Branche, Kommentar: 06.03.2020

Älter werden als Kameramann

Kameramann Hans Albrecht Lusznat sinniert ganz persönlich übers älter werden — in einer Branche, die eigentlich stets jung bleiben will.

Alt werden im Beruf — in Würde.

Es kommt unmerklich. Langsam aber gnadenlos. Am Anfang — wir sind zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr – sind es vereinzelte, scherzhafte Bemerkungen über erste graue Haare oder Strähnen. Oder eine Anmerkung zur eigenen Vergesslichkeit: Ja, das ist das Alter. Meist folgt ein Lachen, ein Achselzucken und das unausgesprochene Einverständnis, dass man ja in Wahrheit noch nicht alt ist.

Hans Albrecht Lusznat
Hans Albrecht Lusznat ist Jahrgang 1955: »Ich kann immer noch eine Kamera halten und bin noch nicht auf einen Rollator angewiesen.«

Aber wahrscheinlich ist zu dieser Zeit in Wahrheit der Leistungshöhepunkt schon überschritten und der langsame Verfall der eigenen Fähigkeiten hat bereits begonnen. Die allermeisten Leistungssportler haben sich zu diesem Zeitpunkt schon aus ihrem Metier verabschiedet, weil objektive Mess-Methoden zeigen, dass sie mit Jüngeren nicht mehr Stand halten können.

Es kommt unmerklich. Langsam aber gnadenlos.

Außerhalb des Sports können Erfahrung, Wissen, Kontakte und soziale Kompetenz es trotz fortschreitenden Alters ermöglichen, die Position zu behaupten und sogar weiter auszubauen. Wenn sich das Alter mit seinen schleichenden Einschränkungen dann wirklich bemerkbar macht, wird es gern verleugnet: Wie eine unheilbare Krankheit, die man verstecken will, wenn man nicht ausgegrenzt werden will. Altersdiskriminierung ist eine Tatsache — gerade im Bereich freiberuflicher Tätigkeit tobt ein gnadenloser Konkurrenzkampf hinter den Kulissen.

Altersdiskriminierung ist eine Tatsache — gerade im Bereich freiberuflicher Tätigkeit tobt ein gnadenloser Konkurrenzkampf hinter den Kulissen.

Alter ist ein Thema, Altersdiskriminierung ist ein Aspekt davon.

Alter ist ein Thema, Altersdiskriminierung ist ein Aspekt davon. Mich traf beides völlig unvorbereitet und nicht explizit ausgesprochen, auch nicht auf die eigene Person zielend. Es traf ein älteres Teammitglied: »Bitte bring den nicht mehr mit.« An der Arbeit gab es nichts auszusetzen, im Gegenteil war sie professioneller als vieles, was jüngere Kollegen ablieferten und weshalb auch ich die eingespielte Zusammenarbeit favorisierte.

»Bitte bring den nicht mehr mit.«

Jetzt war ich sensibilisiert. An der Qualifikation gab es nichts zu beanstanden, aber bei längeren Drehtagen setzte er sich gerne einmal hin, genau betrachtet waren Ermüdungserscheinungen zu beobachten, die in einem bestimmten Alter ganz normal und selbstverständlich sind. Beim gleich alten Produktionschef würde es niemand wagen, sie zu beanstanden.

Es gab schon früher in meinem Berufsalltag solche Situationen: Dem Kunden war ein Mitarbeiter nicht genehm, dann schickt man einen anderen. Aber nun war es eindeutig Altersdiskriminierung. Und ich? Ich habe mitgespielt. Wohl wissend: Ich bin der nächste, den es trifft.

Junge dynamische Kollegen poppen überall auf, bereitwillig, die Aufgaben und das Honorar zu übernehmen. Da geht es nicht nur an die Substanz, sondern um die Existenz.

Ich habe mitgespielt. Wohl wissend: Ich bin der nächste, den es trifft.

Ich gehöre noch zu der glücklichen Generation von Kameraleuten, die in dem Beruf anfing und wusste, man kann auch in dem Beruf die Rente erreichen — so man das will — und dabei ausschließlich von diesem Beruf leben. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich — und viele Kollegen kommen ohne irgendeine berufsfremde Nebentätigkeit nicht mehr über die Runden. Dabei ändert sich unser Berufsfeld permanent und hat über die Zeit eine Wandlung vom Spezialistentum zur Allgemeinqualifikation durchgemacht. Verschärfend werden inzwischen Tätigkeitsfelder in bestimmten Bereichen schon von Automatisierung und künstlicher Intelligenz bedroht und übernommen.

