Branche, Top-Story: 01.03.2005

Die Kehrseite des Bären

Wer bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin in diesem Jahr die Preise abgeräumt hat, das wissen Sie entweder längst oder es interessiert Sie nicht wirklich. www.film-tv-video.de hat ein paar Infos und Eindrücke ganz anderer Art während der Berlinale gesammelt, die Sie an dieser Stelle vielleicht auch eher erwarten. Ein mit Fakten angereicherter Kommentar. (Mehr Infos als die Online-Version enthält die rund 390 kB große PDF-Vollversion, zum Download bitte am Textende auf den Datei-Namen klicken.)

Hätten die Plakate, die in diesem Jahr für die verschiedenen Sektionen der Internationalen Filmfestspiele warben, die Stimmung und Gefühlslage des hauptstädtischen Filmfestivals wiedergegeben, es wäre eine traurige Veranstaltung gewesen: Die seltsam sinnfreien Piktogramme, die eher zu den Berliner Verkehrsbetrieben als zum größten deutschen Filmfestival passen würden, schlugen keinerlei Brücke zum Kino, um das es doch bei der Berlinale geht. Wo kein Funke ist, kann auch keiner überspringen. Ob diese Plakate den Filmfestspielen genutzt haben, wird wohl nie zu klären sein, geschadet haben sie aber offenbar auch nicht: Rund 400.000 Zuschauer nahmen in den Kinosesseln Platz, um in insgesamt 1.100 Vorführungen 343 Filme zu sehen, so meldet es der Veranstalter, der eine positive Bilanz zieht: »Die Resonanz war größer denn je.«

Rund 180.000 Tickets wurden an zahlendes Publikum verkauft, den größeren Rest der Zuschauer stellten akkreditierte Filmschaffende, -händler, -verleiher und -journalisten. 17.000 akkreditierte Fachbesucher aus insgesamt 120 Ländern sind zur Berlinale gekommen: 1.000 Branchenvertreter mehr als in den Vorjahren tummelten sich demnach überwiegend auf der im Rahmen der Festspiele ebenfalls abgehaltenen Filmhandelsmesse European Film Market, die laut Pressemitteilung der Filmfestspiele »in allen Bereichen Zuwächse von ca. 30 %« verzeichnen konnte.

Ansonsten ging alles seinen Gang: Die Hauptjury unter dem Vorsitz von Roland Emmerich sowie einige Nebenjurys verliehen zahlreiche Preise, die Gewinner freuten sich. Schon während der Filmfestspiele machten aber Parolen die Runde, die dann munter weiter kolportiert wurden: Es handele sich im Veranstaltungsjahr 2005 von den Filmen her nur um einen mittleren Jahrgang, war die eine. Die andere besagte, der deutsche Film sei wieder schwer im Kommen.

Wie man sich während eines laufenden Festivals zu solchen Aussagen versteigen kann, die dann mit Inbrunst weiterverbreitet werden, gehört zu den unlösbaren Rätseln des Filmfestspielbetriebs, aber manch einer hört eben das Gras wachsen. Obwohl durchaus von den gleichen Personen vorgebetet, erweisen sich die beiden diesjährigen Berlinale-Mantras bei etwas schärferem Hinhören letztlich auch als widersprüchlich. Zusammengenommen würden sie ja bedeuten, es reichte dem deutschen Film in den Momenten, in denen er schwer im Kommen ist, gerade bis zum Mittelmaß.

Da weiß nun jeder, der einigermaßen regelmäßig ein Kino von innen sieht und dabei nicht nur Teenie-Blockbuster sieht, dass das ausgemachter Käse ist. So gab es in den vergangenen Jahren im Kino und auch während der Berlinale, etliche deutsche Produktionen zu sehen, die das Gegenteil beweisen. Hieraus wird in der Branche aber leider sehr oft auch ein übersteigertes Selbstbewusstsein gezogen, das manchmal auch über die Grenzen der Selbstüberschätzung hinaus, bis an den Größenwahn grenzt.

