Branche, Top-Story: 18.10.2001

Pinnacle: Sony von morgen?

Im Gespräch mit www.film-tv-video.de erläuterte Pinnacle-CEO Mark Sanders Absicht und Auswirkungen dieses Schritts und gab einen Ausblick auf die weitere Unternehmens-Strategie von Pinnacle.

Pinnacle gehört zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen der Branche. Auch mit seinen nunmehr 15 Übernahmen anderer Firmen machte das amerikanische Unternehmen in den vergangenen Jahren immer wieder von sich reden. Jüngster Übernahmekandidat war der deutsche Nonlinear-Pionier Fast Multimedia, der seit der IBC2001 zu Pinnacle gehört.

Ein Interview mit Pinnacle-CEO Mark Sanders zu diesem Thema, zur Strategie seines Unternehmens und zur Lage der Branche.

? Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Gerüchte, dass Pinnacle Fast übernehmen wolle. Dass dies gerade jetzt Realität wurde, als sich Fast langsam auch bei den schwierigsten Kunden, den europäischen Broadcastern, etablieren konnte und eine durchgängige Produktlinie aufgebaut hatte, war für die meisten Insider dann doch überraschend. Wie kam es dazu?

Mark Sanders: Der Videomarkt hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark verändert. Vor zehn Jahren konnte ein reiner Nonlinear-Anbieter noch sehr schnell durch Neukunden wachsen. Wenn man dagegen heute neue Kunden für ein nonlineares Editing-System gewinnen will, muss man sie in der Regel dazu bringen, vom Editing-System eines konkurrierenden Herstellers aus zu wechseln. Das ist natürlich viel schwieriger und ich denke, das Fast-Team hatte realisiert, dass es künftig noch schwieriger werden würde, in diesem Spannungsfeld mit einer reinen NLE-Produktpalette weiter zu bestehen.
Fast hätte mit seiner Produktpalette eine größere Verbreitung benötigt und neue Vertriebsgebiete erschließen müssen, um selbständig bleiben zu können. Hierfür braucht man mehr Finanzmittel und zuletzt wäre es für Fast dann trotzdem nötig geworden, weitere Applikationen anzubieten: etwa DVD-Authoring, Titel-Generator-Systeme und ähnliches.
Fast hätte noch lange Zeit gebraucht, um all das zu erreichen. Mit Pinnacle wird nun alles, was für eine positive Weiterentwicklung nötig ist, auf einen Schlag verfügbar. Wir waren schon seit Jahren mit Fast im Kontakt, und letztlich ging es nur darum, den richtigen Zeitraum zu erwischen.

? Wie werden nun die Organisationsstrukturen von Pinnacle und Fast in Europa zusammengeführt, wie wird Pinnacle in Deutschland und Europa aufgestellt? Bisher war es ja nicht immer einfach, bei Pinnacle den richtigen Ansprechpartner zu finden und es gibt sicher auch Überlappungen in den Strukturen der beiden seitherigen Konkurrenten.

Mark Sanders: In den einzelnen Ländern Europas stellt sich hierbei die Situation sehr unterschiedlich dar. Leider war Pinnacle bislang in Deutschland, wo der europäische Markt am stärksten und größten ist, am schwächsten vertreten. In Frankreich und in England ist Pinnacle beispielsweise deutlich besser positioniert. Die konservative Haltung vieler deutschsprachiger Kunden erschwert die Marktsituation für uns. Da heißt es oft: »Wir machen mit unseren seitherigen Lieferanten seit 25 Jahren Geschäfte. Warum sollten wir jetzt wechseln?«
Was die interne Organisation betrifft, so war Pinnacle in Europa bis dato nach Marktsegmenten unterteilt. Das werden wir ändern und künftig nach geografischen Regionen neu strukturieren, weil das der Marktsituation in Europa wesentlich besser entspricht. Es wird die Regionen Southern Europe, Central Europe, Northern Europe und East Europe geben. Manche dieser Regionen werden ehemalige Fast-Manager leiten, andere Pinnacle-Manager. Die organisatorischen Überlappungen zwischen Fast und Pinnacle sind europaweit betrachtet gar nicht so groß, sondern ergänzen sich ziemlich gut. Das gilt auch weitestgehend für das Händlernetz.
Ich möchte auch noch etwas ganz Grundsätzliches sagen: Teilweise werde ich gefragt: »Verliert Deutschland jetzt eine weitere Videofirma?« Meine Antwort darauf ist, dass Pinnacle weder eine amerikanische noch eine deutsche, sondern eine globale Firma ist, die in den USA, in Deutschland und auch in China eine sehr starke Präsenz hat. Wir sind schon seit der Gründung des Unternehmens ein internationales Team. Die Amerikaner sind sogar mittlerweile in der Unterzahl. Mit der Übernahme von Fast haben wir in Europa mehr Mitarbeiter als in den USA.
Generell kann ich sagen, dass Europa für Pinnacle noch wichtiger wird, als es ohnehin schon ist. Ein Beispiel für die Bedeutung des Standorts Deutschland innerhalb von Pinnacle: In Braunschweig haben wir vor Jahren Miro übernommen. Mittlerweile sitzt dort nicht nur weiterhin ein großer Teil der Entwicklung, sondern auch unsere SAP-Zentrale für das gesamte Unternehmen.
Letztlich sehe ich die aktuelle Situation so: In Deutschland wird die alte Pinnacle-Organisation, so wie sie bisher im Broadcast-Bereich aufgestellt war, verschwinden, das Gleiche gilt für die alte Fast-Organisation. Beides wird zu einer neuen Organisation verschmelzen.