Film ist zunehmend mehr von Mode geprägt. Es ist vom Look die Rede, von bestimmten Formalien und Mitteln — und wie man sie einsetzt. Das ist sehr ähnlich wie in der Modebranche der Textilindustrie. Ein bisschen Drohne, kurze Schnitte, Weitwinkel, offene Blende. All dieses in einer bestimmten Form angewendet ergibt einen Look, der modern erscheint und den die Leute für eine bestimmte Zeit bevorzugen, um sich dann wieder anderen Mixturen zuzuwenden. Technische Neuerungen sind dabei wichtig, auch wenn die Laien oft nicht genau festmachen können, was den Look letztlich ausmacht.

Durch Mode kommt ein bisher unbedeutender Faktor in kürzeren Wirkungszeiträumen ins Filmgeschäft, anders gesagt sind ältere Kollegen schnell unmodern, und was bisher eine Sicherheit und ein Plus im Beruf war, die Erfahrung, spielt immer weniger eine Rolle. Ganz im Gegenteil: Erfahrung wird zum Hinderungsgrund, weil sie auf der Vergangenheit beruht und der Suche nach dem Neuen im Wege steht. Die Leute wollen das bisher Unerfahrene sehen.

Erfahrung wird zum Hinderungsgrund, weil sie auf der Vergangenheit beruht.

Jeder glaubt, er könne die Dinge auch visuell unter völlig neuen, bisher nie gesehenen Aspekten zeigen. Das gelingt ganz selten, und die meisten Bemühungen in diese Richtung scheitern kläglich.

Wir kennen alle aus Erfahrung die verzweifelten Versuche, visuell Neues einzubringen. Diese kurzen, bald nervigen Trends, beispielsweise den Modelleisenbahn-Look mit schräg gelegter Schärfenebene bei offener Blende. Wenn man die Moden nicht mitmacht, ist man schnell draußen aus dem Geschäft und der einzige Trost gegenüber denen, die mit ihrer modernen hippen Art schnell ins Geschäft drängen: Wer schnell rein kommt, ist oft auch schnell wieder draußen. Wie viele Schnelleinsteiger haben wir kommen und gehen sehen.

Ist das die Endstation?

Mit der Videotechnik ist bei den Beteiligten die WYSIWYG-Überzeugung entstanden und hat den Wert des Erfahrungsschatzes aus handwerklichem Können erheblich geschmälert. Heute hat schon jeder Abiturient mit seinem Laptop und YouTube-Filmen neun Jahre Berufserfahrung im Filmgeschäft vorzuweisen. Soviel zum Wert von Erfahrung, die uns Älteren angeblich zum Vorteil gereichen soll.

Heute hat schon jeder Abiturient mit seinem Laptop und YouTube-Filmen neun Jahre Berufserfahrung im Filmgeschäft vorzuweisen.

Ironischerweise war genau diese Erfahrung am Anfang meines Berufslebens der Grund, warum gleichaltrige Jung-Regisseure ältere Kamerakollegen bevorzugten und damals uns Jungen den Start ins Berufsleben erschwerten. Wir waren sehr wenige, aber es war verdammt schwer im Geschäft.

Zwischen damals und heute ist ein regelrechter Jugendwahn entstanden, mit einem Haufen an Jugend- und Erstlings-Förderungsprogrammen, hinter denen in vielen Fällen handfeste wirtschaftliche Interessen stehen, die eindeutig auf einer Ausnutzungsstrategie beruhen. Um den Anschluss nicht zu verlieren, mag da manch Älterer überlegen: Ich gehe einfach dahin, wo die Jugend ausgebildet wird. Ich unterrichte, suche den Anschluss und drehe dann einen dieser prestigeträchtigen Erstlingsfilme… Das klappt in der Realität aber nur in Ausnahmefällen.

Zwischen damals und heute ist ein regelrechter Jugendwahn entstanden.

Mit Kamerafrauen und -männern ist es wie mit den Cafés: Früher ist man mit dem Auto zum Café gefahren und hat einen Parkplatz gesucht. Heute sucht man einen Parkplatz und wenn man einen findet, dann ist da auch ein Café.

