Editorial, Kommentar, Top-Story: 14.12.2010

Süßer die Ohren nie klingeln

Ihr Leben ist schon kompliziert genug? Sie wollen lieber ordentlich versichert werden und nicht verunsichert? Sie wollen sich dazu aber nicht durch unverständliches Versicherungskauderwelsch arbeiten? Sie finden, das sind lauter blöde Fragen, die sich ja wohl alle von selbst beantworten?

Wenn Sie alle vier Fragen mit »ja« beantworten, dann weckt die aktuelle Werbekampagne der Ergo-Versicherungsgruppe vielleicht auch in Ihnen eher den Wunsch, das Display Ihres Fernsehers zu zerschmettern, sobald ein Werbespot dieser Kampagne läuft — als sich zu versichern. Schade nur, dass man sich gegen diesen materiellen und seelischen Schaden nicht versichern kann.

Offenbar funktioniert die neue Masche, denn schon gibt es Nachahmer: Statt das zugrunde liegende Problem anzugehen, versuchen nun auch andere Versicherungen, sich einzuschleimen und Verständnis zu heucheln — bevor sie einen genauso behandeln und im Zweifel auch mal über den Tisch ziehen, wie seither auch. Da sehnt man sich mitunter nach klarer, knallharter, direkter Verkaufswerbung: »Kauf mich«  — ohne allen Schnickschnack.

Für jeden, dessen internes Übersetzungsprogramm noch einigermaßen funktioniert, ist die Vorweihnachtszeit ohnehin eine schwere Prüfung: Allenthalben fallen sich in Werbespots und Trailern glückliche Familien vor dem prächtig dekorierten Weihnachtsbaum in die Arme, überraschen sich mit den ausgefallensten Geschenken auf dem überbordenden Gabentisch. Schöne Frauen präsentieren dankbar ihr üppiges Dekolleté und große, leuchtende Kinderaugen bestaunen Präsente im Winterwunderland. Auch die Verlogenheit hat eben in der Vorweihnachtszeit Hochsaison.

Das hat auch Neben- und Langzeitwirkungen. So kommt’s, dass vor lauter Glitzer, Schein und Glanz, der Zugang zur Realität auch außerhalb der Weihnachtszeit immer schwieriger wird: Sie interessieren sich für eine »renovierungsbedürftige« Immobilie? Dann machen Sie sich vor der Besichtigung auf eine Ruine gefasst. Ihr Chef hält Ihr Konzept für »interessant«? Dann überlegen Sie sich schon mal einen Plan B. Ihre Krankenversicherung schreibt Ihnen, wie sie sich um Ihr Wohlergehen und Ihre Gesundheit sorgt? Springen Sie im Text gleich nach unten, um direkt zu erfahren, um wie viel Ihr Monatsbeitrag steigt. Ihr neuer Camcorder soll Hollywood-Bilder zum halben Preis liefern? Dann planen Sie schon mal ausreichend Budget für all das Zubehör ein, das Sie noch brauchen werden, um wirklich vernünftig arbeiten zu können.

Ja, der Bullshit-Filter hat in diesen Tagen viel zu tun. Sein intensiver Einsatz mag in manchen Fällen frustrieren, spart aber auf lange Sicht neben Zeit und Mühe auch viele weitere, noch größere Frustrationen.

Sie werden sehen.