Schwierigkeiten hat also offenbar nicht nur die Berlinale als Festival damit, ein vernünftiges Selbstverständnis und eine realistische Selbsteinschätzung von sich zu gewinnen, dieses Problem zieht sich durch die ganze Branche – was aber vielleicht in der Natur der Sache liegt: Film hat eben in vielen Fällen auch einiges mit Selbstbespiegelung zu tun, ist eigentlich immer nach außen gerichtet und das wirkt auf die Beteiligten zurück – auf den einen stärker auf den anderen weniger stark.

Unter diesem Aspekt ist es vielleicht ganz gut, dass »Der Untergang« keinen Oscar bekommen hat – so schade das natürlich für die an diesem Film Beteililigten ist. Wäre der Oscar an diesen deutschen Film gegangen, der im Ansatz schon spürbare Größenwahn der »Deutscher-Film-ist-stark-im-Kommen«-Fraktion in der deutschen Filmbranche wäre wohl nur noch schwer zu bremsen gewesen – besonders bei denen, die nur peripher oder gar nicht an diesem Werk beteiligt waren.

Warum aber, außer um sich wichtig zu machen oder einfach aus beruflichen Gründen, gehen Leute denn zu Filmfestivals? Um mal ein paar Tage am Stück ins Kino zu gehen und dabei eine riesige Auswahl an Filmen aus aller Welt zur Verfügung zu haben. Um Filme zu sehen, die niemals ins heimische Kino oder Fernsehprogramm kommen werden, weil sie so gut oder auch weil sie so schlecht sind. Um etwas über andere Kulturen zu lernen. Um Gleichgesinnte oder (potenzielle) Geschäftspartner zu treffen. Um den eigenen Horizont zu erweitern und zu lernen.

So entsteht während eines Festivals wie der Berlinale eine bunte Mischung aus Menschen, die sehr gut unter sich bleiben könnten, wenn es nicht auch immer darum ginge, das Geld für die teuren Filmproduktionen wieder ein zu spielen. Also müssen publikumswirksame Maßnahmen her, die weit über das Festival hinausstrahlen. Hollywood macht es mit der Oscar-Verleihung vor: rote Teppiche, Promis, die weiblichen davon in leichter Bekleidung.

Ein Problem für Berlin, wo es im Februar gern mal schneit und eisig windet? Das war früher, denn nun gibt es den Promi-Grill: Vor dem Berlinale-Palast, der eigentlich gar kein Kino ist, sondern ein Musical-Theater, was aber nicht weiter stören soll, hat der Veranstalter entlang eines ziemlich langen roten Teppichs Heizstrahler auf Stativen aufstellen lassen. Und wo ein Grill aufgebaut wird, ist meistens auch ordentlich Fleisch in der Nähe: Wäre doch gelacht, wenn man im winterlichen Berlin nicht ein bisschen Cannes und Los Angeles hinkriegen würde!

Es blieb auch in diesem Jahr – trotz Promi-Grill – eben nur bei »ein bisschen«. Aber immerhin genug, um in den Publikumsmedien ein ganz anderes Bild zu zeichnen, als es die meisten Festivalbesucher vor Ort erleben.

Wenn man etwa in der Schlange steht – und man steht bei der Berlinale sehr viel in der Schlange, wenn man wie die meisten Besucher inklusive des Autors nicht zu den »Big Cheeses« gehört – kriegt man abseits des roten Teppichs auch sehr viel menschliches Elend mit, das von den Betroffenen aber offenbar gar nicht als solches wahrgenommen wird. Menschen, die mit ihrer Unbekanntheit – und vielleicht sogar Bedeutungslosigkeit – innerhalb der Branche nicht umgehen können, sich mit diesem Zustand nicht abfinden wollen und sich damit auch nicht auf sozial verträgliche Weise arrangieren können. Im Grunde verdienen sie unser Mitgefühl, sind aber andererseits auch nervtötend: Diese Menschen arbeiten alle grade an einem wahnsinnig tollen eigenen Projekt, haben die tragende Mitarbeit an zwei anderen, noch sehr geheimen, aber absolut faszinierenden Projekten in Aussicht und realierten auch bislang schon die unglaublichsten Dinge. Nur leider will das keiner wissen, keiner erkennt sie, aber sie reden immer so laut darüber, dass man es nicht überhören kann.