Gefühlte Diskriminierung ist nur ein schmerzhafter Aspekt des Alterns. Es gibt auch reale Einschränkungen des gewohnten Leistungsvermögens, die einem mit dem Altern zu schaffen machen. Beispielsweise lässt die Nahakkommodation des Auges nach und man braucht eine Lesebrille. Mit der Kamera kann man weiterarbeiten wie bisher, aber wenn es etwas zu verstellen gibt, muss man die Brille aufsetzen, um genau zu sehen, was man da verstellt. Mit der digitalen Technik sind die Verstellmöglichkeiten explodiert. Gut vierzig Parameter werden bei einer normalen Kamera im Sucher angezeigt. Seit es Ausklappdisplays und Aufsteckmonitore gibt, ist es noch schwieriger geworden, denn man braucht die Brille, um das Bild zu betrachten, man braucht sie aber nicht, um in die Szene zu schauen. Das sind Kleinigkeiten, aber diese Einschränkungen machen das Leben und Arbeiten schwerer.

Das Hörspektrum nimmt mit zunehmendem Alter deutlich ab, was eine Einschränkung der rein physischen Wahrnehmung beschreibt. Verschärfend hinzu kommt, dass die ganzen Korrekturprozesse im Gehirn, die mit Hilfe unterschiedlichster Zusatzinformationen auch unverständliches Genuschel sinnvoll ergänzen, mit dem Alter träger werden und nicht mehr so schnell funktionieren. Nicht mehr alles richtig zu verstehen, bei immer mehr Nebengeräuschen, ist eine erhebliche Herausforderung.

Warten für den Anschluss?

Das Vergessen ist ein ganz großes Thema des Alterns. Ich kenne Leute aus meiner Peer Group, die immer nach irgendetwas suchen, nach Brillen oder Schlüsseln. Das Kurzzeitgedächtnis funktioniert mit zunehmendem Alter nicht mehr so gut — und das fängt schon nach dem 30. Lebensjahr an. Ist man körperlich gut beieinander, dann sind die nachlassenden Fähigkeiten des Gehirns die größte Einschränkung im Alter. Viele vergangene Missverständnisse bei der Zusammenarbeit mit älteren Regisseuren und Auftraggebern kann ich heute ganz einfach auf Vergessen zurückführen.

Das Vergessen ist ein ganz großes Thema des Alterns.

Jüngere Leute haben es nicht auf dem Schirm, dass Ältere bestimmte Dinge schlicht und einfach vergessen können. Das ist keine böse Absicht — und es funktioniert dann auch nicht, ein Erinnern einzufordern. Ab einem bestimmten Punkt ist Vergessen einfach vergessen. Bei einer Vorstellungsrunde sagt jeder seinen Namen, und mit gutem Vorsatz will man sie sich merken, aber nach zehn Minuten sind sie einfach weg. Gegen das Vergessen kann man beizeiten Strategien entwickeln. Aufschreiben ist eine Kulturtechnik, die gegen das Vergessen hilft, und mit der neuen Telekommunikation und dem Smartphone kann man auch jedem eine Notiz schreiben und dem Vergessen vorbeugen. Termine bestätige ich heute immer per Smartphone.

Termine bestätige ich heute immer per Smartphone.

Gegen das ewige Suchen von Alltagsdingen hilft eine rigorose Ordnung und ein sofortiges Zurücklegen aller Dinge an gewohnte Plätze: Schlüssel in die Tasche links, Telefon in die Tasche rechts, Stifte in der Tasche außen, alles nur an Plätzen ablegen, wo man es immer hinlegt, und lieber einen weiteren Weg gehen, als das Telefon im Bücherregal ablegen, nur weil es in Reichweite ist. Alle kennen den Klassiker, dass man etwas aufs Autodach legt, weil man den Schlüssel aus der Tasche zieht, dann wegfährt und…

Bei der Arbeit bin ich da ganz strikt. Alles kommt immer wieder dahin zurück, wo es hingehört, und wenn es zeitlich nicht geht, dann auf einen Haufen zu den anderen Sachen, die zur Ausrüstung gehören. In Hotelzimmern packe ich Koffer nie aus und habe da auch nie etwas vergessen. Bei Leihgeräten hat sich ein Anfangsfoto des Kofferinhalts mit dem Smartphone schon öfters als Hilfe für das Wiedereinpacken erwiesen. In dieser Beziehung sind die Möglichkeiten der neuen Kommunikationstechniken ein Segen.

Warum sind ältere Menschen vor allem in Stress-Situationen oft so unwirsch?

