Editorial, Kommentar, Top-Story: 25.09.2014

»Die erfolgreichste IBC aller Zeiten«

Mit 55.092 Besuchern habe man in diesem Jahr mehr Besucher als je zuvor bei einer IBC verzeichnet, gab der Veranstalter dieser Broadcast-Messe bekannt. Somit habe man die erfolgreichste IBC aller Zeiten erlebt. Die hohe Besucherzahl entspreche einem Besucherwachstum um 4% gegenüber dem Vorjahr 2013, gab die Messeorganisation dieser Tage bekannt.

Ja, auch die Redaktion und die meisten unserer Gesprächspartner hatten den Eindruck, dass die Messe in Amsterdam in diesem Jahr insgesamt ganz ordentlich besucht war. Den offiziellen Besucherzahlen stehen wir jedoch — wie auch in früheren Jahren schon — mit großer Skepsis gegenüber. 

Außerdem: Die erfolgreichste IBC aller Zeiten? Könnte die Besucherzahl dafür überhaupt als Maß gelten, selbst wenn sie korrekt wäre? Ist »mehr Besucher« bei einer Fachmesse mit Erfolg gleichzusetzen? Eher nicht: Wichtiger, als einfach nur eine große Masse an Gästen am Stand begrüßen zu können, ist es doch, dass die Richtigen kommen, die verstehen, worum es geht und die Entscheidungen treffen oder Entscheidungsträger beeinflussen können.

Aber dem Größenwahn- und Übertreibungsduktus, der auf Messen üblich ist, passen sich eben auch die Veranstalter an. Auch an den Ständen werden ja angeblich ständig revolutionäre Produkte und Technologien präsentiert, die alles Dagewesene übertreffen, ja bei weitem in den Schatten stellen und die ganze Branche umwälzen. Awesome! Amazing! Wow!

Ein neues Feature an einem Camcorder  — und schon bleibt angeblich nichts mehr, wie es war. Das Filmemachen wird ganz nebenbei ständig weiter demokratisiert. Völlig neue Tools ermöglichen sehr viel kreativere Perspektiven: Wie konnten ohne Stabilizer-Rigs jemals Filme gedreht werden? Und dann natürlich die Software: Zack, boom, online! Supereffizient, alles easy.

Und all diese Innovationen zusammengenommen, sie bilden die Grundlage für zahllose neue, vielversprechende Business-Modelle, die sich in der digitalen Welt eröffnen. Man muss sie nur noch ergreifen, alles andere erledigt sich von selbst.

Da fragt man sich natürlich unwillkürlich, weshalb sich dann einige Teile der Branche immer weiter de-professionalisieren und warum etliche Branchenzweige sogar schon ziemlich am Boden liegen und auf dem Zahnfleisch daherkommen. Weil sie allesamt die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben? In Wahrheit ist das alles sehr viel komplexer, als es im Messe- und Kongresskontext dargestellt wird.

Ganz langsam kann sich die Branche nun aber zumindest wieder vom Messegedöns erholen: IFA, IBC, Photokina und Cinec liegen nun hinter uns — und die Redaktion von film-tv-video.de, die sich auf zwei dieser Veranstaltungen beschränkt hat, wird sich in den kommenden Wochen alle Mühe geben, die zahlreichen Messeneuheiten von unnötigem Ballast zu befreien und aufs wesentliche zu reduzieren, bevor sie bei film-tv-video.de online gehen.

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller
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