Filmtipps fürs 40. Internationale Dokfest München 2025
Das Dokfest München startet am 7. Mai mit 105 Dokumentarfilmen aus 58 Ländern in Münchner und Augsburger Kinos und Event-Locations — sowie per Streaming. Hier gibt es dazu Infos und Filmtipps.
Widow Champion
[Afrika, fremde Welten, Frauenrechte]
Kenia 2024 / 90 Minuten / 16:9

In diesem Film begegnen wir Frauen im Kisumu-Distrikt nahe am Viktoriasee in Kenia. Alle haben eines gemeinsam: Sie sind Witwen. In der Tradition kenianischer Volksstämme bezahlt der Mann für die Braut, die dann bei ihm auf dem Hof lebt. Sollte er sterben, dann übernimmt einer der Brüder die verwitwete Frau und sorgt für sie. Was so fürsorglich klingt, hat eine dunkle Seite, denn oft geht es der Verwandtschaft nur um den Besitz und Sex, und viele verwitwete Frauen werden mit ihren Kindern vertrieben. Die meisten Witwen sind rechtlos, es sei denn, der Mann sorgt vor. Der Film begleitet die Witwe Rodah, die sich das Problem der Leidensgenossinnen zu eigen gemacht hat und ihnen nun mit Rat und Tat zur Seite steht. Über mehrere Jahre sieht man einzelne Fälle, in denen sich Rodah engagiert und eine Mediation mit dem Ältestenrat initiiert. Man kommt den Ritualen solcher Verhandlungen nahe, erlebt Interessenausgleich und Versöhnung unter der Anleitung der Ältesten. Bei allem spielt das HIV-Virus im Hintergrund eine Rolle. Stirbt ein Ehemann, wird oft die Frau dafür verantwortlich gemacht. Ein Einblick in den afrikanischen Alltag.
[sehenswert***]
Wir Erben
[Eltern, Familiengeschichte]
Schweiz 2024 / 96 Minuten / 16:9
Die Eltern waren Pioniere der ökologischen Landwirtschaft in der Schweiz und lange Zeit in der Politik aktiv, bevor sie zur Jahrtausendwende nach Frankreich auswanderten und dort einen größeren Hof bewirtschafteten.

Jetzt steht die Frage des Erbes an und einer der beiden Söhne verfolgt den Prozess der Entscheidungsfindung mit der Filmkamera. Wenn alle Familien so mit dem Besitz umgingen, gäbe es wenig Streit. So entstand ein einfühlsames Familienportrait, in dem alle offen über ihre Vorstellungen und Wünsche reden und man auch noch einmal die unterschiedlichen gesellschaftlichen Prägungen am Verlauf der Familiengeschichte mitbekommt.
[sehenswert***]
Simon!
[Musikfilm, Kunst, Dirigentenportrait]
Deutschland 2024 / 53 Minuten / 16:9

Unter Musikern gibt es ganz viele Frühbegabte und oft schon haben diese Kinder eine genaue Vorstellung von ihrem Berufswunsch. Simon Rattle ist einer von ihnen und war schon mit 25 Jahren Musikdirektor des Birmingham Symphonie Orchesters. Seine Art, das wird in diesem Portraitfilm klar, hat etwas sehr Einnehmendes und man muss ihn einfach mögen. Viele Weggefährten und Schüler schildern ihre Erlebnisse mit ihm. Dazwischen sieht man ihn bei Proben und wichtigen Aufführungen im Laufe seiner Karriere. Ein interessantes Portrait nicht nur für Musikliebhaber.
[sehenswert**]