? Sie selbst vergleichen Pinnacle gern mit der Rolle, die Sony bislang im Video- und Broadcast-Markt gespielt hat und spielt. Dabei prophezeien Sie, dass sich Pinnacle durch aggressives Wachstum zum Marktführer von morgen entwickeln werde. Manch einer folgt Ihnen bei dieser Betrachtung, andere sehen das rasche Wachstum Pinnacles kritischer und glauben, dass darin auch große Risiken liegen und sich die Firma langfristig den Boden für eine gesunde Existenz entzieht. Was sagen Sie den Skeptikern?

Mark Sanders: Ich glaube nicht, dass schnelles Firmenwachstum dazu führt, dass sich ein Unternehmen defokussiert. Außerdem zeigt die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt bestimmte Gesetzmäßigkeiten. Eine davon: Firmen, die zu Beginn einer bahnbrechenden technologischen Entwicklung eine Rolle spielen, können ihre Marktführerschaft meist nicht in jene Phase hinüber retten, in der es in einem deutlich gewachsenen Markt nur noch wenige große Player gibt, die mit dieser Technologie viel Geld verdienen.
Nehmen wir als Beispiel die Automobilindustrie: Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es ganz unterschiedliche Antriebstechniken bei den ersten Autos. Niemand wusste, welche sich durchsetzen würden und es gab ständige Veränderungen und Neuerungen. In der Folge gab es in den USA noch in den 20er Jahren mehr als 5000 Anbieter von Automobilen. Heute, haben wir im Prinzip nur noch General Motors, Ford, Daimler/Chrysler und ein paar Nischenanbieter. Von General Motors, dem größten Automobil-Hersteller der Welt, war in den Anfängen überhaupt nicht die Rede, das Unternehmen wuchs in der entscheidenden Phase massiv durch Firmenübernahmen.
Wenn man dieses Beispiel auf die Videoindustrie übertragt, kann man sicher davon ausgehen, dass auch hier die alten Marktführer wie Sony, Panasonic und Thomson durch neue Marktführer ersetzt werden. Aus meiner Sicht wird sich jenes Unternehmen durchsetzen, das am schnellsten wächst. Wachstum ist entscheidend und das erreicht man nur durch Akquisitionen. Pinnacle ist in den vergangenen Jahren dramatisch gewachsen. Die Hälfte davon kommt durch natürliches Wachstum, die andere Hälfte durch Akquisitionen. In den vergangenen fünf Jahren sind wir ums 15fache gewachsen. Wenn wir auch in den nächsten Jahren ums 15fache wachsen, wird unser Umsatz bei mehreren Milliarden Dollar liegen, und damit wären wir die Nummer 1 im Video-Business.

? Technologie spielt bei dieser Entwicklung also letztlich gar keine Rolle mehr, sondern nur die Größe eines Unternehmens?

Mark Sanders: Technologie spielt nur an einem ganz bestimmten Punkt in dieser Entwicklung eine Rolle, nämlich in der Phase des Rapid Development. Dann ist es wichtig, neue Technologien schneller als alle anderen zu entwickeln. Aber dann kommt die Phase, in der die Marke als solche am wichtigsten ist. Dafür gibt es viele Beispiele: Macht HP die besten Drucker, hat Oracle die beste Datenbank im Angebot oder Microsoft die beste Büro-Software? Das weiß eigentlich gar niemand, und es spielt auch letztlich keine Rolle, denn diese Firmen dominieren ihren jeweiligen Markt. Deshalb will Pinnacle die Nummer 1 werden.

? Durch schiere Größe und geschickte Markenführung kann man also die Nummer 1 werden?

