Editorial, Kommentar, Top-Story: 10.10.2014

Wissenswertes über Aserbaidschan?

Hat in Aserbaidschan nicht vor ein paar Jahren der Eurovision Song Contest stattgefunden? Korrekt. Und war damals nicht Radio Eriwan der Host-Broadcaster? Nicht ganz: Die Stadt Eriwan liegt in Armenien und Radio Eriwan ist ein Fantasiegebilde.

Aber was ist denn nun mit Aserbaidschan? In dessen Hauptstadt Baku finden im kommenden Jahr die Europaspiele statt. Die sagen Ihnen gar nichts? Nicht schlimm: Es sind schließlich die ersten Europaspiele und Baku war der einzige Bewerber für diese neue Veranstaltung — die übrigens auch vom Deutschen Olympischen Sportbund unterstützt wird. Aserbaidschan übernimmt offenbar die kompletten Kosten für die Ausrichtung der Veranstaltung.

Sport1 wiederum preist die Europaspiele schon jetzt als das Highlight des Sportsommers 2015 an, von dem man unzählige Stunden berichten werde. Schließlich sollen in Baku rund 6.000 Athleten antreten, um sich in 20 Sportarten, darunter 16 olympischen, zu messen.

Zeit für einige Hintergrundinfos: Geografisch grenzt Aserbaidschan an Russland, Georgien, Armenien (richtig: dort liegt Eriwan), die Türkei und den Iran. Aserbaidschan war mal Teil der Sowjetunion, ist nun aber unabhängig — unter einem autoritär herrschenden Regime, bei dem etwa Themen wie Meinungsfreiheit nicht besonders hoch im Kurs stehen. Die Organisation »Reporter ohne Grenzen« siedelt Aserbaidschan in puncto Pressefreiheit im Jahr 2014 auf Rang 160 an. Zum Vergleich: Finnland belegt Platz 1, Deutschland Platz 14, Hong Kong Platz 61, Russland Platz 148.

Mit den Europaspielen in Aserbaidschan geht ganz offensichtlich ein Traum in Erfüllung! Man fragt sich nur, wessen Traum das ist. Falls Sie sich nun doch gar nicht so richtig auf dieses Sportereignis freuen können, wollen wir Ihnen mal mit einem Blick in die Zukunft zeigen, dass uns noch etliche solcher Sport-Events bevorstehen: In Ländern mit politisch zweifelhaften Systemen und/oder unter Umständen, bei denen eben nicht der Sport im Zentrum steht.

Am kommenden Sonntag gibt es ein Formel-1-Rennen in Sotschi. Wieso eigentlich nicht gleich eine Friedensrundfahrt auf der Krim? Die Formel 1 gastiert übrigens auch in Bahrein, einer konstitutionellen Monarchie, deren König die Regierung ernennt und entlässt und der das Recht hat, das Abgeordnetenhaus jederzeit aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Laut Verfassung ist die Scharia eine der Hauptquellen der Gesetzgebung von Bahrein. Als zukünftiger Austragungsort der Formel 1 ist übrigens auch Baku im Gespräch. Naja: Die Formel 1 ist eben die Privatveranstaltung von Bernie Ecclestone, der kürzlich erst den deutschen Fiskus so großzügig abgefunden hat — was will man da machen?

Also zurück zum Fußball: 2018 finden in der Olympia- und Formel-1-Stadt Sotschi dann einige Spiele der Fußball-WM in Russland statt — wer weiß, vielleicht ist bis dahin das russische Verhältnis zur Ukraine wieder normalisiert? 2022 wiederum gibt sich der internationale Fußball dann ein Stelldichein in der Wüste, im Emirat Katar. Staatsform ist dort die absolute Monarchie, Quelle der Gesetzgebung und Rechtssprechung ist die Scharia. Menschenrechtsorganisationen sehen viele der dortigen Arbeitsverhältnisse an der Grenze zur Sklaverei.

Aktuell findet in Monaco die Sportvermarktungsmesse Sportel statt. Dort stellt sich wohl kaum einer die Frage nach der Moral: Solange sich mit großen Sport-Events Geld verdienen lässt, finden sie statt — gleichgültig wo, und gleichgültig, unter welchen Bedingungen für die Sportler, die Arbeiter auf den Baustellen und die Mitarbeiter der jeweiligen Veranstaltungen.

Wer einwendet, große Sport-Events hätten wenigstens eine zukünftig positive Wirkung für die Bevölkerung, die Demokratie und die Wirtschaft in den jeweiligen Staaten, der denke mal an die Olympischen Spiele in Sarajevo oder in Athen. In Donezk, in der Ukraine, wurde während der Euro2012 noch Fußball gespielt, heute rollen dort Panzer durch die Straßen.

Vielleicht wäre es mal an der Zeit für die Sportverbände, umzudenken — und für die Fans und Sportler, sie im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten dazu zu bewegen. Mit immer neuen Rekord-Einschaltquoten wird das kaum gelingen.

Sie werden sehen.