Schön auch der Typus des Filmesoterikers, der zwar durchaus zu einem Branchentreff mit Büffet geht und sich – nachdem er sich dort vollgefuttert und leicht angetrunken hat – auch mit anderen über seine tollen Projekte unterhält, der aber auf die Frage nach einer Visitenkarte nur mit Abscheu entgegnet: »Nee, so was hab ich nicht!«

Oder: Gibt es etwas Bemitleidenswerteres, als einen alten, übergewichtigen, ungepflegten, abgehalfterten, kettenrauchenden Menschen mit starkem Körpergeruch, der von seinem vermeintlichen Ruhm aus früheren Tagen als Filmkünstler zehrt und daraus ableitet, er mache immer noch etwas her und habe so viel Charme, dass es ihm keiner übel nehme, wenn er sich an einer Schlange vorbei nach vorne drängt und dabei dann so tut, als habe er die anderen Wartenden gar nicht wahrgenommen? Ja, das gibt es, aber dieser Artikel soll ja nicht zu einer Suada über solche Themen ausarten, obwohl sie doch durchaus auch sehr branchentypisch sind.

Dass sich die Filmbranche bei einem Filmfestival unter anderem auch ordentlich selbst feiert, ist völlig in Ordnung. So findet immer irgendwo ein Stehempfang, ein Buffet oder ein sonstiges Get-Together statt. Dort hört man dann oft von Filmschaffenden das immer wieder gleiche Lied in verschiedenen Tonarten – und es ist leider kein Jubelgesang, sondern ein Klagelied: Unsere Arbeit wird nicht ausreichend gewürdigt, die Lorbeeren stecken immer andere ein

Das stimmt vielleicht, dürfte aber schwer zu ändern sein. Die allermeisten Zuschauer nehmen etwa die Arbeit der Kameraleute einfach gar nicht separat wahr, oder nur in ihren absoluten Basics. Es kann natürlich frustrierend sein, wenn man sich am Set und in der Postproduction intensiv damit beschäftigt, das Beste aus dem Material heraus zu kitzeln, wenn man sich liebevoll um Details kümmert und das am Ende keiner wahrnimmt oder würdigt, weil man es etwa am TV-Gerät, wo nun mal die meisten Produktionen irgendwann enden, gar nicht sehen kann, oder weil es die Zuschauer schlichtweg nicht so stark interessiert. Nicht immer ist es schließlich Selbstüberschätzung, wenn der eine oder andere an einer Produktion Beteiligte glaubt und sagt, er habe einen wirklich entscheidenden Beitrag zu einem Film geleistet, der aber nun überhaupt nicht entsprechend anerkannt werde.

Wer aber darunter permanent leidet, der hat den Beruf verfehlt – oder er sollte öfter zu Festivals gehen, wo dann auch Leute zugegen sind, die etwas genauer hinsehen. Wer dann auch noch darüber klagt, dass viele Kinobesucher den Abspann nicht sehen wollen und sich dadurch herabgesetzt fühlt, der sollte mal darüber nachdenken, ob er jemals bei seinen CDs die Namen der Produzenten, Toningenieure, Komponisten und sonstigen Beteiligten gelesen hat und ob er das etwa jedes Mal tun will, wenn er eine CD zu Ende gehört hat. Es kennt eben kaum einer den Toningenieur, der einem Hit erst den unvergleichlichen Sound verpasst hat.

Die Medienmaschine funktioniert halt so: Auf dem roten Teppich werden nur die Regisseure und Darsteller fotografiert. Und selbst wenn ein Festival wie die Berlinale teilweise Anderes versucht, in dem sie etwa in der Retrospektive und einer Ausstellung die Arbeit von Production Designern würdigt, befördert sie diesen Trend, in dem sie publikumswirksamen Starkult mit Darstellern betreibt, ja betreiben muss, um die gewünschte Breitenwirkung zu erzielen: Festivals promoten eben auch das Kino und das funktioniert nur als Massenbetrieb.

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