Branche, Top-Story, Veranstaltung: 14.11.2018

Report: Medientage München 2018

Die Medien-Gesellschaft der Zukunft wird geprägt von digitalen Innovationen, künstlicher Intelligenz, automatisierten Entscheidungssystemen, Big Data und Globalisierung, aber auch von aktiven Rezipienten, Social Media und der Personalisierung von Medienangeboten. Das ist das Resümee der 32. Medientage München.






Künstliche Intelligenz
Wachstumspotenzial von KI

Künstliche Intelligenz im Medienbereich wird immer marktrelevanter. Doch neue, disruptive Geschäftsmodelle ließen noch auf sich warten, so das Resümee eines der Panels.

Medientage München 2018
Dr. Alexander Henschel von Goetzpartners erwartet für 2018 ein KI-Marktvolumen in Höhe von sieben Milliarden Dollar.

Dr. Alexander Henschel von Goetzpartners betonte in seinem Impulsvortrag, dass das Marktvolumen von Artificial Intelligence (AI) in diesem Jahr schon sieben Milliarden US-Dollar erreiche. 2025, so seine Prognose, werde das Marktvolumen 90 Milliarden Dollar erzielen. Dabei definierte er AI sowohl als »Automatisierung von intelligentem Verhalten« als auch als »Optimierung von Geschäftsmodellen«. Er glaubt, dass durch KI die Kundenorientierung steigen werde. »The Echo Nest« von Spotify etwa revolutioniere gerade das Radio mit der Gewinnung von »musikalischen Fingerabdrücken« und der »mood recognition«, also der Bereitstellung von Musik passend zur Stimmung des Hörers. Mit einem »Artificial Game of Thrones« könne künstliche Intelligenz anhand der schon geschriebenen Bände die Handlungen der Folgebände vorhersagen, erläuterte Henschel. Ob das nun für Künstliche Intelligenz oder eher für die Einfallslosigkeit der Drehbücher steht, blieb unbeantwortet.
Hans-Christian Boos, Mitbegründer und Chef von Arago, einem Unternehmen, das sich auf intelligente Automatisierung spezialisiert hat, betonte, dass Künstliche Intelligenz gut kopieren, aber keine Originale erschaffen könne. Die Kopie sei einfach nicht so wertvoll wie das Original.

KI im Einsatz

In der Medienbranche werden immer häufiger Algorithmen eingesetzt, die redaktionelle Arbeit erleichtern, die Mediennutzung verbessern und idealerweise auch zusätzliche Erlöse generieren sollen. Bei einem der Panels konnte man von etlichen konkreten Anwendungsbeispielen erfahren.

Nicole Agudo Berbel von ProSiebenSat.1 Media berichtete, dass für das TV-Magazin Galileo ein sehr erfolgreicher Alexa-Skill programmiert worden sei. Künstliche Intelligenz helfe dabei, TV-Inhalte leichter zu finden, und erhöhe somit die Reichweite der TV-Sender. KI könne sich aber auch direkt finanziell rechnen: Im Rahmen der Galileo-Kooperation mit Amazon wurden Sonderwerbeformen entwickelt und das Format wurde gesponsert. KI sei darüber hinaus die Basis für das Empfehlungssystem von Maxdome. Aber: »Eine reine Recommendation Engine hat Probleme, das Passende zu finden«, begründet die Managerin, weshalb zusätzlich eine Redaktion die Vorschläge kuratiere.

Umfangreiche Erfahrungen mit KI hat inzwischen auch Gruner + Jahr. Eva-Maria Bauch von G+J Digital Products verwies beispielsweise auf die führende Rolle von Chefkoch.de unter den Alexa-Skills. Auch bei der automatisierten Erstellung von journalistischen Inhalten haben die Hamburger erste Schritte hinter sich: »Das erleichtert bisher noch nicht die Arbeit in der Redaktion, aber bald.« Andere hilfreiche KI-Tools, verriet die Geschäftsführerin, seien jedoch bereits im Einsatz: Der »Stern« nutze eine Anwendung, um Videos einfach aus Text zu generieren. Und bei Social Media helfe ein Tool, die Posts auf den verschiedenen Kanälen zum passenden Zeitpunkt auszuspielen.

Medientage München 2018
Der Chatbot Xiaoice ist besonders in China sehr erfolgreich.

Dr. Dirk Kleine von Microsoft stellte ausführlich »Xiaoice« vor. Der Chatbot auf Basis des Google-Algorithmus, der als App zum Download angeboten wird, wird vor allem in China intensiv genutzt. Dort übernimmt Xiaoice demnach auch mal die Rolle eines Partners. Mehr noch, Xiaoice ist dort so populäre, dass Ende des Jahres sogar das erste Musikalbum des Chatbots erscheinen soll.

