Studio, Top-Story: 15.02.2024

Ein großes Stück Hollywood in Penzing

Das Filmstudio auf einem alten Fliegerhorst in Oberbayern lockt mit großen Hallen und »Hyperbowl« auch Kinoproduktionen aus den USA an.

Ein knapp zehn Meter hohes Eisentor ist leicht geöffnet. Es führt in eine riesige Halle, die so groß wie ein Fußballfeld ist. Viel gibt es darin nicht zu sehen. Gelbe und weiße Linien markieren den grauen Betonboden. Am Rande stehen zwei Paletten – eine mit Pappkartons und eine mit kleinen, weißen Säcken darauf. »Rauchen und Feuer verboten« prangt groß und breit in Rot an den Außenwänden. Und hier sollen internationale Filmproduktionen aus Amerika und Europa laufen?

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Auf dem Gelände der Penzing Studios.

Ja, genau hier. Die riesige Halle ist Teil der »Penzing Studios«, in der momentan allerdings keine Produktion läuft. Dafür jedoch in den anderen Hallen.

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Diese stehen auf einem ausgedienten Fliegerhorst bei Penzing in Oberbayern. Früher befanden sich hier Hubschrauber und Transall-Flugzeuge der Bundeswehr. Heute breiten sich Filmsets aus, die Hollywood-Blockbuster und Kinofilme drehen. Dafür sorgt seit knapp zwei Jahren ein Start-up, das aus einem Konsortium besteht – mit den Filmproduzenten Joe Neurauter und Philipp Kreuzer, Bastian Ried (Kameraverleih) und Jörn Siegele (Kulissenbauer) sowie Enzo Henze, Frank Förster und Ralf Drechsler (alle Virtual Production). Denn: »Die Nachfrage nach Studiokapazitäten steigt weltweit immer weiter an«, sagt Neurauter. »Gerade auch hier im süddeutschen Raum.« Das würden auch die Bavaria Filmstudios, die mehr auf TV-Produktionen spezialisiert wären, allein nicht abfangen können. Ein neues Studio musste also her – und der alte Fliegerhorst bot mit seinen Hallen und der Infrastruktur beste Voraussetzungen dafür.

@Joe Neurauter
Joe Neurauter.

Vor knapp drei Jahren geriet das Ganze ins Rollen: Damals befinden sich Neurauter und Kreuzer zusammen mit Harry-Potter-Darsteller Daniel Radcliffe in Bayern auf der Suche. »Wir brauchten für die Actionkomödie ‚Guns Akimbo‘ ein passendes Studio. Doch alles war belegt«, erzählt Neurauter. »Am Ende landeten wir in einer alten Papierfabrik bei Dachau.« Über diese Suche kommen die Produzenten über den »FilmFernsehFonds Bayern«, eine Gesellschaft zur Förderung der Medien, mit Bastian Ried und Jörn Siegele zusammen, die das verlassene Militärgelände in Penzing bereits im Blick und sogar erste Gespräche mit dem Bürgermeister vor Ort hatten. So nahm das Ganze seinen Lauf. Die »Penzing Studios« bekamen den Zuschlag.

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Die Hyperbowl gehörte zu den ersten Anbietern auf dem Gelände.

Millionenschwere US-Kinostreifen wie das Remake von »The Crow« und die Fortsetzung von »Silent Hill« sowie »Chantal im Märchenland«, ein Weiterdreh der »Fack Ju Göthe«-Reihe, wurden in Penzing bereits gedreht. In einer der größten Hallen auf dem Gelände, in der bis September 2017 Transall-Maschinen standen, läuft momentan eine amerikanische Streaming-Show. »Das Set dafür umfasst über 400 Personen, die hier knapp ein Jahr lang arbeiten und leben werden. Davon profitiert die gesamte Region«, meint Neurauter, der zwölf Jahre lang in Los Angeles als Filmproduzent tätig war. Er weiß, wie das amerikanische und europäische Filmbusiness funktioniert und verfügt über ein breites Netzwerk. »Ich kenne beide Welten. Das kann bei Verhandlungen hilfreich sein.«

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Bislang haben die Penzing Studios fünf Hallen mit Büros in Betrieb genommen. Dafür mussten die monströsen Gebäude mit einer recht aufwändigen Schall- und Wärmeisolierung versehen werden. In Zukunft sollen insgesamt 15 Studios auf dem alten Fliegerhorst entstehen mit einer Gesamtfläche von über 35.000 Quadratmetern. »Die Transall-Hallen mit jeweils 9.000 Quadratmetern zählen zu den größten Einzelstudios der Welt«, meint Neurauter. Nur die Filmstudios in Babelsberg und von Pinewood in England, in denen die James-Bond-Filme gedreht werden, hätten ein ähnliches Setup in Europa. Außerdem hat das Start-up ein ganz besonderes Extra zu bieten – eine »Hyperbowl« für virtuelle Produktionen. Das ist eine 270 Grad Leinwand, auf die man die Schauplätze von Drehorten originalgetreu und unverfälscht projizieren kann. Eine digitale Filmtechnologie, die, laut Neurauter, immer gefragter ist und die gesamte Filmbranche elementar verändern wird. »Mit einer Hyperbowl sind wir technologische Vorreiter«, so Neurauter. Denn die Filmproduktionen bräuchten mit ihren oft monströsen Filmsets nicht mehr durch die Welt zu den einzelnen Drehorten reisen und dafür viel Geld ausgeben. »Sie können hier in Penzing alles an einem Ort drehen und erledigen.«

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So sieht die Hyperbowl von hinten aus.

