte Übereinstimmung von Perspektive und Kamerabewegung in allen Ebenen: Die jeweiligen Fahrten müssen alle sowohl räumlich wie auch zeitlich absolut identisch sein, da ansonsten einzelne Bildelemente relativ zu anderen »schwimmen«, also im Verlauf der Szene eine unerwünschte Eigenbewegung aufweisen.

Um exakt gleiche Bewegungsläufe mehrfach reproduzieren zu können, ist die Motion-Control-Technik auf das Zusammenspiel von drei Hauptkomponenten angewiesen: Mechanik, Elektronik und Datentechnik. Der eigentliche Kran muss verwindungsfest und biegesteif konstruiert sein, es müssen exakt gleichmäßig laufende Schritt- oder Gleichstrommotoren verwendet werden und es sind spielfreie Präzisionsgetriebe nötig. Die elektronische Komponente umfasst im wesentlichen die Motorensteuerung. Eine Computer-Steuerung ermöglicht Speicherung und Abruf von Bewegungsabläufen des Krans. Erst das perfekte Zusammenspiel aller Komponenten ermöglicht es, Kamerabewegungen millimetergenau zu programmieren und beliebig oft zu wiederholen.

Es gibt drei grundsätzliche Kontruktionsweisen für Motion-Control-Systeme: XYZ-Systeme, die aus drei rechtwinklig zueinander angeordneten Schienensystemen bestehen, sind meist fest in Studios installiert. Boom/Swing-Systeme ähneln einem herkömmlichen Kamerakran der auf Schienen bewegt wird. Dolly-Systeme bestehen aus einem Schienen-Dolly und aufgesetztem Jib-Arm.

Bei allen Systemen sitzt die Kamera selbst auf einem Kamerakopf mit zwei oder drei Rotationsachsen. So sind horizontale und vertikale Schwenks möglich (Pan, Tilt), sowie die Rotation der Kamera um die optische Achse (Roll). Die meisten Kameraköpfe erlauben die Montage von Videokameras und Camcordern ebenso wie das Montieren einer Filmkamera im16-mm-, 35-mm- oder VistaVision-Format.

Sämtliche Kamerafunktionen werden vom Steuer-Computer des Motion-Control-Systems aus fernbedient. Bei Filmkameras sind das neben Schärfe, Iris-Blende und Zoom auch Aufnahmegeschwindigkeit und Umlaufblenden-Winkel. Bei gut ausgestatteten Systemen kann der Steuer-Computer zudem weitere Geräte wie Drehteller sowie licht- und pyrotechnische Effekte bildgenau steuern.

Besonders bei Produktaufnahmen (Packshots) im Makrobereich ist der Einsatz von Motion Control von Vorteil oder sogar unabdingbar, da sowohl die genaue Kameraposition im Sub-Millimeterbereich, als auch die exakte Fokussierung programmiert werden kann.
Weiteres Plus: Motion Control ermöglicht bei statischen Aufnahmeobjekten die freie Wahl der Belichtungszeit. Wenn aufgrund längerer Belichtungszeit weniger Bilder pro Sekunde aufgenommen werden können, bewegt man einfach die Kamera langsamer und erreicht so bei der Vorführung die gleiche Geschwindigkeit des Bewegungsablaufs. Auch mit kleinen und/oder wenigen Lichtquellen können so Aufnahmen mit großen Blendenwerten und dadurch mit ausreichender Schärfentiefe realisiert werden.

Am häufigsten wird Motion Control eingesetzt, wenn mehrfach hintereinander die exakt gleiche Kamerafahrt wiederholt werden muss. Ein einfacher und bekannter Anwendungsfall hierfür sind Doppelgängeraufnahmen. Wenn dasselbe Objekt oder dieselbe Person mehrfach im Bild erscheinen soll, muss dies in mehreren Durchgängen aufgenommen werden, bei denen die Hintergründe und die Kamerabewegungen exakt gleich bleiben.

