Editorial, Kommentar, Top-Story: 02.07.2011

Kein Sommermärchen?

Das gestrige WM-Spiel der deutschen Fußballfrauen wurde allgemein eher als enttäuschend bewertet — aber die TV-Quote stimmte: Die Begegnung der deutschen Frauenelf mit der Mannschaft aus Nigeria schaffte einen Marktanteil von 46,3 % der 14- bis 49-Jährigen und sogar 51,7 %, wenn man alle TV-Zuschauer ab drei Jahren zugrunde legt.

Insgesamt sahen demnach 16,39 Millionen TV-Zuschauer in Deutschland das Spiel. Das waren nochmal 2,3 Millionen mehr als beim Eröffnungsspiel am vergangenen Sonntag. Das gestrige, siegreiche, aber von praktisch allen Komentatoren als schlecht gewertete Spiel erreichte somit die bislang höchste Zuschauerzahl, die ein Frauenfußballspiel jemals im deutschen Fernsehen schaffte.

Die momentan in den Medien meist gebrauchte Metapher vom »Sommermärchen« aber, sie läuft dennoch ins Leere: Es ist einfach nicht wahr, dass das Stimmungsbarometer auch nur annähernd die Werte der Männer-WM von 2010 erreicht hätte. Die vielbesungenen »Fahnenmeere« sind eher kleine »Fahnentümpel«, die meisten Fußballfans haben ihre Autofahnen und Spiegelsocken in der Garage gelassen — oder schon entsorgt und keinen Nachschub beschafft. Auch der Anteil der Nationaltrikotträger im normalen Straßenbild ist bislang noch sehr begrenzt.

Woran das liegen mag, darüber haben sich schon zahlreiche, auch sehr namhafte Kolumnisten Gedanken gemacht — gern mit Zahlenspielen und halb entschuldigend vorgebrachten »Ja-Aber«-Argumentationsketten garniert, die in der Mehrzahl darauf hinauslaufen, dass Frauenfußball eben einfach nicht so interessant sei wie Männerfußball und dass außerdem der ganze Starrummel fehle, weil kaum einer die Spielerinnen kenne.

Ein Dilemma: Selbst enttäuschende Frauenfußballpiele erreichen Rekordquoten, aber es will keine Stimmung aufkommen. Also wird in den Medien gebetsmühlenartig ein »Sommermärchen« herbeigeredet, um das drohende Sommerloch zu füllen. Dafür wird auf allen Kanälen geballert, von »Bild« bis »Playboy«  — und öffentlich-rechtliches Gebührengeld wird für Plakatkampagnen ausgegeben, die eigentlich eher die Fifa oder der DFB bezahlen sollten.

So oder so: Fußball zieht im deutschen Fernsehen offenbar immer — besonders dann, wenn er zur nationalen Aufgabe hochstilisiert wird. Mal sehen, wie sich dagegen Wladimir Klitschko und David Haye behaupten können. Sie steigen am Samstag in den Boxring, nachdem ihr Fight im Vorfeld schon durch allerhand lächerliche Faxen emotional aufgeladen und als »The War« und Verteidigung einer ukrainische Familienehre vermarktet wurde. Das ist nicht zuletzt auch ein Quotenkampf.

Sie werden sehen.