Unabhängig davon werde der hauseigene News-Service von Microsoft weltweit aber nach wie vor hauptsächlich von etwa 600 Redakteuren kuratiert. »Wir zeigen nicht nur personalisierte Inhalte, die der einzelne User sehen will, sondern auch Inhalte, die er sehen muss«, so Dr. Kleine. Bei der weiteren KI- Entwicklung kooperiert Microsoft mit Amazon und integriert Cortana demnächst auch in Deutschland in das Alexa-System.

Joel Berger von Google Germany demonstrierte live diverse Abfragen bei ZDF Sport und den Nachrichten der Deutschen Welle. »Die Medien müssen die Nutzer unterstützen«, hob Berger dabei hervor. KI wie die des Google Assistant helfe dabei, den richtigen Inhalt zur richtigen Zeit und überall anzubieten. Die menschliche Komponente sei bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz von zentraler Bedeutung, um Regeln aufzustellen. Zugleich sei die Voreingenommenheit von Menschen eine Erschwernis dabei – diese Auffassung vertritt zumindest Google.

Mensch und Technologie

»Ist unser Gehirn im Computer replizierbar?« Mit dem Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI) stellt sich diese Frage drängender denn je. Prof. Dr. Miriam Meckel, Herausgeberin der Wirtschaftswoche, vermittelte Beispiele, wie tief heute bereits die Reise ins menschliche Gehirn gehen kann. Vom Telefon bis zum Kühlschrank sind viele unserer Gebrauchsgegenstände bereits an das Internet angeschlossen. Wieso also nicht auch unser Gehirn? »Die Eroberung unserer Geisteskraft durch Software, Maschinen und KI hat bereits begonnen,« erklärte Meckel. Algorithmen können bereits mit großer Präzision Krankheiten diagnostizieren oder auch kreative Leistungen erbringen, wie das Schreiben eines Gedichtes auf Basis eines Fotos. Über Gehirnimplantate können wir unsere Gedanken auslesen und Roboterarme steuern oder Texte schreiben lassen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg lässt hierfür ein Gerät entwickeln, das unsere Gedanken als neuronale Signale dann direkt als Textnachrichten auf dem Smartphone erscheinen lässt – mit einer Geschwindigkeit von hundert Wörtern pro Minute. »Diese Entwicklungen sind eine große Errungenschaft, bergen aber auch die Gefahr einer Schnittstelle, die auslesbar, manipulierbar und hackbar ist«, gab Miriam Meckel zu bedenken. »Hier stoßen wir an die Grenzen der Privatheit und der Freiheit der Gedanken.«

Medientage München 2018
Prof. Dr. Miriam Meckel sagt, die Eroberung unserer Geisteskraft durch Software, Maschinen und KI habe bereits begonnen.

Wie sensibel das Organ Gehirn reagiert, konnte die Referentin im Selbstversuch feststellen, als sie über eine App, die leichte Stromimpulse direkt ins Gehirn sendet, ihr Aktivitätslevel erhöhen wollte. Die Folge waren 36 Stunden ohne Essen, Schlafen und konzentriertes Denken. »Solche Entwicklungen haben nichts in der Lifestyle-Ecke zu suchen, sondern müssen unter medizinischer Aufsicht entwickelt werden«, forderte Meckel. Der Phantasie sind anscheinend keine Grenzen gesetzt. So investiert Elon Musk in eine Neurolink-Company, die alle Menschen über Hirnimplantate zu einer einzigen großen Braincloud verbinden soll. »Heute ist das alles noch Science Fiction, aber für die Hirnforscher durchaus vorstellbar«, berichtete Meckel. Wenn Menschen schließlich über solche Technologien auch noch auf Basis ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit beurteilt werden, zeigt der Neurokapitalismus als Schnittstelle zwischen Neurowissenschaft und Computer seine extremsten Auswirkungen. Wollen wir das alles? Miriam Meckels abschließender Appell: »Denken wir darüber nach – wir sind so frei!«

Staatliche Kontrolle durch KI

Im März 2018 hat die chinesische Regierung angekündigt, 2020 ein Sozialpunktesystem (Social Credit System) einzuführen. Teilnehmer einer Podiumsdiskussion bewerteten die aktuelle Entwicklung in China eher kritisch: China baue auf diese Weise einen digitalen Überwachungsstaat auf, in dem die Behörden Möglichkeiten zuverlässiger Gesichtserkennung mit Datenauswertung, Vernetzung von Informationen und Verhaltensvorhersage verbinden würden. Das sind zusammengenommen Techniken, die die Künstliche Intelligenz ermöglicht. Die digitale Überwachung ziele vordergründig darauf ab, die Integrität der Bürger und Konsumenten zu bewerten. Unter Medien- und gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten sei die Volksrepublik China auf dem Weg zu einer High-Tech-Diktatur, in der Datenschutz für den Staat und seine Behörden keine Rolle spiele.

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