Broadcast, Live, Sport, Top-Story, Trend: 19.01.2009

Modulare, mobile Regie-Systeme

In der mobilen TV-Produktion haben sich in den vergangenen Jahren neben Ü-Wagen auch zunehmend Rack- oder Flightcase-Systeme etabliert. Einer der Anbieter in Konzeption, Aufbau und Vermietung solcher Systeme ist Wellen+Nöthen.

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Eine der treibenden Kräfte für die Entwicklung neuer Rack- und Flightcase-Systeme waren große, mehrtägige Sport-Events, bei denen größere Produktions- und Redaktionsteams in enger Zusammenarbeit vor Ort agieren und dabei mehr Platz benötigen, als Ü-Wagen bieten können. Auch räumliche Faktoren und Wetterbedingungen können den Ausschlag geben, der Flightcase-Lösung den Vorzug vor dem Ü-Wagen zu geben. Im schnellen Auf- und Abbau von vorkonfiguriertem Equipment, das in speziellen Flightcases transportiert wird, wird teilweise auch höhere Flexibilität und die Möglichkeit gesehen, schnell auf internationale Ereignisse reagieren zu können.

Wellen+Nöthen mit Hauptsitz in Köln bietet komplette Produktionsumgebungen in modularer Bauweise als mobile Regie-Systeme an, die sich an individuelle Anforderungen der Auftraggeber anpassen lassen. In Köln präsentierte Wellen+Nöthen vor kurzem drei Beispiele von mobilen Systemkonfigurationen, wie sie bei konkreten Projekten eingesetzt wurden. Veranstaltungsort war die Systembauhalle des Unternehmens, wo im Normalfall modulare Regie-System nach Kundenwünschen konfiguriert und zusammengestellt werden, aber auch Vor- und Testaufbauten von Festinstallationen realisiert werden.

Beim Open House im Dezember 2008 konnte film-tv-video.de die Live-Workflows der mobilen Produktionsumgebungen sehen und nachvollziehen.

Modulare Flightcase-Regie aus der Formel-1-Übertragung

Zur Live-Übertragung der Formel-1-Saison 2008 stattete das Unternehmen HDinside, eine gemeinsame Tochter von Wellen+Nöthen und Wige Media, den italienischen Sender Sky Italia mit einem individuell auf das Projekt zugeschnittenen mobilen Produktionssystem aus. In spezielle Flightcases integriert, lässt sich das Regie-System direkt vor Ort in den Pressehallen der jeweiligen Rennschauplätze aufbauen und in Betrieb nehmen. Alternativ kann die gesamte Einheit aber auch mit relativ geringem Aufwand in einem speziellen Lkw-Trailer installiert werden.

Vorteile dieser Lösung sind eine Reduzierung der Transportkosten sowie eine Vereinfachung der komplexen internationalen Verschiffung und der aufwändigen Zollabwicklung.

»Wir brauchten rund zwei Monate für die Planung, Umsetzung und Mitarbeitereinweisung dieses speziell für die Formel 1 im Auftrag von Sky Italia angefertigten, mobilen Regie-Systems«, so der technische Leiter der Miet-Abteilung von Wellen+Nöthen, Christian Putz.

Mittels zweier vorkonfigurierter Kabelbäume sowie programmierbarer Setups lässt sich das System innerhalb maximal eines Tages von zwei Technikern aufbauen, erläutert Putz.

Das System kann 16 Signaleingänge verarbeiten. Dies sind meist zwei eigene Live-Kameras und 14 zugelieferte Kamera-Feeds etwa von der FOM (Formula One Management), die mit Bernie Ecclestone die kommerziellen Vermarktungsrechte an der Rennsportserie besitzt. Die Produktionseinheit ist neben anderem Equipment mit einer digitalen 128×128-Kreuzschiene von Thomson Grass Valley und Signal-Processing von Lynx ausgerüstet. Das Monitoring erfolgt über HD-Multiviewer von Evertz mit 42-Zoll-HD-Panels von Barco sowie 17-Zoll-Multiformat-Displays von Panasonic. Die digitale Audiokonsole DM 2000 von Yamaha dient nicht nur als Produktionskonsole, sondern, in Verbindung mit der Riedel Intercom-Anlage, gleichzeitig als Audio-Formatwandler, Signalprozessor und Audio-Kreuzschiene. Damit konnte auf weitere externe Peripheriegeräte verzichtet werden, was die Rüstzeit weiter reduziert.

Mobile SD/HD-Regie beim Porsche Tennis Grand Prix

Beim Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart kam ein mobiles multiformatfähiges SD/HD-Regiesystem von Wellen+Nöthen zum Einsatz, das für die Ausstrahlung auf Eurosport HD und für einen World Feed Service von Ucom Media geordert wurde.

