Branche: 22.12.2005

Kino: Zyklische Besucherströme und digitale Projektion

»King Kong wird das Weihnachtsgeschäft in ganz, ganz großem Umfang beglücken«, hofft inständig Johannes Klingsporn, Geschäftsführer des Verbands der Filmverleiher für das Restkinojahr. Dennoch lockte das Filmangebot im Jahr 2005, so die Prognose bis zum Jahresende, 15 bis 20% weniger Zuschauer vor die Leinwände. 2006 aber werde das Jammertal verlassen, glaubt Thomas Negele, Vorstandsvorsitzender des Kinobetreiberverbandes HDF Kino. Beide Verbandschefs setzen dabei ihre Hoffnungen auch in die digitale Kinozukunft.

Wann und wie die Kinolandschaft in Deutschland signifikant digitalisiert werden kann, ist allerdings ebenso unklar wie die Finanzierung dieser Maßnahme. Am stärksten profitiert von der Kinodigitalisierung der Verleihbereich, für den diese wie eine Rationalisierungsmaßnahme wirkt. Die größten Investitionen müssen dagegen im Wesentlichen die Kinos tragen. Hier dürfe man zumindest den Fehler der Standardvielfalt á la Filmton nicht wiederholen und begrüße daher die Hollywood-Spezifikation »Digital Cinema Initiative« (DCI), lassen die Verbände verlauten.

Aber nicht einmal auf eine gemeinsame, aktuelle Zahl der digital ausgestatteten Kinos mögen sich die Branchenverbände festlegen: Von etwa 30 Leinwänden ist die Rede, auf denen mit guter Technik (also in 2K-Auflösung) Filme gezeigt werden. Dazu zählt zum Teil auch Gerät der ersten Stunde, das etwa im Berliner Zoo-Palast und anderswo eingebaut wurde, bevor Hollywood über seine DCI überhaupt nachdachte. Weitere 90 Häuser werden zu den E-Cinemas gerechnet, wo Werbung unterhalb von 2K-Auflösung auf die Leinwand gebeamt wird. Die Teilnehmer der European Docuzone lassen bei ihren Zahlen gleich beides draußen, da man dort nicht auf DCI aufbaue. Allerdings geht es denen auch kaum darum, die eher kleinen Leinwände der »Delikatessen«-Programmkinos mittels Hightech á la DCI zu bespielen.

Digitale Spaltung vermeiden

Dennoch soll es, kündigt Klingsporn an, »auf keinen Fall digitales Kino als Zweiklassengesellschaft« geben: Mit Hightech-Projektionen von Hollywood-Stoff in DCI-konformen Konzernkinos auf der einen und europäischer (B(?)-)Ware in der Fläche mit Billigtechnik auf der anderen. »Damit der Gesamtmarkt erhalten bleibt«, ergänzt Negele und hat dabei die vielen kleinen HDF-Mitgliedsbetriebe im Sinn. Für die denke man über »Bürgschaftsmodelle« und »Sonderfinanzierungen« nach, damit sie die Umstellung von der Filmrolle auf die Datenplatte überleben. Bis es solche Geschäftsmodelle gibt, brauche es allerdings einen jahrelangen Prozess. Man arbeite dran, demnächst soll es mehr dazu geben.

Auf dieses Modell könnte ein in seinen Möglichkeiten heute unterschätztes Geschäft folgen, Event-Kino, das gar dem Fernsehen Konkurrenz machen könnte: »Wir haben dann dieselben Möglichkeiten wie ein Fernsehsender«, so Negele. Einmal mehr soll die Fußball-WM die Nagelprobe für das Event-Fernsehen im Kino werden. »Die Verträge sind schon unterschrieben.«

Optimismus mit statistischen Tücken

Für den noch weit überwiegend analogen Kinoalltag 2006 setzen Klingsporn und Negele einmal mehr auf die schon angekündigten Filme und verweisen aufs noch laufende Jahr: Nach dem Einbruch der ersten zehn Monate habe der November ein Umsatzplus zum gleichen Vorjahresmonat um drei Millionen auf 56,3 Millionen Euro gebracht. Der neue »Harry Potter« habe mit 2,8 Millionen Besuchern »den erfolgreichsten Kinostart aller Zeiten in Deutschland« hingelegt und »Die Chroniken von Narnia« sei mit 800.000 Zuschauern gut gestartet, berichtete Johannes Klingsporn: »Ein tolles Jahr liegt vor uns.«

Man kann die Zahlen aber auch anders lesen: Das vierte Zauberlehrlings-Sequel brach in seiner zweiten Woche um 52 Prozent ein, zudem verloren im gleichen Zeitraum alle deutschen Kino-Top-20 gegenüber der Vorwoche zwischen 16 und 62 Prozent Zuschauer (laut Filmecho Nr. 46/05). Die US-Titel hatten 2005 an der Kasse enttäuscht, die dadurch bei den Kinos entstandene Umsatzlücke konnten auch die überraschend vielen, relativ gut angenommenen deutschen Produktionen nicht füllen.

Blick zurück nach vorn

Die Verbände von Abspiel und Verleih schauen indessen nicht nur pflichtschuldigst nach vorn auf den nächsten »Bond«, »King Kong«, den neuen »Casanova«, die erste Dan-Brown-Verfilmung »The DaVinci Code« oder Attraktives aus eigenem Lande wie Tom Tykwers »Das Parfum«, Oskar Roehlers »Elementarteilchen«, Andreas Dresens »Sommer vorm Balkon«. Aber auch aus dem Rückblick schöpfen die Verbandsleute Kraft: Der Anteil der Altersgruppe 50-plus stieg von fünf Millionen (bei 124,5 Mio. Kinogängern, 1995) auf 14 Millionen (von 157 Mio. Zuschauern) in 2004. Damit das eindeutig interpretiert werden kann, soll demnächst eine Motivationsstudie genaueren Aufschluss über Besuchergruppen bringen und Grundlage neuer Marketing-Strategien werden. Der Trend, so wird vermutet, werde sich fortsetzen: In den letzten zehn Jahren stiegen die Besucherzahlen im Schnitt um jährlich 2,6 Prozent. Kino sei nun mal ein zyklisches Geschäft mit Durststrecken, »die aber nicht das Ende der Kinos bedeuten«, versucht Thomas Negele einen positiven Ausblick.