Editorial, Kommentar, Top-Story: 31.08.2012

Vernetzt und zugenäht

Aufschneiden, Blinddarm raus, zunähen, fertig. Manche Projekte haben einen klaren Anfang und ein klares Ende. Falls man anschließend doch nochmal ran muss, dann ist etwas falsch gelaufen. Immer öfter passiert es aber in der modernen Technikwelt, dass Projekte zwar einen klaren Anfang haben, aber kein absehbares Ende — auch wenn alles nach Plan verlaufen ist.

Der Grund liegt dabei oft in der vernetzten IT-Welt, die heute in immer mehr Bereichen eine Rolle spielt. Nehmen wir als Beispiel mal die Website, der Sie diesen Newsletter verdanken: Hier gab es seit dem Start im Jahr 1999 niemals einen Punkt, an dem man hätte sagen konnte: Nun ist die Programmierung wirklich abgeschlossen. Zum einen gab es natürlich inhaltliche und gestalterische Änderungen, die aus eigenem Antrieb erfolgten. Oft waren es aber auch äußere Zwänge, die Anpassungen erforderten: Was nutzt die schönste Website, wenn sie Standards nutzt, die sich nicht durchsetzen konnten – oder wenn die beliebtesten Browser sie nicht richtig anzeigen? Dann muss eben angepasst werden. Und weil ständig neue Technologien, Standards und Browser-Versionen auf den Markt drängen, wird dieser Prozess so lange fortdauern, wie man vorne mitspielen will.

Besserung ist nicht in Sicht: Facebook, Google+, Youtube, Twitter und andere Plattformen wollen bedient werden — und kaum hat man die Schnittstellen und Prozesse optimiert, um auch dort einfach publizieren zu können, fällt den dortigen Programmierern garantiert wieder etwas Neues ein, was Anpassungen und Änderungen erfordert.

Auch in der Broadcast-Welt sind die Zeiten endgültig vorbei, in denen man ein System aufsetzen und dieses dann 10 bis 15 Jahre quasi unverändert nutzen konnte. Bei den dort heute üblichen, file-basierten Abläufen, die zweifellos viele Vorteile mit sich bringen, ist eben auch systemimmanent, dass sie niemals fertig sein oder endgültig zur Ruhe kommen werden. Wenn man an einem Ende Veränderungen vornehmen will oder muss — etwa weil das Schnittsystem nicht mehr weiterentwickelt wird — zieht das heutzutage in vielen Fällen einen ganzen Rattenschwanz an Updates und Anpassungen anderer Systemelemente nach sich.

So wird eben das »Open End« immer öfter zum Normalfall — und vielleicht freut man sich dann um so mehr, wenn man auch mal etwas wirklich abschließen kann.

Sie werden sehen.

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller
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