»Mit diesem mobilen Regiesystem geben wir dem Kunden ein flexibles Produktionsmittel an die Hand, das universell einsetzbar ist«, so Christian Putz, Projektingenieur und technischer Leiter bei Wellen+Nöthen.

Mit dem multiformatfähigen Regiesystem konnten beim Tennis Grand Prix bis zu 12 LDK-6000-Kamerazüge von Thomson Grass Valley sowie Slomo-Kameras des Typs HDC-3300 von Sony ebenso verwendet werden, wie ultrakompakte Multiformatkameras des Typs Cunima MCU aus eigenem Haus. Die Kamerasignale wurde über eine 128er-Concerto-Kreuzschiene geroutet. Ein SD/HD-Konverter und Synchronizer (Leitch X75) steht als Multitool für die Transkodierung von SD- und HD-Signalen und für das Audio- und Video-Processing bereit.

Das Monitoring erfolgte hierbei über Evertz-Multiviewer. Aufgezeichnet wurde auf SD/HD-Mazen von Sony und Panasonic sowie mit einem LSM XT-2 System von EVS.

»Zwei Techniker benötigen etwa einen halben Tag für den Aufbau dieses mobilen Regie-Systems«, so Christian Putz zu den extrem kurzen Rigging-Zeiten.

Die speziell modifizierten Flightcases können flexibel kombiniert werden und erlauben einen einfachen Transport. Vier CCU-Cases entsprechen hierbei einem Modul. Die Größe der Cases ist so gewählt, dass die Breite von zwei Cases nebeneinander und die Höhe von zwei Cases übereinander gestapelt, genau einem Palettenstellplatz entspricht.

Die Frontabdeckung der CCU-Cases wurde so modifiziert, dass sie seitlich weggeklappt werden kann, um schnellen Zugang zu den Bedienelementen des Racks zu haben. Über eine seitliche Schiene kann die Abdeckung einfach im Case-Inneren verstaut werden.

Die Komponenten innerhalb des Racks sind untereinander über ein Steckfeld schon vorab miteinander verkabelt. Beim Verkabelungsprinzip am Patch-Feld auf der Rack-Rückseite wurde weitgehend auf Labels an den Kabeln verzichtet und auf Farbcodes gesetzt. Farbig markierte Steckfelder und Stecker machen die Verkabelung extrem anwenderfreundlich, da das Routing entsprechend in den Cases bereits vorkonfektioniert ist. Außerdem kann so der personelle Zeitaufwand und die Fehleranfälligkeit enorm reduziert werden, da nur ein Kabeltyp in verschiedenen Längen für Audio und Video verwendet wird.

Im Havariefall kann das Hauptrack auch seitlich während des laufenden Betriebs geöffnet und die Verkabelung des integrierten Equipments mit dem Steckfeld überprüft werden, auch direktes Patchen zwischen den Komponenten ist möglich. Weiterhin kann das Case bei großer Wärmeentwicklung seitlich aufgeklappt werden, um zusätzliche Luftzufuhr zu ermöglichen.

Im Case sind redundante Netzteile verbaut, die eine fortlaufende Stromversorgung auch beim Ausfall eines Netzteils garantieren sollen. »Bisher wurden in Deutschland größtenteils SD-Produktionen mit diesem mobilen Regiesystem gefahren, obwohl es natürlich auch HD-fähig ist«, so Putz.

Mobiles SD/HD Postproduktionssystem bei der Fußball-EM 2008

Für die Live-Berichterstattung zur Fußball-Europameisterschaft 2008 hat der Bayerische Rundfunk Wige Media mit der Planung und Realisation einer Broadcast-Produktionsumgebung für das IBC (International Broadcast Center) in Wien beauftragt. Wellen+Nöthen hat das System entsprechend der speziellen Kundenanforderungen geplant, konfiguriert und in Betrieb genommen. Für die Bereitstellung des umfangreichen Miet-Equipments zeichnete das gemeinsame Kölner Rental-Unternehmen HDinside verantwortlich.

Eine abgespeckte Version der EM-Postproduktionsumgebung wurde auch beim Open House im Systembau bei Wellen+Nöthen aufgebaut und vorgeführt.

Es handelt sich um ein bandloses Produktionssystem auf der Basis von Avid- und EVS-Systemen, das um eigens programmierte Software-Module erweitert wurde. Eine Playout-Lösung zur Verwaltung und als Ausspielsteuerung aller eingespielten und nachbearbeiteten Clips wurde hierbei ebenfalls integriert. Zur Disposition des Ablaufs am Ingest und Playout wurde eine Software (Downloader) programmiert, die über einen kalender-ähnlichen Aufbau den direkten geplanten Zugriff auf die neun Ingest-Kanäle der drei genutzten EVS-Systeme ermöglicht. Dem Operator steht somit eine einzige Applikation zur Verfügung, die den kompletten Ingest im IMX50-Format aller Maschinen steuert. Ausspielfertige Beiträge werden ebenfalls über eine zentrale Software (Uploader) disponiert. Auch hier erfolgt der Zugriff auf die Clips und die neun Playout-Kanäle aller EVS-Systeme über eine einzige Maschine. Während der EM wurden bis zu neun Signale über drei EVS-XT2-Systeme in Echtzeit aufgezeichnet und direkt über Avid Transfer Engines auf ein Unity-Isis-System gespielt.

