Editorial, Kommentar, Top-Story: 02.12.2010

Mit Excel als Waffe auf dem Weg zur Weltherrschaft

Schon der Gattungsbegriff lässt eigentlich keinen Raum für Kreativität: Tabellenkalkulation. Excel klingt da schon ein bisschen freundlicher. Vielleicht hat sich auch deshalb Microsofts Tabellenkalkulation fast flächendeckend durchgesetzt — bis in Bereiche hinein, wo man letztlich von der Kreativität lebt, wie eben in der Film- und Fernsehbranche. Darin liegt ein Widerspruch: Viele umwälzende Ideen wären nie Realität geworden und auch viele der besten Filmklassiker aller Zeiten wären nie entstanden, hätte dabei ein mit Excel bewaffneter Controller das Sagen gehabt.

Nun hat sich aber mit Excel und seinen Alternativen überall eine Pest ausgebreitet: Computerisiertes Schubladendenken. Fast möchte man ausrufen: »Haltet ein! Die Welt ist viel zu groß und vielfältig, sie passt nicht in Excel. Das Interessanteste passiert eben oft zwischen den Kästchen. Erhebt Euch gegen die Excel-Tyrannei.«

Aber es ist zu spät. Alles wird in Spalten und Zeilen gepresst, erfasst, gemessen, verrechnet und dann zu Kuchen-, Balken- und Kurvendiagrammen verwurstet und in Powerpoint präsentiert. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: Alles kann man einspeisen, analysieren, gewichten und wieder ausspucken lassen.

Excel tötet. Excel tötet zuerst einmal die Kreativität. »Was?«, empören sich da die Excel-Spezialisten: »Man kann mit Excel unglaublich kreativ umgehen.« Nun ja, das geht mit Bilanzen auch, kann dort aber auch leicht mal in die Nähe des Betrugs führen.

Eine andere Form der Excel-Kreativität besteht darin, dass mit diesem Werkzeug sehr gern Prognosen, Zielvorgaben und Mehrjahres-Pläne erstellt werden. Und das, nachdem die Finanzkrise im vergangenen Jahr praktisch alle Fünf-Jahres-Pläne aus den vier Jahren davor rückwirkend ad absurdum geführt hat. Eigentlich Beweis genug dafür, dass sich die ganze Arbeit und Mühe nicht lohnt, Excel zur modernen Version einer Wahrsagerkugel umfunktionieren zu wollen. Trotzdem wird genau das in immer mehr Firmen von den Mitarbeitern in einem Ausmaß verlangt, das mitunter absurde Züge annimmt: »Ich komme vor lauter Zahlen und Prognosen gar nicht mehr dazu, meine eigentliche Arbeit zu machen«, das ist in der Branche nicht selten zu hören.

Nein, natürlich ist Excel nicht böse. Es ist ja auch nicht das Gewehr, das tötet, sondern der Mensch, der es benutzt. Auch wenn es Ärger mit Kampfhunden gibt, befindet sich das Problem meist am anderen Ende der Leine. Aber so wie man Powerpoint vorwirft, es verdumme die Menschen durch Trivialisierung und Vereinfachung, so hat vielleicht auch Excel Rückwirkungen auf seine Anwender: Wo Scheuklappen eingebaut sind, werden sie auch Wirkung zeigen.

Die Excel-Tabelle, die wirklich mal interessant wäre, müsste auflisten, wie viele sinnlose Excel-Orgien, die durch die Realität in Windeseile zunichte gemacht wurden, den zweifellos existierenden, sinnvollen Excel-Anwendungen gegenüberstehen. Wie viele Projekte wurden erst mit Excel ermöglicht? Und wieviele wurden durch den Einsatz von Excel verhindert?

Natürlich ist Excel in seinen Hauptanwendungsgebieten wichtig, nämlich in Buchhaltung und Verwaltung. Aber vielleicht wäre es in der Branche und insgesamt am Standort Deutschland sehr viel zukunftsträchtiger, wenn es mehr echte Ingenieure anstatt Excel- und Powerpoint-Ingenieuren geben würde und wenn die Zahlenknechte nicht so viel Kreativität im Keim ersticken würden. Unternehmer statt Unterlasser, Macher statt Schwätzer, das braucht die Wirtschaft, wenn es längerfristig aufwärts gehen soll. Denn tatsächlich gibt es nur dort wirklich etwas zu verwalten, wo etwas geschaffen wird. Und Einsparungen reduzieren zwar die Ausgaben, sie generieren aber keine Umsätze — da hilft auch kein Excel.

Sie werden sehen.