Broadcast, Top-Story: 16.07.2008

Mobiles Studio im Doppeldecker-Bus — das BR-Jugendmagazin »Südwild«

Mit dem Jugendmagazin »Südwild« geht der BR seit Herbst 2007 neue interaktive und multimediale Wege. Im rollenden Fernsehstudio, dem »Südwild«-Bus, machen Jugendliche in wechselnden bayerischen Städten vor Ort selbst Fernsehen.

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Das Fernsehprogramm des BR als Anlaufstation für Jugendliche? Bei den meisten wohl kaum die erste Assoziation, denn das dritte Programm in Bayern ist nicht unbedingt für innovatives Jugendprogramm bekannt. Das soll anders werden: Ein neues, frisches Jugendformat für das Bayerische Fernsehen zu entwickeln — dieser Aufgabe stellte sich Wolfgang Mezger, Redaktionsleiter und Entwickler des Jugendformates »Südwild«, im Rahmen der BR-Programmreform im vergangenen Jahr.

Keine leichte Aufgabe, liegt doch der Altersdurchschnitt der BR-Zuschauerschaft jenseits der 60 und der Sender an sich gilt beim jungen Publikum wohl nicht gerade als hip. Man hatte diese Zuschauergruppe auf der Senderseite in der Vergangenheit im Programmschema ziemlich ausgeblendet. Wolfgang Mezger griff zu einem Kniff: Wenn die Jugendlichen nicht zum bayerischen Fernsehen kommen, kommt das Fernsehen eben zu ihnen. Außerdem war für Mezger schon bei der Konzeption des neuen Jugendformates klar, dass es kein Programmangebot sein sollte, das von »oben herab« kommt, sondern sich am wahren Mediennutzungsverhalten der jungen Leute orientiert.

Videoportale wie YouTube, MyVideo und Clipfish haben gigantische Zugriffszahlen und zwar vor allem in der Altersgruppe der 14- bis 19-jährigen, wenn man einer gemeinsamen Studie des TV-Vermarkters SevenOne Media und des Beratungsunternehmens Accenture Glauben schenkt. Jugendliche lassen sich in ihrem Medienkonsum nicht mehr vorschreiben, was sie wann zu sehen haben. Sie produzieren ihre Clips einfach selber und wollen diese auch mit der restlichen Internet-Gemeinde teilen.

Hier setzt das neue BR-Jugendformat »Südwild« an und holt die jugendliche Zuschauerschaft im wahrsten Sinne des Wortes zuhause ab — mit einem eigenen rollenden Sendestudio-Bus.

»Mach dein Fernsehen. Jetzt.«

Diesen Slogan von »Südwild« will der BR umsetzen: Die Jugendlichen können unter der Anleitung von Profis selbst Fernsehen machen. Die Parole lautet hier »Jeder kann mitmachen« — hinter oder vor der Kamera, als Reporter, Cutter, Producer, Kameramann, Schauspieler oder auch einfach als Zuschauer. Vom BR kommen die Moderatoren und die Fernsehtechnikprofis, wie die technische Leiterin Viktoria Bonk und der erste und Set-Aufnahmeleiter Nikolaus Gross, sowie BR-VJs, um die Sendung professionell abzuwickeln und mit den Jugendlichen die Beiträge zu produzieren und die Inhalte zu gestalten.

Von Montag bis Freitag ab 15 Uhr wird eine Stunde live vom »Südwild«-Bus aus gesendet. Der Doppeldecker-Bus beherbergt eine komplett mit Sende- und Videotechnik ausgestattete Produktionsstätte, die via Satellit abwechselnd aus verschiedenen bayerischen Städten senden kann.

Den Rahmen bildet eine Live-Sendung mit jugendlichen Moderatoren, die bayernweit zum Sendungsstart in einer eigenen Casting-Show gesucht wurden. In der Sendung werden neben eigenen VJ-Beiträgen auch Clips gezeigt, die von Jugendlichen unter Anleitung von Coaches im Vorfeld produziert wurden. Und das geht so: Mit einer Vorlaufzeit von 6 bis 8 Wochen vor dem Besuch des »Südwild«-Doppeldeckers begibt sich ein Coach in der jeweiligen bayerischen Stadt auf die Suche nach Jugendlichen, die Lust haben, eigene Geschichten aus ihrer Stadt ins Fernsehen zu bringen. »Südwild« stellt dabei neben der professionellen Beratung in Sachen Dramaturgie und Bildgestaltung auch das Produktions-Equipment mit Kamera, Ton und Licht sowie die Schnitt-Software.