»Nach einer Woche waren die 32 TB Speicher schon voll, weil die Redakteure teilweise Feeds von kompletten 3-Stunden-Fußballshows ins System geladen hatten, nur um einen Ausschnitt mit zwei Minuten Länge daraus zu verwenden. Da war dann erstmal Konsolidieren und Löschen angesagt«, so Thomas Jocksch, Projektleiter bei Wellen+Nöthen.

Das übergeordnete Asset-Management-System Avid Interplay ermöglichte an elf Redaktionsarbeitsplätzen mit einem Versatz von weniger als 20 Sekunden gegenüber dem Live-Ereignis, den Zugriff auf das permanent weiter gespeicherte Material. Die redaktionelle Bearbeitung erfolgte über Interplay-Assist-Stationen, wodurch der Echtzeitzugriff auf das gestreamte Material möglich wurde. Weitere Metadaten, wie etwa Informationen zu Toren oder Schiedsrichterentscheidungen, konnten hier flexibel hinzugefügt werden.

In der Postproduktion erlaubte das Setup den unmittelbaren Zugriff auf bereits gesichtetes und gecliptes Material, was schnelle Recherche und Bearbeitung des Materials ermöglichte. Darüber hinaus konnte am Assist-System ein Rohschnitt erstellt werden. Die so erzeugten Shot-Listen standen den Cuttern als Basis für die Postproduktion zur Verfügung. Bearbeitetes Material wurde nach einer einheitlichen Konvention benannt und in die entsprechenden Server-Ordner einsortiert. Dies gewährleistete optimalen Überblick über vorhandenes Material.

»Im Vorfeld war es als Systemadministrator wichtig, die Rechteverwaltung abzuklären: Was die Logger, Redakteure und Cutter dürfen und was nicht. Wer darf was löschen, welche Clips sollen für wen einsehbar sein und mit Metadaten editierbar sein? Interplay und Isis bieten hier unglaublich viele Möglichkeiten bei der Rechtevergabe. Das machte es aber auch zu einer Herausforderung für den Administrator«, erläutert Guido Ochs, der im IT-Service bei Wellen+Nöthen tätig ist.

Drei bis vier Techniker haben das System während der Fußball-EM vor Ort im IBC in Wien betreut. Der Aufbau und die Inbetriebnahme des mobilen Postproduktionssystems erfolgten unter enormem Zeitdruck. »Am Montag kam das Equipment im IBC an und am darauffolgenden Mittwoch fand auch schon die Abnahme durch den BR statt. Innerhalb von zwei Tagen haben zwei Techniker das ganze vorab geprüfte System installiert«, erinnert sich Thomas Jocksch.

Die Audiobearbeitung erfolgte über ein ProTools-HD-System von Digidesign, das ebenfalls direkt auf das Unity-Isis zugreifen konnte. Der Feinschnitt erfolgte dann auf MediaComposern. Produziert wurde durchgehend im IMX-Standard bei 50 Mbps. Über einen »Send to Playback«-Befehl wurde der finale Beitrag auf dem EVS-Server zur Ausspielung bereitgestellt. Das System ist dabei so leistungsfähig ausgelegt, dass es für die Redakteure möglich war, auf Clips in der Original-Auflösung IMX50 zuzugreifen.

Das System ist im eingesetzten Setup bereits HD-fähig. So wäre es möglich, den Workflow durchgängig im Avid-Codec DNxHD 120 oder 185 zu gestalten. Um den Traffic über die per Gigabit-Ethernet vernetzten Arbeitsplätze geringer zu halten, hält es Thomas Jocksch auch für denkbar, mit vorgeschalteten Proxy-Generator das Logging und den Vorschnitt der Redakteure mit einer niedriger aufgelösten MPEG-Vorschaudatei zu lösen.

Ein redundantes Energieversorgungs- und Backup-System garantierte laut Jocksch eine maximale Produktionssicherheit des gesamten Systems: »Den legendären Stromausfall im IBC beim Halbfinale zwischen Deutschland und Türkei, bedingt durch ein heftiges Unwetter in Wien, hätten wir durch unsere unabhängige Stromversorgung für etwa 30 bis 40 Minuten abfangen können. Aber kameraseitig kam von der UEFA halt gar kein Bildsignal mehr rein.«