Warum sind ältere Menschen vor allem in Stress-Situationen oft so unwirsch? Auch das ist oft eine Folge von überforderter Gehirnaktivität. Wenn in einem Punkt die Aufmerksamkeit gefordert ist, werden alle anderen Anfragen ans Gehirn abgewehrt. Ähnliche Prinzipien kennen wir aus der Informationstechnik, wenn Aufgaben sukzessive nach Hierarchien abgearbeitet werden. Ich kann jetzt eine Vielfalt an Aufgaben nur konsequent linear erledigen, am liebsten nacheinander ohne Unterbrechung.

Vergangenes Jahr habe ich eine Ausstellung gemacht und musste für die einzelnen Bilder Texte schreiben, bei denen jeweils vieles recherchiert werden musste. Dann kam ein Dreh und ich war drei Wochen weg. Als ich mich anschließend wieder der Ausstellung widmete, habe ich erneut mit den Texten begonnen und bei der Arbeit plötzlich gemerkt, dass ich die Fakten alle schon einmal überarbeitet hatte. »Warum habe ich das damals nicht aufgeschrieben?« Und dann fand ich im Computer die Texte alle schon fertig. Unterbrechungen führen oft dazu, dass man mit der Arbeit wieder von vorne beginnen muss. Diesen Text hier habe ich schon vor fünf Jahren angefangen und dann immer wieder, wenn ich mich dem Thema Alter gewidmet habe. Es gibt ihn in diversen Versionen mit jeweils verschiedenen Erfahrungen. Es liegt am Thema und daran, dass ich mich über das eigene Altern nicht gerne äußern will.

Es liegt am Thema und daran, dass ich mich über das eigene Altern nicht gerne äußern will.

Mehr machen als Zeitunglesen: Ist den Beruf zum Hobby machen, eine Alternative?

Früher habe ich mich oft über ältere Kollegen amüsiert: Jetzt, wo sie in der Rente sind, haben sie plötzlich keine Zeit mehr. Auch mir läuft die Zeit davon, je mehr Zeit ich durchlebt habe. Aber es ist nicht nur das Gefühl, die Restzeit schrumpft, das da zum Tragen kommt. Ich brauche einfach für viele Dinge länger Zeit. Sprich: Ich bin langsamer geworden. Bei meinen Artikeln sitze ich manchmal einen ganzen Tag da, um ein Detail abzuklären, das sich zeitsparend durch eine verwaschene Formulierung aus der Welt schaffen ließe.

Alten Leuten kommt die Zukunft abhanden: Es ist nicht mehr unsere Welt, die da vor unseren Augen kaputt gemacht wird. Das klingt schrecklich, entspricht aber meiner Meinung nach den Tatsachen. Deshalb sollten wir auch das wählen, was unsere Kinder und Enkel favorisieren, denn sie müssen die heutigen Entscheidungen ausbaden.

Alten Leuten kommt die Zukunft abhanden.

»Früher« ist ein Wort für Leute mit gemeinsamer Erinnerungskultur. Man sollte es aus dem Wortschatz streichen, denn es schließt im Gespräch all jene aus, die nicht so alt sind. Mit »früher« beginnen immer Sätze, in denen verglichen wird mit einem anderen zurückliegenden Zustand. Oft ist der vermeintlich besser gewesen. Vielleicht ist es ganz gut so, dass jede Generation meint, sie sei die glücklichste gewesen, die den noch wahren, echten Zustand ihres Gewerkes kennengelernt habe.

Der einzig objektive Nachweis für die früher besseren Zeiten ist in unserem Beruf die Gagentabelle. Im Zusammenhang mit der jeweils aktuellen Kaufkraft, eine stetig sinkende Linie. Salopp würde ich die Entwicklung des Berufsbildes mit der Wandlung vom Bildkünstler zur visuellen Putzkolonne beschreiben. Aber ist man nicht selber schuld? Wer sein Hobby zum Beruf macht  — hat man oft von Kollegen gehört — der darf sich nicht wundern, wenn der Beruf zum Hobby wird.

Der einzig objektive Nachweis für die früher besseren Zeiten, ist in unserem Beruf die Gagentabelle.

Hans Albrecht Lusznat beim Drehen im Jahr 1977.

Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter ist allgegenwärtig und genauso verständlich wie die Angst des Kameramanns vor dem ersten Take. Die Angst nimmt mit dem Alter zu. Mit der Erfahrung steigt auch die Akribie der Vorbereitung, und damit einher geht die Sorge vor Fehlern und vor Versagen. Und dann liegt ein gestandener Kameramann die Nacht vor dem ersten Drehtag wach im Bett, aus Sorge um all seine Vorbereitungen.

