Messe: 19.04.2011

NAB2011: Wie die Japan-Krise die Branche trifft

Dass die Natur- und Nuklearkatastrophe in Japan auch Auswirkungen auf die Broadcast-Branche haben würde, war klar. Die NAB2011 bot auch die Chance, mit vielen Insidern über dieses Thema zu sprechen. Nun zeichnet sich ab, wo und in welcher Weise mit Problemen zu rechnen ist: In ganz unterschiedlichen Bereichen dürfte es wohl spätestens zur Jahresmitte zu Lieferengpässen kommen.

Die offene Kommunikation über Probleme zählt, wie die Welt in den vergangenen Wochen erfahren musste, nicht zu den Stärken der japanischen Gesellschaft. Auch deshalb ist es ganz und gar nicht leicht, in der aktuellen Situation an verlässliche Infos zu kommen, die eine realistische Einschätzung des Zustands japanischer Unternehmen und darüber, wie stark sie von der Krise betroffen sind, ermöglichen würde. Außerdem steckt die Angst dahinter, zusätzlich negative Kunden- und Börsenreaktionen sowie Kaufzurückhaltung zu triggern, wenn man als Unternehmen Probleme zugibt.

Die großen Hersteller Sony und Panasonic sprachen das Thema in ihren Pressekonferenzen zwar ganz allgemein an und berichteten, dass glücklicherweise keine Mitarbeiter in den japanischen Fabriken ernsthaft zu Schaden gekommen seien. Besonders bei Sony ist diese erfreuliche Nachricht keineswegs selbstverständlich, denn dieser Hersteller betreibt eine Fabrik in Sendai, einer Großstadt in der am stärksten betroffenen Region Japans. Panasonic hat seinen Schwerpunkt eher im Süden des Landes, in der Gegend um Osaka. Bei Canon und Fujinon sind nach jeweils eigenen Angaben ebenfalls keine Verletzten oder Toten unter den Mitarbeitern zu beklagen: Schäden an Gebäuden und Equipment gab es aber bei beiden Unternehmen, wenn auch nicht in dramatischem Ausmaß. Vielleicht ist Canon einen Tick stärker betroffen, weil eher im Norden angesiedelt.

Zurück zu Sony: In Sendai sind mehr als 1.100 Mitarbeiter mit der Produktion von Sony-Aufzeichnungsmedien beschäftigt, darunter HDCAM-SR-Bänder und XDCAM-Scheiben. »Die Fabrik hat Erdbeben und Tsunami überstanden, aber es gab natürlich dennoch viele Schäden, sodass die Produktion nun erst stückweise wieder aufgenommen werden kann«, berichtet Michael Engstfeld von Sony Recording Media. Sony hat die Kunden über die Produktionsverzögerungen im Bereich Recording Media informiert und arbeitet in Sendai nun mit Hochdruck daran, die Produktion wieder in Gang zu bringen. Der Bereich HDCAM SR hat dabei Priorität, da es für diese Medien keinen weiteren Hersteller gibt. Sony geht davon aus, dass man bis zum Sommer den normalen Produktionsbetrieb wieder aufgenommen hat. Bis dahin ist allerdings mit Engpässen zu rechnen: Das hat im Markt auch schon zu Hamster- und Spekulationskäufen geführt.

Bei den Objektivherstellern Canon und Fujinon gab es nach Angaben verschiedener Quellen Schäden in den Fabriken, die bei konzernweiter Betrachtung zwar nicht wirklich dramatisch sein sollen, die aber im schmalen, sensitiven Broadcast-Bereich mit seinen vergleichsweise kleinen Stückzahlen dennoch zu Problemen führen könnten.

Auch wenn die Hersteller Produktionsausfälle teilweise durch Sonderschichten in anderen Fabriken kompensieren können, droht dennoch Unbill aus zwei Quellen: Logistik und Zulieferbetriebe.

Wenn Straßen und Schienenwege unbefahrbar sind, dann können die Arbeiter nicht an ihren Arbeitsplatz gelangen und es kommt eben weder Material in die Fabriken, noch können Fertigprodukte abtransportiert werden. Teilweise spielt auch die reduzierte Hafenkapazität eine Rolle, teurere Broadcast-Produkte wie etwa Objektive werden aber ohnehin in aller Regel per Luftfracht transportiert.

Problematisch ist die Lage teilweise bei den Zulieferern der großen Broadcast-Hersteller: Einzelne Teile werden nicht selten bei Kleinbetrieben zugekauft, die eben nur einen Produktionsstandort haben. Manche dieser Betriebe wurden aber komplett zerstört und es ist nun keinesfalls leicht, rasch Ersatzlieferanten zu finden. So kann es kommen, dass etwa die Achsen der Zoommotoren von Objektiven ausgehen — und ohne dieses eigentlich simple Teil kann eben auch das Objektiv nicht fertiggestellt werden. Inwieweit etwa die hochkomplexe Glasherstellung und die Produktion elektronischer Bauteile bei Zulieferern betroffen sind, ist momentan in vielen Fällen noch unklar.

Auch diejenigen Hersteller, die – wie Panasonic oder Fujinon – Fabriken eher in Regionen Japans betreiben, die von der aktuellen Katastrophe nicht oder nicht so stark betroffen sind, hängen eben von Zulieferbetrieben ab, die sich in der Katastrophenregion befinden — und diese sind teilweise von massiven Produktionseinschränkungen betroffen oder existieren schlichtweg nicht mehr.

Auch Unternehmen außerhalb Japans werden hiervon in Mitleidenschaft gezogen. Red Digital Cinema etwa spricht offen darüber: Einige Komponenten der Epic stammen aus Japan. Red-CEO Jim Jannard kündigte im Red-Forum an, dass sich die ohnehin verspätete Auslieferung der Epic daher nochmals um etwa drei Monate verzögern werde.

Damit ist auch ein Zeitraum angesprochen, der auf der Herstellerseite oft genannt wird: »Wir haben noch genügend Teile, um nun, nach den ersten Einschränkungen unmittelbar nach Erdbeben und Tsunami, bis einschließlich Juni noch relativ normal produzieren zu können. Dann könnte es aber eine Senke geben, die wir erst anschließend wieder aufholen können«, ist da hinter vorgehaltener Hand zu hören. Wer seine Produktion komplett verschlankt und voll auf »Just in Time« gesetzt hat, den hat es auch schon viel früher getroffen.

»Die Japaner sind ein sehr arbeitsames und findiges Volk und deshalb bin ich sicher, dass in unserem Unternehmen alles darangesetzt wird, Produktionsausfälle mit Sonderschichten wieder aufzuholen, wenn das irgendwie möglich ist«, diese und ähnlich zuversichtliche Aussagen fallen immer wieder, wenn man mit Insidern über dieses Thema spricht — aber ungeschoren wird die Branche nach derzeitigem Stand wohl kaum davonkommen: Es ist mit Liefer- und Nachschubproblemen zu rechnen, die sich noch über Monate ziehen können. Dabei ist eine allgemeine Aussage darüber, welche Sektoren betroffen sein werden, sehr schwierig bis unmöglich: Es kann innerhalb der Produktpalette ein und des selben Herstellers von Produkt zu Produkt sehr unterschiedlich aussehen.

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