Editorial, Kommentar, Top-Story: 04.06.2009

Invasion der Control-Freaks

Muss es zu jeder Bewegung auch eine Gegenbewegung geben? Es scheint so zu sein. So erklärt sich vielleicht aus dem wilden Wuchern der Informationsgesellschaft eine Entwicklung, die immer extremere Blüten treibt: Unternehmen, Verbände und Einzelpersonen versuchen in jüngster Zeit verstärkt, alles zu steuern und zu kontrollieren, was ihr öffentliches Bild betrifft. Anwälte, Agenten und PR-Experten bilden hierfür eine Phalanx, die letzten Endes in vielen Fällen die Presse- und Informationsfreiheit gefährdet und versucht, eine Scheinwelt zu schaffen, die mit der Realität nichts zu tun hat.

Dass die Deutsche Bahn mit gekauften Beiträgen und gefälschten Leserbriefen ein günstigeres Bild in den Medien schaffen wollte, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Medien werden ganz allgemein immer öfter nur noch als Erfüllungsgehilfen und Lobby-Kanäle betrachtet, als gefährliche Biester, die man zähmen, in Ketten legen oder anderweitig gefügig machen muss.

Schlimm und im momentan raueren Wirtschaftsklima auf dem Vormarsch, ist auch die immer öfter anzutreffende Komplizenschaft zwischen Medien und den Subjekten und Objekten, über die sie berichten. Eine Komplizenschaft, bei der nicht einmal der Versuch von Objektivität unternommen wird und die letztlich in komplette Vereinnahmung und moralfreie Geschäftemacherei mündet.

Sicher gibt es in den Medien Entwicklungen, denen man entgegentreten und Grenzen setzen muss: Wer von Paparazzi auf Schritt und Tritt belästigt wird, hegt sicher einen berechtigten Groll auf die Medien und muss Mittel zur Hand haben, sich dagegen zu wehren. Wer aber die Medien nutzen will, um seine Bekanntheit und seinen Marktwert zu erhöhen, dem sollte auch klar sein, dass er dafür einen Preis bezahlen muss. Dieser Preis kann bei Einzelpersonen in Einschränkungen der Privatsphäre bestehen, oder bei Firmen und deren Produkten im Risiko, einmal nicht so gut wegzukommen.

Lächerlich wird es dann, wenn ein Control-Freak, der jegliches Augenmaß verloren hat, versucht, sich auszuleben: Selbstverständlich müssen alle Texte und Bilder, die uns betreffen, freigegeben, unsere Meldungen im Wortlaut wiedergegeben, die Schreibweisen exakt eingehalten und alles immer mit unserem Logo versehen werden. Geht’s noch? Auf diesem Boden wächst Zensur, enstehen Meinungsdiktaturen. Offenbar fehlt immer öfter das Wissen um die Unterschiede zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung.

Akkreditierung bei Veranstaltungen als Gegenleistung für positive Berichterstattung, Anzeigen im Gegenzug für den Durchgriff auf redaktionelle Inhalte: Die Versuche sind vielfältig und nehmen an Häufigkeit und Dreistigkeit eher zu als ab.

Die Trennung im Kopf der handelnden Personen ist dabei erstaunlich: In letzter Konsequenz müssten sie doch gut heißen, in allen Lebensbereichen nur noch gefärbte, von Marketing- und PR-Leuten vorgefilterte Informationen zu erhalten. Das wollen sie aber ebenso wenig, wie sich auf scheinbar unabhängige Empfehlungen verlassen, die in Wahrheit in der Marketing-Abteilung eines Unternehmens entstanden sind. Was ist, wenn der angeblich unabhängige Online-Versicherungsvergleich verdeckt im Auftrag einer bestimmten Versicherung, oder rein auf der Basis von Abschlussprämien betrieben wird?

Wachsam bleiben, über den eigenen Tellerrand blicken, Augenmaß wahren: Anstrengend, aber möglich.

Sie werden sehen.