Es gibt Kollegen, die Drehs abgesagt haben, weil sie sich vor lauter Sorgen der Aufgabe nicht mehr gewachsen sahen, die dann ein unbedarfterer Kollege mehr schlecht als recht erledigte, nur weil er in seinem Selbstvertrauen keine Skrupel kennt. Dann versteht man, dass Religion wirklich Trost sein kann, wenn man die Sorgen an Gott delegiert. »..und sorget Euch nicht«, war ein Filmtitel über Klosterbrüder, den ich vor Jahren gedreht habe.

Ältere Leute kommen beim Erzählen von einem zum anderen — und ihren Ausführungen fehlt der gradlinige Weg. Sie ergehen sich in vielen Nebensächlichkeiten, die für den Informationsfluss nicht wichtig sind, ihn aber schwierig und zeitraubend machen. Während der Erzählung werden alle Erinnerungen abgepflückt, die an den erwähnten Dingen kleben. Das mag unterhaltsam sein, führt aber nicht effizient zum Ziel, und immer liegt einem der Satz auf der Zunge, worum geht es jetzt? Interessant ist der Moment, in dem man merkt, ich mache das auch so.

Innen- und Außensicht: Manchmal schwer zur Deckung zu bringen.

Es gibt zwei Ansichten meiner selbst, die Innenansicht, mit der ich aus mir heraus in die Welt blicke, und die Außenansicht, der ich beim Blick in den Spiegel begegne. Sie altern unterschiedlich. Von dem jungen Mann, der mit Enthusiasmus an der Kamera angefangen hat, habe ich mich noch nicht so weit entfernt, und gefühlt ist das auch noch nicht lange her. Aus dem Spiegel blickt ein alter Mann zurück, und diese beiden Ansichten muss man immer wieder zusammen bringen. Zum Glück bestimmt das physische Sein das Bewusstsein, wie Marx so schön sagt. Deshalb kommt es nicht zu existenziellen Konflikten zwischen dem einen, der mehr will, als der andere noch kann. Schwierig wird es mit denen, die nur die Außenansicht sehen.

Aus dem Spiegel blickt ein alter Mann zurück.

Bedeutungsverlust ist das Kernproblem des Alt-geworden-seins. Am härtesten trifft er angestellte Bedeutungsträger mit offizieller Position, deren Bedeutung eng mit dem von ihnen bekleideten Amt verbunden ist. Werden sie aus ihrer Position oder ihrem Amt entlassen, tritt der Verlust schlagartig ein. Ein Paradebeispiel veranschaulicht Murnaus »Der letzte Mann«.

Die eigene Bedeutung bröselt einem unterm Zuschauen weg.

In der Filmbranche kommt der Verlust schleichend, und die eigene Bedeutung bröselt einem unterm Zuschauen weg. Man kann sich in ein Zurückschauen retten, die Vergangenheit aufarbeiten: das sind sie schon gewesen, die besseren Zeiten, von denen man immer geglaubt hat, sie kommen erst noch.

Kollegen aus den verschiedenen Gewerken schreiben dann ein Buch oder machen eine Retrospektive; unter Umständen heimst man einen Preis für das Lebenswerk ein. De facto ist es aus und vorbei — und man kann sich freuen, wenn ein vereinzelter Interessent auf eine der vielen Produktionen aus der eigenen Vergangenheit gestoßen ist und dazu etwas wissen will. Ein Tipp an alle: Man ordne den eigenen Nachlass bei Zeiten, später tut das keiner mehr und alles wandert in einen Müllcontainer.

Das Gute am Alter ist, dass es schleichend daherkommt.

Im Alter ist man nicht mehr so gefragt. Das Gute am Alter ist, dass es schleichend daherkommt. Alter ist kein Unfall, der einen schlagartig aus der Bahn wirft. »Schon mit der Geburt hat das Sterben begonnen«, hat mir mal Pater Onesimus vom Münchner Kapuzinerkloster in die Kamera gesagt. Wir haben ein Leben lang Zeit, uns ans Altern zu gewöhnen. Das ist ein Prozess, der nicht ohne Schmerzen vonstattengeht. Viele Menschen bekommen dabei Depressionen.

Am Ende ein Hinweis für alle Produzenten, Regisseure und Kollegen: Ich arbeite noch immer. Ich kann immer noch eine Kamera halten und bin noch nicht auf einen Rollator angewiesen. Und ich habe auch nicht vergessen, wie viel Spaß die Arbeit machen kann, wenn die Bedingungen stimmen.

Hans Albrecht Lusznat