Branche, Top-Story: 12.07.2002

Wir haben die Größe, wir können es zeigen — und wir machen es

Joachim Bause (38) ist seit dem 1. April 2002 neuer General Manager Broadcast Industries bei der Sony Deutschland GmbH. Er beantwortete in einem umfangreichen Interview die Fragen von www.film-tv-video.de und gab dabei Einblicke in die Business- und Produktstrategie seiner Abteilung.

Joachim Bause, Sony, 2002
Joachim Bause, General Manager Broadcast Industries, Sony Deutschland GmbH.
? Wie sehen Sie den derzeitigen Zustand der Branche?

Joachim Bause: Ich denke die Branche befindet sich derzeit in einem großen Umbruch. Wir haben heute einen schwierigen Ist-Zustand, der durch Marktbereinigung geprägt ist. Die Ursachen dafür liegen teilweise in der allgemeinen Wirtschaftslage, teilweise auch in Missmanagement.

? Was meinen Sie konkret damit?

Joachim Bause: Ich sehe die Marktlage für das klassische Geschäft eher rückläufig, da die Werbemittel derzeit rückläufig sind. Gleichzeitig laufen Diskussionen darüber, ob etwa Alkoholwerbung verboten werden soll und somit der Werbemarkt weitere Restriktionen hinnehmen müsste. Die Refinanzierung der Investitionen muss aber über Werbemittel passieren: Champions League oder Formel 1 zeigen doch, wo das Geld heutzutage herkommt.

Dann kommt noch der Zusammenbruch der Kirch-Unternehmensgruppe dazu. Generell gilt: Die Branche ist in einer Situation, in der man umdenken muss.

? Was wird nun in der Folge passieren, welche Gefahren drohen?

Joachim Bause: Es steht eine Bereinigung im positiven wie im negativen Sinne an. Das ist einerseits schade, denn darunter wird mit Sicherheit die Qualität der Produktion leiden. Auf der anderen Seite wird in den Bereichen, in denen wir eine Schwemme hatten, auch wieder Qualität produziert werden.

Ich hoffe nicht, dass die Leute, die durch die „Kirchpleiten“ ihren Hauptarbeitgeber verloren haben, den Markt mit Dumping-Preisen belasten. Wenn sich nun die ganzen kleinen Anbieter gegenseitig die Augen ausstächen, würde das insgesamt sicher noch zu einer größeren Pleitewelle führen. In einigen anderen Branchen gab es dieses Problem schon, dort konnten durch Marktunterbietung oder marktunübliche Preise die Kosten nicht mehr gedeckt werden. Das ist eine Spirale, die kann niemand wollen und wir werden versuchen unseren Teil dazu beitragen, dass das nicht passiert und zwar mit kreativen Mitteln, die wir einbringen können. Aber ich denke ohnehin, dass der Rest des Marktes so clever ist, dass sich auf Dauer Qualität durchsetzen wird.

? Wird die aktuelle Situation länger dauern oder sehen Sie das Licht am Ende des Tunnels nahen?

Joachim Bause: Ich bin fest davon überzeugt, dass sobald die Rechte an der Fußballbundesliga neu vergeben sind und sich die ganzen schwebenden Insolvenzverfahren gelöst haben, der Markt wieder Zeichen bekommt.

Die Grundtendenz ist doch bei vielen schon jetzt sehr positiv. Aber das ist eben wie an der Börse: Selbst diejenigen, die verfügbares Geld haben, warten in schwierigen Zeiten lieber mit Investitionen. Wenn die Zeichen wieder gesetzt sind, löst sich der Knoten und es geht wieder los.

Ich schätze, dass sich etwa ab der IBC bis Ende des Jahres die Märkte wieder drehen. Vielleicht nicht ganz zu der Form, wie wir sie vorher hatten, aber doch so, dass Arbeit und Gewinne gesichert sind.

? Sie waren vor Ihrem Wechsel zu Sony zuletzt für Avid in Asien tätig. Welche Besonderheiten birgt aus der damit möglichen Sicht von außen der europäische und im besonderen der deutsche Markt im internationalen Vergleich?
Joachim Bause, Sony, 2002
»Generell habe ich festgestellt, dass Broadcaster weltweit eine relativ identische Denke haben. (…) Der Qualitätsanspruch mag vielleicht in Deutschland etwas höher sein, aber er ist weltweit gültig.«

Joachim Bause: Generell habe ich festgestellt, dass Broadcaster weltweit eine relativ identische Denke haben. Natürlich gibt es Besonderheiten: Unsere deutschen Broadcaster sind sehr viel mehr detailbezogen, in die Tiefe gehend und auf Technik ausgerichtet. Oft ist die Technik ausschlaggebend, wirtschaftliche Aspekte werden erst zweitrangig behandelt. Das betrachte ich gar nicht als negativ: Es ist eben eines der Hauptkriterien für den deutschen Markt, dass das Qualitätsbewusstsein hier sehr, sehr hoch liegt.

