Software-basierte Liveproduktion: Chancen und Risiken
Was ist Software-basierte Liveproduktion, und welche Vorteile bietet sie? Andreas Lattmann, Co-Leiter Produktionstechnologie SRF, hat Antworten.
Welche Unterschiede bestehen zwischen einer klassischen Regie, einer Software basierten Regie und eines Studio in a Box? Welche Vorteile aber auch Herausforderungen bietet eine solche Architektur? Andreas Lattmann, Co-Leiter Produktionstechnologie SRF, präsentierte während der PostNAB in Zürich eine umfassende Analyse der softwarebasierten Liveproduktion und evaluierte deren Potenzial für die Zukunft der Medienproduktion. Der Vortrag beleuchtete sowohl die technischen Möglichkeiten als auch die strategischen Überlegungen beim Übergang von hardwarebasierten zu softwaredefinierten Produktionsumgebungen.
Andreas Lattmann über Software-basierte Liveproduktion.
Kernproblem der heutigen Regieproduktion
Das zentrale Problem aktueller Regiesysteme liege in ihrer Dimensionierung für Extremfälle, so Andreas Lattmann. Diese Systeme werden für seltene Spitzenlasten ausgelegt, die etwa fünfmal pro Jahr bei Events wie Olympischen Spielen, Wahlen oder großen Unterhaltungssendungen auftreten, sagt er, was zu einer ineffizienten Ressourcennutzung im Normalbetrieb führe. Besser wäre hingegen eine Architektur, ein System, das den Standardfall optimal abdeckt und Spitzenlasten flexibel und dynamisch bewältigen kann. Genau hier kommt die softwarebasierte Liveproduktion ins Spiel.
Traditionelle vs. Softwarebasierte Regiestruktur
Traditionelle Regiesysteme zeichnen sich dadurch aus, dass jede Funktionalität dedizierte Hardware mit spezifischer Software benötigt. Diese enge Kopplung zwischen Hard- und Software führt aber zu proprietären Herstellerlösungen, so Lattmann.

Während dies Vorteile wie garantierte Leistung, klare Schnittstellen und hohe Fehlertoleranz bietet, entstehen erhebliche Nachteile durch die Skalierung auf maximale Auslastung, begrenzte Ressourcenzuweisung, hohen Support-Aufwand und geringe Flexibilität bei Änderungen.
Softwarebasierte Produktion hingegen abstrahiert den Hardware-Layer durch eine IT-Plattform mit einem festen Anteil für den Normalfall und einem variablen Anteil für Spitzenlasten, erläutert Lattmann. Der kritische Erfolgsfaktor liegt im übergreifenden Ressourcenmanagement, das über die Verfügbarkeit von Rechenleistung für zusätzliche Funktionen entscheidet und eine optimale Verteilung der Computing-Ressourcen ermöglicht. Cross-Vendor-Kompatibilität ist dabei derzeit allerdings noch limitiert, urteilt Lattmann.
Vorteile der Software-basierten Lösung
Als technische Vorteile einer software-basierten Liveproduktion wertet Lattmann erhöhte Flexibilität durch dynamische Ressourcenzuteilung, verbesserte Skalierbarkeit mit schrittweiser Erweiterungsmöglichkeit, sowie Kosteneffizienz durch die Nutzung von Moore’s Law und Standard-IT-Hardware. Zudem reduziert sich die Vendor-Abhängigkeit aus seiner Sicht erheblich.

Betriebsseitig entstehen Vorteile durch die Standardisierung auf Industriestandards, vereinfachte Automatisierung bei Software-Rollouts und Sicherheitsupdates, erleichterte KI-Integration durch eine einheitliche technische Basis und reduzierte Wartungskomplexität durch weniger verschiedene Systeme, so Lattmann. Er führt weiter aus, dass dieser Ansatz zudem auf Cloud-Migration vorbereitet.
Herausforderungen und Risiken
Andreas Lattmann sieht natürlich auch Herausforderungen und Risiken. Die Implementierung erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, da einzelne Software-Komponenten keinen Vorteil bringen. Hersteller müssen den Transformationsprozess aktiv mittragen, und das IT-Ökosystem muss sorgfältig evaluiert werden. Weiter sind technisch stabile Netzwerke mit hohen Bandbreitenanforderungen für Live-Video erforderlich, wobei Latenz-Management besonders bei Cloud-Implementierungen kritisch ist.
Organisatorisch werden neue, IT-orientierte Kompetenzen wichtiger, Cybersecurity-Anforderungen steigen, Betriebsmodelle müssen angepasst werden, und traditionelle Rollen werden durch IT-Fachkräfte ergänzt oder ersetzt.
Technisch empfiehlt er komprimierte Übertragung für Cloud-Anwendungen und die Bevorzugung offener Standards wie SRT oder JPEG XS gegenüber proprietären Protokollen.
Standardisierung und Marktentwicklung
Auf europäischer Ebene engagiert sich SRF in der EBU Dynamic Media Facility Initiative. Konkrete Projekte umfassen die Entwicklung von Speicher-Sharing zwischen Applikationen ohne redundante Stream-Übertragung. Andreas Lattmann hält solche europäischen Initiativen für enorm wichtig, wenngleich er anmerkt, dass sich zeigen müssen, wie man sich gegenüber globalen Standards durchsetzen könne.
Fragen aus dem Publikum
Aus dem Publikum kam die Frage, ob angesichts aktueller politischer Entwicklungen in den USA die Abhängigkeit von amerikanischen Cloud-Anbietern wie AWS, Azure oder Google Cloud nicht ein strategisches Risiko darstelle. L

attmann sagt dazu, dass Cloudlösungen ja auch private Cloud-Modelle mit selbst betriebener IT-Infrastruktur umfassen könnten, aber auch die Entwicklung europäischer Cloud-Initiativen und Hybrid-Modelle, die verschiedene Ansätze kombinieren.
Strategisch wichtig ist seiner Meinung nach die Erkenntnis, dass Abhängigkeiten auf verschiedenen Ebenen existieren, von Software über Hardware bis hin zu Chips. Die entscheidende Frage lautet, auf welchem Stack Unabhängigkeit angestrebt werden soll.
Fazit und Ausblick
Lattmann zieht das Fazit, dass die definierten Ziele grundsätzlich erreichbar sind, wobei Kosteneffizienz und Skalierbarkeit die Haupttreiber darstellen.

Der Ansatz ermöglicht schnellere Innovation und erhöhte Anpassungsfähigkeit, erfordert aber neue Kompetenzen und Betriebsmodelle. Als Erfolgsfaktoren identifiziert er offene Standards als Grundlage, Unterstützung durch das Anbieter-Ökosystem, konsequente Umsetzung ohne Stückwerk-Ansatz und den Aufbau neuer IT-Kompetenzen.
Seine strategische Empfehlung sieht den Übergang zu softwarebasierter Produktion als zweistufigen Prozess: zunächst lokale Virtualisierung, dann Cloud-Migration. Die Transformation erfordert einen ganzheitlichen Ansatz und kann nicht in Einzelschritten erfolgen, da nur die komplette Umstellung die erhofften Effizienzgewinne bringt, resümiert Lattmann.