Ai Weiwei’s Turandot
[Oper, Künstlerportrait, Werkentstehung]
Italien, USA 2025 / 78 Minuten / 16:9
»Ich bin nicht an der Oper interessiert und höre normalerweise keine Musik«, das ist der Einleitungssatz von Ai Weiwei. Die Oper in Rom hat ihm 2019 die Regie zu Puccinis Turandot übertragen und weil er knapp 40 Jahre zuvor als Statist an einer Inszenierung von Zeffirelli an der Met in New York seines chinesischen Aussehens wegen mitgewirkt hatte, übernimmt er die Aufgabe und gestaltet sie zu einem vielfältigen Gesamtkunstwerk. Dabei kann man ihm in diesem Film zuschauen. Unterbrochen werden die Proben durch die Pandemie, die Aufführung fand dann ab März 2022 statt.
[sehenswert**]
Mr. Nobody Against Putin
[Russischer Schulalltag, Propaganda, Ukrainekrieg]
Dänemark, Tschechien 2024 / 87 Minuten / 16:9
Pavel (Pascha) Talankin ist Eventkoordinator an der Mittelschule Nr. 1 in Karabash, einer unbedeutenden Stadt im Uralgebirge 1800 km östlich von Moskau. Seine Aufgabe umfasst neben der Organisation der Schulveranstaltungen auch die Dokumentation aller schulischer Aktivitäten und die Dokumentation des schulischen Umfelds mit Video. Sein Büro hat er so eingerichtet, wie den Raum, den er als Schüler der gleichen Schule immer vermisst hatte. Es ist ein Freiraum, den viele Schüler nutzen.

Mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs ändert sich die Situation grundlegend. Plötzlich halten propagandistische und patriotische Inhalte Einzug in den Lehrplan und die Aktivitäten der Schule. Pavel kann das alles filmen, weil es zu seiner Aufgabe gehört. Sein Unwohlsein äußert er verhalten und bekommt über Social Media Kontakt zu einem ausländischen Dokumentarfilmer, dem das Filmen in Russland verwehrt wird. Er verstärkt seine Aktivitäten und sammelt viel Material, erscheint selbst im Bild und reflektiert seine Situation und die Probleme, die er mit der Propaganda hat, denn schon werden die ersten seiner ehemaligen Schüler eingezogen und in den Krieg geschickt. Als seine Situation zu schwierig wird, setzt er sich mit seinem Material in den Westen ab.
Ein sehr genau beobachtender Blick in die russische Provinz mit den Veränderungen, die systematische Propaganda bewirkt.
[sehenswert*****]
A Sudden Glimpse To Deeper Things
[Künstlerportrait, Frauenemanzipation]
Großbritannien 2024 / 88 Minuten / Cinemascope

Der Autor erzählt die Geschichte vom Ende her, indem er dem Zuschauer die Bilder einer älteren Dame präsentiert und über deren Beschreibung herausfindet, was an ihr besonders ist. Es handelt sich um Wilhelmina Barns-Graham (1912-2004), eine schottische Künstlerin aus adligen Kreisen. Ein Gletscherbesuch Ende der 50er Jahre wird mit Reenactment zu einem Erweckungserlebnis stilisiert (etwas nervig), aber unbestritten erkennt man schon in den Bildern und Skizzenbüchern dieser Frau ein Faible für Zahlen, Muster, Raster, Formen und Ordnung, der sich dann in ihren Bildern ausdrückt. Es ist sicher ein Unterfangen, ein abendfüllendes Künstlerportrait einer Person zu schaffen, von der es keine Filmaufnahmen gibt und nur wenig Tondokumente. Immerhin lernt man jemanden kennen, dessen Werk mehr Aufmerksamkeit verdient.
[sehenswert***]

Friendly Fire
[Vater-Sohn-Geschichte, Literat, Portrait, Spurensuche]
Deutschland, Österreich 2025 / 109 Minuten
Der Eröffnungsfilm ist eine Vater-Sohn-Geschichte und es geht um den Lyriker Erich Fried, der 1921 in Wien geboren wurde und 1938 nach London floh und ein viel gelesener Autor und Lyriker im Nachkriegsdeutschland war, ganz besonders in den 70er Jahren und zu Zeiten der außerparlamentarischen Opposition. Sein letztgeborener Sohn Klaus begibt sich mit dem Film auf eine Spurensuche bei Wegbegleitern seines Vaters und in der Verwandtschaft.
[sehenswert***]
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