Kommentar, Top-Story: 16.05.2002

Harte Bandagen

Der Markt wird enger – in Zeiten wie diesen müssen das viele Firmen auf schmerzhafte Art und Weise erfahren. Jüngstes Beispiel: Vor wenigen Tagen stellte das etablierte deutsche Systemhaus Delta System AG wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag. Dass es soweit gekommen ist, liegt in diesem Fall nicht etwa an Börsenspekulationen oder Fusionsfieber, sondern an einer Markt- und Wettbewerbssituation, die viele Branchen-Insider als ruinös bezeichnen.

Keine Frage: Das Klima ist rauer geworden und manchem ist in dieser Situation das Hemd näher als die Hose. Viele Hersteller und Dienstleister akzeptieren in dieser Situation von ihren Kunden Bedingungen, die sie in den »guten Zeiten« zu Recht mit deutlichen Worten abgelehnt hätten.

Zudem: In schweren Zeiten werden auch Spezialistenthemen wie das Systemhaus-Geschäft von großen Unternehmen darauf abgeklopft, ob hier nicht mehr zu machen wäre. So zeigt etwa die Telekom-Tochter T-Systems derzeit großes Interesse an Broadcast-Aufträgen. Die Großen können aber zunächst einmal mit Verlusten in diese Nischen drängen, weil sie das mit anderen Unternehmensbereichen oder wegen einer dicken Kapitaldecke abfedern können. Aber bleiben die Großen auch längerfristig in der Nische aktiv?

Die Kunden sollten, auch wenn sie vielleicht kurzfristig vom Vernichtungskrieg der Anbieter profitieren können, sorgenvoll auf diese Entwicklung schauen: Mit jedem weiteren Hersteller, der geschluckt wird und mit jedem weiteren Dienstleister, der verschwindet, schrumpft schließlich die Vielfalt des Marktes, wird neuen Mono- und Oligopolen der Boden bereitet. Das steht im Widerspruch zum derzeit oft gesungenen Kanon von der Marktbereinigung, von der »Selbstreinigungskraft der Wirtschaft im freien Spiel der Märkte«. Und so lautet das Credo der Anbieterseite derzeit völlig zu Recht: »Liebe Kunden, wenn ihr von der Marktvielfalt auch noch in ein paar Jahren profitieren wollt, müsst ihr uns jetzt am Leben erhalten, denn sonst gibt es bald kaum noch jemanden, mit dem ihr Geschäfte machen könnt.«

Das soll keineswegs als Generalabsolution missverstanden werden: Mancher Hersteller und Dienstleister hat seine aktuell miserable Situation selbst (mit)verschuldet. Dennoch: Nur Vielfalt sorgt für einen gesunden, innovativen Markt. Sie werden sehen.