Ebenso lassen sich aus zwei Fahrten durch das gleiche Set, das einmal »leer« und einmal »bevölkert« ist, Ein- und Ausblend-Effekte im Verlauf einer Kamerafahrt verwirklichen: Da sich die Kamera bei beiden Durchgängen zu jedem Zeitpunkt der Fahrt in der exakt gleichen Position befindet, und somit den gleichen Bildausschnitt erfasst, verändern sich bei der Überblendung vom einen in den anderen Durchgang nur die Bildelemente, in denen sich das Set zwischen den beiden Durchgängen unterscheidet. Es entsteht also eine durchgehende Fahrt, während der einzelne Objekte erscheinen oder verschwinden.

Eine im fertigen Film als durchgehend gezeigte Fahrt kann mit einem Motion-Control-System bei der Aufnahme in beliebig viele Einzelteile zerlegt werden, bis zur Einzelbild-Aufnahme. Das ist besonders bei Modellaufnahmen von Vorteil: Die Kamera kann sich dadurch stückweise durch ein Modell arbeiten und man kann nicht mehr im Bildausschnitt sichtbare Teile entfernen, die die weitere Fahrt verhindern oder erschweren würden.
Zudem besteht die Möglichkeit, die Geschwindigkeit der Fahrt auf den Modellmaßstab umzurechnen und somit Real- und Modellaufnahmen in der selben Bildkomposition zu vereinigen (Set-Erweiterung). Das erspart oft aufwendige Set-Bauten.

Im Zeitalter der computer-generierten Bilder kommt ein großer Vorteil von Motion-Control-Systemen gegenüber herkömmlichem Grip-Equipment zum Tragen: Es können Bewegungsdaten zwischen der realen und der virtuellen Welt ausgetauscht werden.
Sollen Realaufnahmen mit computer-generierten 3D-Elementen kombiniert werden, besteht die Möglichkeit, die Bewegungsdaten der Motion Control bildgenau ins Computer-System zu exportieren. Das beschleunigt und erleichtert die Kombination der Bildteile, aufwendiges Motion-Tracking kann vermieden werden. Die Daten können am Set gesichert und via Datenträger ans 3D-System geliefert werden. Aber auch die Übertragung in Echtzeit schon während des Drehs ist möglich, was bei modernen Systemen eine erste Kontrolle des späteren Compositings schon am Set ermöglicht.
Auch der umgekehrte Weg ist gangbar: 3D-Bewegungsdaten können in den Steuer-Computer eines Motion-Control-Systems importiert werden. Bei entsprechender Vorbereitung ist es dadurch unerheblich, ob die Realaufnahmen oder die Computergrafik-Elemente zuerst hergestellt werden. Wichtig ist dabei aber, dass alle Beteiligten wissen, was sie tun, denn in der virtuellen Welt lassen sich Fahrten und Bewegungsdaten vorgeben, die sich in der Praxis dann mit dem Motion-Control-System nicht oder nur unter extrem gesteigertem Aufwand realisieren lassen.

Tim Mendler, dessen Web-Site www.timefx.de die Quelle dieses Artikels ist, hat an der Brüsseler Filmhochschule das Fach Kamera studiert. Nach Praktika und zweijähriger Tätigkeit als Kameraassistent arbeitet er seit 1997 freiberuflich als Motion Control Operator. Mendler hat Aufträge für Aardman Animations (Bristol), Anyway B (Brüssel), Clayart (Frankfurt), Excalibur (Paris) und Magicmove (München) ausgeführt.
Im Bereich Motion Control hat Tim Mendler an zahlreichen Musikvideos und Werbespots mitgewirkt, aber auch an den Spielfilmen »The 13th Floor«, »Im Anfang war der Blick« und »The Patriot«.
Weitere Informationen über Tim Mendler und seine Arbeit bietet seine persönliche Web-Site www.timefx.de.

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