Die »Künstliche Intelligenz« mache es möglich. Wie zuletzt. Da sei es um eine Szene in der Prager Staatsoper gegangen. Statt des gesamten Filmsets sind drei Leute von den Penzing Studios dort hingefahren, haben das Innere und Äußere des Gebäudes drei Tage lang fotografiert und gescannt, um dann die Staatsoper schließlich originalgetreu am Computer nachzubauen. »Auf der Hyperbowl kann man dann jede beliebige Perspektive in der Staatsoper einnehmen. Auch die Lichtverhältnisse, ob Tag oder Nacht, können entsprechend dargestellt werden«, so Neurauter. Das funktioniere auch mit Straßenzügen, Wohnblocks oder Landschaftsaufnahmen.

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In der Hyperbowl wurden schon zahlreiche Commercials gedreht.

Pixel, Verzerrungen oder Unschärfen seien mittlerweile nicht mehr zu erkennen. Die digitale Welt erscheine durch die KI-Technologie als natürliche Realität auf der Leinwand. »In den vergangenen Jahren hat sich da einiges getan und entwickelt«, meint Neurauter und betont: »Diese digitalen Workflows und Pipelines sind nicht nur innovativ, sondern wirken auch klimafreundlich und nachhaltig.« Die digitalen Schauplätze könnten immer wieder verwendet werden.

Vor über 30 Jahren lief Cliffhanger in den Kinos. Nun soll es eine Fortsetzung geben. Der FFF Ausschuss für die Förderung internationaler Kinofilme und Serien hat entschieden, das Projekt Cliffhanger 2 mit 2 Mio. Euro zur Förderung zu empfehlen. Die Dreharbeiten finden in weiten Teilen in Bayern statt.

Neurauter fährt mit seinem Auto über den alten Fliegerhorst. Über 3000 Soldaten waren hier mal am Rande von Penzing, eine kleine Gemeinde mit knapp 3900 Einwohnern, stationiert und hatten ihre eigene kleine Stadt. Nur ein paar Kilometer von Landsberg am Lech entfernt. Mit dem Auto braucht man eine gute halbe Stunde bis nach München. Nach dem zweiten Weltkrieg nutzte die US-Luftwaffe den Stützpunkt. Mit dabei auch ein junger Mann, der als Funker arbeitete und später als Johnny Cash die Welt mit seinen Country-Songs eroberte.

Neben den riesigen Hallen gibt es leerstehende und langgezogene Wohnblocks mit Spielcasino, Kino und Bowlingbahn. Dazu ein altes Kraftwerk, ein sogenanntes Kloster sowie einen Wertstoffhof. »Hier entstehen Ateliers und Büros für Kreative und Handwerker«, sagt Neurauter und zeigt während der Fahrt auf ein Gebäude. »In dem sitzt ‚Theaterkunst‘, der größte Kostümverleih in Deutschland. In dem Haus da drüben arbeitet Art-Direktorin Eva Hartmann, die mit einem 3D-Drucker Requisiten kreiert.« Auch der Spezialeffekt-Künstler Gerd Nefzer, mit zwei Oscars dekoriert, ist mit den Penzing Studios verbunden. Die MBS Equipment Company, ein weltweit führender Anbieter für den Verleih professioneller Lichttechnik und Ausrüstung für Film- und Fernsehproduktionen, nutzt ebenfalls ein altes Kasernengebäude als Büro. Auf dem ehemaligen Militärgelände tut sich einiges.

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Aus der Geisterstadt soll langsam aber sicher ein Anziehungspunkt für Filmschaffende, Künstler, Handwerker und Kreative werden. »Das gesamte Gelände hat eine spannende Geschichte und ein großes Potential«, meint der Filmproduzent mit österreichischen Wurzeln, der in Wien Theaterwissenschaften und Publizistik studierte, bevor es ihn nach Los Angeles an eine Filmschule zog. »Die Penzing Studios möchten auch Auszubildenden und Studenten etwas bieten«, sagt Neurauter, der Kontakte zur Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München hat und eine Kooperation für möglich hält.

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Felder und Wiesen umgeben den alten Fliegerhorst.

Felder und Wiesen umgeben den alten Fliegerhorst. Die gezackten Gipfel der Alpen sind in der Ferne am Horizont zu erkennen. Ein alter Bauernhof zeugt von der Zeit, als Landwirte hier noch die Hauptrolle spielten. Dann parkt Joe Neurauter sein Auto vor einem recht kompakten und eckigen Gebäude. »St. Josef Krankenhaus« steht auf einem Schild am Eingang. Früher seien hier verwundete Soldaten behandelt und operiert worden. Jetzt diene es als Filmset, wie zuletzt für eine Krankenhaus-Serie. »Wir können auch live und direkt«, sagt er und lächelt. Auch das alte Spielcasino sei bereits als Drehort genutzt worden.

Zudem sei die Nähe zu den Alpen von Vorteil. »Ab Mai diesen Jahres wird der zweite Teil von Cliffhanger in den Penzing Studios gedreht«, verrät Neurauter. »In der zweiten 9.000 Quadratmeter großen Transall-Halle. Da müssen wir noch die Schall- und Wärmeisolierung fertig machen.« Bevor es dann heißt: Film ab! Hollywood dreht wieder in Penzing.