Editorial, Kommentar, Top-Story: 28.05.2014

Falsche Geschichte — dumm gelaufen

Dass Geschichte im nachhinein verfälscht und umgeschrieben wird, ist ein altbekanntes Phänomen: Die Römer fühlten sich in der Darstellung ihrer Ruhmestaten nicht der Wahrheit verpflichtet und schon die alten Ägypter fälschten Schlachtenberichte. Womöglich sind sogar schon die ersten Höhlenmalereien hemmungslos übertrieben und vollkommen einseitig.

Und heute? Heute sind wir einen großen Schritt weiter: Heute wird Geschichte schon gefälscht, bevor sie sich überhaupt ereignet. Das kann man derzeit an vielen Stellen in der großen Weltpolitik sehen — aber weil das nicht das Feld von film-tv-video.de ist, wollen wir ein kleineres, aber sehr anschauliches Beispiel wählen: den Fußball.

Das moderne Äquivalent zu den historischen Geschichtsschreibern — die ja als Lohnschreiber im Auftrag der Mächtigen agierten und nicht etwa unabhängige Journalisten oder Historiker waren — sind die PR-, Marketing- und Werbeagenturen, die im Auftrag von Unternehmen agieren. Und weil heute alles schneller gehen muss als früher, können Unternehmen und ihre Kommunikationshelfer heutzutage leider nicht mehr warten, bis Bundestrainer Joachim »Jogi« Löw festgelegt hat, wer tatsächlich als Teil der deutschen Nationalelf in Brasilien antreten wird. Also hat etwa der Sammelalben-Hersteller Panini schon im Februar einfach mal für sich entschieden, wer seiner Ansicht nach dem deutschen Kader angehören wird und entsprechend mit dem Druck seiner Sammelbildchen losgelegt. Bisher ist Panini damit noch auf der sicheren Seite, aber ob es tatsächlich so kommen wird, dass die vom Unternehmen ausgewählten Spieler in Brasilien für Deutschland antreten, ist halt noch offen.

Pepsi hingegen gehört schon jetzt zu den Verlierern, denn derzeit ist Mario Gomez auf deren Flaschenetiketten in Deutschland zu sehen, Gomez hatten aber weder Panini, noch der Bundestrainer auf der Liste. Pepsi ist ohnehin nicht Fifa-Partner und darf daher gar nicht mit Hinweisen auf die WM in Brasilien werben — und nun läuft auch noch Gomez ins Leere …

Immerhin hat Pepsi höchstwahrscheinlich bei weitem nicht so viel ausgegeben, wie einige Sportartikelhersteller: Die haben ja stets berühmte Fußballer unter Vertrag, die sie in TV-Spots antreten lassen, um im Vor- und Umfeld der Fußball-WM zu werben. Schon bei früheren Fußball-Groß-Events wurden dabei des Öfteren Spieler gezeigt, die gar nicht bei der WM spielten, oder deren Teams schon ganz früh ausschieden — dumm gelaufen.

Zurück aber zum Einstiegspunkt dieses Artikels, zur vorauseilenden Geschichtsfälschung: Wenn dereinst unsere Zivilisation untergegangen sein wird und alle ihre digitalen Daten mit ihr, dann werden Archäologen Panini-Heftchen aus den Trümmern ziehen und daraus völlig falsche Schlüsse ableiten: Warum wurden die Plätze einiger Gladiatoren nicht mit Klebebildern geschmückt? Wieso kommen andere in den Alben überhaupt nicht vor, die jedoch in vergilbten Pergamenten aus der gleichen Periode genannt und bejubelt werden?

Vielleicht sollten wir vorbeugend diesen Text ausdrucken, um ihn dann micro-verfilmen und atombombensicher lagern zu lassen, damit nachfolgende, möglicherweise außerirdische Zivilisationen, diese Fragen beantworten können? Naja, eher nicht: Es gibt Wichtigeres zu tun.

Sie werden sehen.

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller

Bildrechte
Panini

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