Kommentar, Top-Story: 01.05.2003

Die Bananen-Medienrepublik

Kabarettisten und Journalisten teilen in mindestens einem Punkt ein gemeinsames Schicksal: Die meisten von Ihnen hadern in bestimmten Phasen ihres beruflichen Werdegangs mit der Frage nach dem Sinn ihrer Tätigkeit im Allgemeinen und im Besonderen mit dem Eindruck, dass sie absolut nichts bewirken. In diesem Zusammenhang bleibt bei den folgenden Absätzen keine Frage offen: Das dort Geschriebene wird wohl absolut nichts bewirken, wenn man vielleicht von der einen oder anderen empörten E-Mail absieht. Trotzdem glaubt die Redaktion, dass das Thema spannend ist und man darüber reden sollte.

Die Insolvenz der KirchGruppe bringt unter anderem auch ein Thema aufs Tapet, das sich wie ein roter Faden durch die Medienszene zieht: Korruption und Bestechung sind große Worte, deshalb sollte man vielleicht eher von erkauften Beziehungsgeflechten und Gefälligkeiten sprechen.

Das fängt ganz oben an, so kommen derzeit nach und nach diverse Beraterverträge ans Licht, die Kirch-Firmen unter anderem auch mit Politikern und anderen politisch aktiven Personen abgeschlossen haben. Glaubt man den Informationen der Süddeutschen Zeitung, hatten unter anderem der frühere Finanzminister Theo Waigel und Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl solche Verträge, doch beide waren offenbar so klug, diese Verträge erst nach ihren Amtszeiten ab zu schließen. Ebenfalls Berater der KirchGruppe, aber dem Vernehmen nach auch zu Zeiten auf Kirchs Honorarliste, als er beim ZDF aktiv war: Wilfried Scharnagl, Ex-Chefredakteur der CSU-Parteizeitung Bayernkurier. Als ZDF-Fernsehrat war Scharnagl maßgeblich beteiligt an der Aufführung des »Intendantenstadels« beim ZDF, mit dem noch einmal eindrucksvoll vorgeführt wurde, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland zur Beute der Parteien geworden sind.

Noch während die Finanzprobleme kulminierten und schon massenhaft Mitarbeiter entlassen wurden, die nun immer noch auf der Straße stehen, zahlten Kirch-Firmen also üppige Honorare an diverse Berater. Die wiederum können sich jetzt teilweise leider gar nicht mehr so genau erinnern, in welchen konkreten Angelegenheiten sie denn beratend tätig waren.

Das Thema ist aber keineswegs regionaltypisch oder auf einen Teil des Parteienspektrums begrenzt, auch die Fließrichtung der Gaben ist variabel: Man muss nicht lange recherchieren, um hinter vorgehaltener Hand von vielen Branchen-Insidern spannende Geschichten zu den Themen Subventionsruine HDO in Oberhausen oder zu diversen Kölner Medienaktivitäten im SPD-regierten Nordrhein-Westfalen zu hören. Auch das High-Tech-Center Babelsberg liefert bundesweit Stoff zu diesem Themenkomplex und die im Rest der Republik als eher kühl geltenden Hanseaten aus Hamburg steuern ebenfalls ihren Teil an zweifelhaften Verflechtungen unterschiedlichster Art bei. Letztlich muss man wohl neben anderen Rückschlüssen auch resümieren, dass ganz besonders überall dort, wo Lokalpolitiker zur Medienstandortsicherung in die Wirtschaft eingreifen, Tür und Tor für jeglichen Missbrauch weit geöffnet sind.

Wer immer noch glauben sollte, dass persönliche Vorteilsnahme in Europa hauptsächlich im Süden und Osten beheimatet ist, der ignoriert ganz offenbar den großen Fundus an Stories, die beinahe jeder Vertriebsmitarbeiter aus dem Medienbereich erzählen kann, wenn er nur will. Equipment-Leihstellungen sind dabei noch das harmloseste Mittel, denn davon können tatsächlich in vielen Fällen Hersteller wie potenzieller Kunde gleichermaßen profitieren. Das schmiedeeiserne Gartentor für denjenigen, der beim Sender entscheidet, welche Kassetten gekauft werden oder das Schnittsystem für den Nachwuchs des hochrangigen Fernsehmitarbeiters, sie liegen aber allesamt klar jenseits der Grenze. Damit soll keineswegs gesagt werden, dass sich solcherlei Aktivitäten auf die Broadcast-Szene beschränken, aus dem Film- und Studiobereich gibt es mindestens ebenso viele Geschichten zu berichten.

Dabei werden die Sitten offenbar zunehmend rauer. Was früher als kleine Gefälligkeit angenommen wurde, wenn die andere Seite sie anbot, wird mittlerweile immer öfter eingefordert. Auch in Deutschland wird mitunter unverhohlen Schmiergeld verlangt, ganz nach dem Motto: Was habe ich denn als Angestellter davon, wenn meine Firma die überteuerten Produkte Ihres Arbeitgebers kauft, lieber Sales-Mann?

Natürlich sind die Grenzen fließend, es gibt einen Toleranzbereich und eine große Grauzone. Wo man hier individuell die Grenzen zieht, sieht natürlich ganz unterschiedlich aus: Wer etwa jede Essenseinladung ablehnt, hat hehre Grundsätze, gilt aber bald als Sonderling. Und wer die Autoren dieses Newsletters für das Tragen von Hersteller-T-Shirts und die Verwendung von Taschen mit aufgestickten Firmenlogos der Käuflichkeit bezichtigt, dessen Maßstäbe sind so hoch, dass sie wohl nicht mehr als gängig gelten können.

Bedenklich ist aber eines: Das Augenmaß scheint sich in diesen Angelegenheiten immer weiter zu verschieben, immer öfter scheint es gar überhaupt keine Grenze mehr zu geben — und das macht langfristig aus großen Medienstandorten ganz kleine Bananen-Republiken, wenn nicht jeder Einzelne und auch der Gesetzgeber gegensteuern.

Sie werden sehen.