Mark Sanders: Marken sind eine interessante Sache mit interessanten Auswirkungen: In den USA gibt es keine größeren Projekte mehr in der Broadcast-Branche, bei denen Pinnacle nicht zur Angebotsabgabe eingeladen würde. Dort ist unsere Marke sehr stark.
Das liegt unter anderem auch daran, dass Pinnacle als reine Video-Company agiert und wahrgenommen wird. Im Umkehrschluss erkennen die Kunden, dass wir in diesem Bereich überleben und deshalb hier alles geben müssen. Andere Hersteller sind dagegen auch noch in ganz anderen Bereichen aktiv, müssen also letztlich im Broadcast-Bereich gar nicht überleben. Thomson etwa kann das Broadcast-Business im Prinzip jederzeit aufgeben. Sony verdient wahrscheinlich mit Spielkonsolen mehr Geld als mit Produkten aus dem Broadcast-Bereich.
Amerikanische Broadcaster halten es aber für immer wichtiger, in Produkte von Firmen zu investieren, von denen sie sicher sind, dass es sie in fünf oder zehn Jahren auch im Broadcast-Bereich noch geben wird. Hier sind wir gut positioniert: Kann Pinnacle eine echte, schwere Rezession von zwei Jahren überleben? Keine Frage, Pinnacle kann das überleben. Und aus diesem Grund steht Pinnacle in Nordamerika und im Fernen Osten besser da, als in Europa, wo solche Überlegungen weniger weit gediehen sind und wo traditionell Thomson/Philips und andere viel besser etabliert und im Geschäft sind. Das alles sind auch Aspekte der Markenführung.
Generell brauchen solche Dinge eben auch Zeit. Wenn Sie etwa heute über Videoeffekte reden, gibt es immer noch Leute, die in diesem Zusammenhang Ampex erwähnen, obwohl Ampex seit 10 Jahren nicht mehr in diesem Geschäft aktiv ist. Tatsache ist aber, dass Pinnacle der größte Hersteller und Lieferant für Effektgeräte und Grafik-Equipment im TV-Bereich ist. Das Gleiche gilt auch für bandlose Speichermedien, wo nicht etwa Sony, Panasonic oder Seachange den Broadcast-Markt anführen, sondern Pinnacle. Es dauert einfach eine Weile, bis sich die Wahrnehmung innerhalb eines Markts den tatsächlichen Gegebenheiten anpasst.
Gerade auch in diesem Zusammenhang spielt Fast für uns eine wichtige Rolle, denn Fast ist am deutschsprachigen Markt sehr gut vertreten und wird uns viele Türen öffnen. Die Akquisition von Fast Multimedia ist nicht nur von der Produktseite interessant, sondern hat natürlich für Pinnacle auch strategische Aspekte: Fast ist für Pinnacle im Broadcast-Markt der Schlüssel für Deutschland und Europa.

? Wer konkurriert aus Ihrer Sicht mit Pinnacle darum, die Nummer 1 zu werden?

Mark Sanders: Meine Anwort wird jetzt vielleicht sehr arrogant klingen: Ich glaube, dass Pinnacle zwar verschiedene Konkurrenten hat, aber keinen, der unsere ganze Palette abdeckt. Wir konkurrieren mit Avid im Bereich High-End-Nonlinear-Editing, mit Chyron und Aston im Bereich Schriftgeneratoren, mit Discreet und vielen anderen in weiteren Bereichen. Wir haben rund 75 Produktlinien und im Prinzip sind 95 % unserer Konkurrenten Firmen, die nur eine oder zwei Produktlinien anbieten. Deshalb glaube ich, dass Pinnacle in einer einzigartigen Position ist.

? Fast kooperierte ja bisher unter anderem mit Sony und hatte einen Kontakt zu Matrox aufgebaut. Wie wird das weitergehen?

Mark Sanders: Aus unserer Sicht können alle Kooperationen weiterlaufen. Das OEM-Geschäft ist für Pinnacle schon immer sehr wichtig. So ist beispielsweise Avid der größte einzelne Kunde von Pinnacle. Auch mit Matrox gibt es durchaus partnerschaftliche Kontakte.

? Welche Zukunft prophezeien Sie der Broadcast-Industrie ganz generell?

Mark Sanders: Im Augenblick ist die Industrie eher am Boden, aber das macht im Grunde wenig aus, denn es ist so ähnlich wie in einem Radrennen: Wenn’s regnet, werden alle langsamer. Entscheidend ist, dass man trotzdem gewinnt. Außerdem gilt: Wenn die Branche derzeit nicht so gut da steht, hat das auch positive Effekte, denn dann werden nur die guten und starken Firmen überleben, also die mit viel Cash und mit vielen Produkten. Das ist letztlich gesünder für die Branche und gut für uns. Lassen Sie es mich so sagen: Ich sehe eigentlich keine Möglichkeit dafür, dass Pinnacle auf dem eingeschlagenen Weg scheitern könnte.

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