Durch eine Kooperation mit der Software-Firma Magix kann »Südwild« den Jugendlichen eine spezielle »Südwild-Edition« der Schnitt-Software Magix Video Deluxe für den Schnitt ihres Sendebeitrages bereitstellen, die sie danach behalten dürfen. »In jeder Stadt gibt es junge Leute, die Lust darauf haben, selbst Fernsehen zu machen«, so Nikolaus Gross, erster und Set-Aufnahmeleiter: »Wir sehen das ganze auch als Förderung der Fähigkeit zur Selbstvermarktung der Jugendlichen.«

Wolfgang Mezger war es auch wichtig, mit dem neuen Programmangebot im ganzen Freistaat Präsenz zu zeigen — vor Ort bei den Jugendlichen: »Wir wollten kein zentralisiertes, nur von München aus produziertes Format aus der Großstadt sein, das die jugendliche Kleinstadt- und Landbevölkerung im bayerischen Umland ausblendet. Insgesamt bin ich sich sehr zufrieden, wie das »Südwild«-Konzept vor Ort bei den Jugendlichen ankommt«, so Mezger.

Jugendfernsehen im Web 2.0

Internet und Interaktivität spielen beim »Südwild«-Angebot eine ganz zentrale Rolle. Verpasst man mal eine Folge, kann die komplette Sendung auf der Homepage angeschaut werden. Auf suedwild.de können zudem in der Videorubrik Filme hochgeladen und nach redaktioneller Prüfung von den Usern angesehen und bewertet werden. Die besten hochgeladenen Videos haben dann ebenfalls die Chance, bei »Südwild« im Fernsehen gezeigt zu werden. Im »Südwild«-Blog kann diskutiert werden und via Skype steht es den Jugendlichen offen, sich live in die TV-Sendung schalten zu lassen und ihre Meinung zu einem Thema kundzutun. Die Macher von »Südwild« nutzen also nahezu alle Features an Interaktivität, die das Web 2.0 zu bieten hat und versuchen das Internet- und TV-Angebot zu verschmelzen, oder zumindest nah zusammen zu bringen.

Rollendes, vollausgestattetes Sendestudio: der »Südwild«-Bus

Der »Südwild«-Doppeldecker beherbergt im Obergeschoss die Funktionen eines klassischen Ü-Wagens mit Bildregie und Tonmischung, auch zwei Avid-Schnittplätze und Redaktionsarbeitsplätze finden sich hier. Eine Wendeltreppe führt nach unten in den Lounge-Bereich mit vielen Sitzgelegenheiten, einer Bar und Internet-Surfstationen. Hier können die Jugendlichen an den bereitgestellten PCs im Web surfen, sich entspannt in die Ecke setzen oder während des Sendeablaufs die Interviews live mitverfolgen.

Der »Südwild«-Bus hat beachtliche Ausmaße: 14 m lang, 2,5 m breit und 4 m hoch. Mit dabei ist immer ein Rüstanhänger, in dem während des Transports Stative und Licht lagern. Die schiere Größe des Gefährts erschwert manchmal die Zufahrt ins Zentrum der Städte: So konnte der »Südwild«-Bus beim Besuch in Rothenburg ob der Tauber die Stadtmauern nicht passieren, weil das steinerne Stadttor dort für den Bus zu niedrig ist. Ein Ausweichort vor den Toren der Stadt wurde dann kurzerhand zur Sendezentrale. Um solche Umstände möglichst zu vermeiden, werden die Zufahrtswege vorab abgefahren, auch weil die 27 Tonnen Gewicht des Busses die Statik mancher Brückenkonstruktion an ihre Belastungsgrenze bringen könnten. Vor Ort wird der Bus über eine 32-A-Starkstromleitung mit Energie versorgt.

Die technische Ausstattung des Busses hat der BR zusammen mit der Produktionsfirma AVE geplant, für die technische Umsetzung war der technische Dienstleister Satcom verantwortlich. Dabei stand nur ein sehr enges Zeitfenster zur Verfügung. Im Sommer 2007 wurde die Konstruktion des Busses in Auftrag gegeben und ab November fand dann der Technikeinbau statt. »Beim Rausrollen aus der Konstruktionshalle im Januar 2008 wurden noch die letzten Schrauben angezogen«, beschreibt die technische Leiterin Viktoria Bonk die sehr straffe Umsetzungsphase, um noch rechtzeitig zum geplanten Sendestart von »Südwild« den Bus einsatzbereit zu haben.

Produktion im Zusammenspiel zwischen »Südwild«-Bus, AVE und Sendezentrum

Im Südwild-Bus werden vor Sendungsbeginn Beiträge produziert und in die Zentrale überspielt. Um 15 Uhr wird dann die Sendung live aus dem Bus gefahren, die Einspieler stehen zu diesem Zeitpunkt auf einem Server im Sendezentrum bereit und werden dort abgerufen, wenn sie im Sendeablauf an der Reihe sind. Dafür ist natürlich einiges an Kommunikation und technischer Logistik erforderlich.

Im Bus, der Satcom gehört und für die Produktion von AVE angemietet wird, ist ein komplettes ISDN-Telefonanlagen-System installiert, über das auch der Kontakt zum Sendezentrum des BR in Freimann gehalten wird.

Außerdem wird dem Bus noch ein SNG-Fahrzeug zur Seite gestellt, über das die Verbindung zur Sendeabwicklung des BR in Freimann hergestellt wird. Ein technisches Novum ist hierbei, dass die Satellitenstrecke nicht nur als reine Broadcast-Verbindung für die Live-Sendung verwendet wird, sondern auch für die Internet-Versorgung des »Südwild«-Busses dient, um so auch Interaktionen via Skype und Chats direkt aus dem Bus zu ermöglichen. Von der 4-Mbps-Datenrate des Satellitenübertragungsweges werden 3 Mbps für den Video-Stream und der Rest für die Internet-Verbindung belegt. Der Video-Stream wird zuvor in H.264 über einen Hardware-Encoder komprimiert.

Vorproduzierte Beiträge werden vor der Sendung via Satellit ins Sendezentrum überspielt. Das passiert im ersten Schritt per FTP-Transfer: Die Einspieler gelangen so zunächst auf einen Server der Produktionsfirma AVE in Unterföhring. Dort erfolgt die Abnahme der Beiträge und anschließend werden die Einspieler auf den Transfer-Server des BR in Freimann übertragen, schließlich stehen sie dann auf dem Omneon-Sende-Server bereit und werden dort während der Live-Sendung abgerufen.

Vor Ort im Bus geht es eng zu: Im Obergeschoss, wo sich Bildregie, Schnittplätze und Redaktionsbüro befinden, musste mit Grundfläche gegeizt werden und bei einer Deckenhöhe von nur 1,70 m sind die Räume auch ziemlich niedrig: suboptimal für großgewachsene Mitarbeiter mit Rückenproblemen und Klaustrophobie — aber für eine begrenzte Produktionszeit durchaus akzeptabel.

An zwei Schnittplätzen mit Avid Xpress Pro wird, wenn notwendig, der letzte Feinschliff an den vorproduzierten Beiträgen der Jugendlichen vorgenommen und es werden die eigenen Beiträge der »Südwild«-VJs geschnitten. Gedreht wird mit DV, dabei werden Canon-Camcorder des Typs XH G1 (Test hier) verwendet.

Die technische Ausstattung in der Bildregie entspricht weit gehend den Standardinstallationen für Audiomischung und Bildschnitt, wie man sie auch in einem normalen SDÜ-Wagen antrifft. Allerdings gab es für einen separaten Bildtechnik-Arbeitsplatz keinen Raum, da mit Bildmischer und Tontechniker das Platzangebot bereits ausgeschöpft ist. Der »Südwild«-Bus arbeitet mit einem Bildmischer des Typs Indigo von Thomson Grass Valley, im Tonbereich ist als Audiomischer ein Yamaha O1V96 installiert.

Ein zentrales, großes Sony LC-Display zeigt in der Bildregie das Bildangebot der drei Kameras während der Live-Sendung. Als Live-Kameras werden ebenfalls die Canon-Camcorder eingesetzt, die über SDI-Verbindungen an den Mischer angebunden sind. Auch was gerade auf Sendung ist, wird per Multivierwer auf dem Display dargestellt.

»Bei der Klimaanlage, die manchmal wegen der Wärmeentwicklung durch die ganzen Videotechnikgerätschaften überfordert ist, muss nochmal nachgerüstet werden«, erläutert die technische Leiterin Viktoria Bonk. Die Raumtüren im Oberdeck des Busses durch Schiebetüren zu ersetzen, wäre sicher auch noch eine Verbesserungsmaßnahme.

Insgesamt ist das Zusammenspiel aller technischer Komponenten des Busses aber sehr beeindruckend. Dass das technische Konzept funktioniert, beweist der BR in jeder Woche neu, wenn »Südwild« auf Sendung geht. Auch Viktoria Bonk zeigt sich nach wie vor beeindruckt: »Letztens habe ich bei einem Besuch in Berlin dasselbe Modell dieses Busses als normalen Stadtbus rumfahren sehen. Es ist eigentlich schon Wahnsinn, dass wir da einfach ein komplettes Fernsehstudio reingebaut haben. Aber es funktioniert!«