Der deutsche Markt hat aber auch eine andere Besonderheit: Die Abdeckung mit öffentlich-rechtlichen und privaten Sendeanstalten pro Quadratkilometerzahl oder Zuschauerzahl gerechnet, sucht weltweit ihresgleichen. In China gibt es zwar rund 1300 Sendeanstalten, aber da sind nur 9 große dabei, der Rest sind Stadtsender. In Tokio gibt es vier oder fünf große Sendeanstalten. Wir haben hier 13 öffentlich-rechtliche und 20 private TV-Anbieter, das ist eine Besonderheit. Ich kenne kein anderes Land, das auch mehr als 30 freie Fernsehprogramme hätte.

? Auf den deutschen Markt bezogen: Kann sich ein globales Unternehmen wie Sony überhaupt im Detail mit den Besonderheiten eines so differenzierten, aber gleichzeitig im Vergleich zu den USA auch relativ kleinen Marktes individuell beschäftigen?

Joachim Bause: Generelle Antwort: Ja, wir leisten es uns, individuell zu sein. Aber vielleicht nicht bezogen rein auf das Produkt, dass ich für den Kunden X das Produkt Y entwickle. Aber selbst das gibt es: Der MSW-900 wurde voll auf den deutschen Markt abgestimmt. Da gab es eine sehr enge Kooperation mit den deutschen Sendeanstalten, die das Produkt-Portfolio festgelegt hatten. Wir sind mit einigen anderen Sendeanstalten sehr eng in Entwicklungspartnerschaften, wo wir spezielle Anforderungen der Märkte erfüllen.

Ich denke aber, dass unsere Sendeanstalten mittlerweile Anforderungen haben, die nicht nur auf Deutschland bezogen, sondern weltweit gültig sind. Der Qualitätsanspruch mag vielleicht in Deutschland etwas höher sein, aber er ist weltweit gültig.

? Wie individuell können denn Produkte für den Broadcast-Markt heute noch sein?

Joachim Bause: Ich bin überzeugt, dass wir Individualität brauchen, aber im Bereich der Lösungen, nicht der einzelnen Produkte. Wir werden es uns leisten, und dafür stehe ich, dass wir mit dem Kunden dessen Nöte lindern und seine Wünsche realisieren, mit Produkten, die Sony zu bieten hat und auch übergreifend, mit dem was andere Anbieter zu bieten haben.

Hier gibt es bei Sony eine generelle Ausrichtung auf den Lösungsmarkt und das ist ja ein sehr großer Markt. Dabei wird es auch eine meiner Aufgaben sein, sich nicht nur auf die Broadcaster alleine zu konzentrieren, sondern es geht auch um eine Ausrichtung auf den klassischen AV/IT-Markt. Da sind wir heute schon tätig und das werden wir intensivieren. Aber generell: Ja, wir werden es uns leisten, individuelle Lösungen für die Kunden zu erarbeiten.

? Wohin soll die Umsetzung der Anycast-Strategie führen? Wie sieht das Business-Modell der Zukunft für Sony Broadcast aus? Wird Sony in Folge der nun angesprochenen Strategie letztlich doch ein großes Systemhaus werden?
Joachim Bause, Sony, 2002
»Wir wollen nicht den Markt kannibalisieren, sondern mit Partnern zusammen gemeinsame Stärken nutzen.«

Joachim Bause: Wir wollen nicht den Markt kannibalisieren, sondern mit Partnern zusammen gemeinsame Stärken nutzen. Es gibt viele Systemhäuser, die jahrelange Beziehungen zu Kunden haben. Es wäre sehr dumm von uns, das nicht zu nutzen, es wäre dumm von uns, dazu in Konkurrenz zu treten. Im Gegenteil: Wir können sehr viel voneinander lernen, von beiden Seiten. Wir wollen dies intensivieren und auf Partner zurückgreifen.

Da liegt das Keyword für mich und dafür stehe ich auch: Ein Händlerkonzept, ein Systemhauskonzept, sehe ich ganz klar als Partnerkonzept, als wirkliche Partnerschaft und nicht nur als bloßes Kosten-Nutzen-Verhältnis. Es darf nicht sein, dass der Partner dabei den Namen Sony nur nutzt, um sich Türen zu öffnen, sondern ich möchte im Zusammenspiel mit dem Partner auch eine Entlastung auf meiner Seite spüren. Ich möchte einen Kunden, ein Projekt oder eine Idee übergeben können, und sicher sein, dass die Betreuung stimmt. Im Sinne der Firma Sony und im Sinne, wie wir unsere Kunden betreuen. Ich möchte, dass der Partner die gleiche Qualität und das gleiche Know-how hat wie mein eigenes Team.

Das duale Vertriebssystem ist das Konzept für die Zukunft, das wollen wir verfeinern und die Komponente Partnerschaft betonen. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit Avid-Partnern gemacht. Dort hatten die Partner eine sehr hohe Identifikation mit dem Produkt und mit der Firma. Ich möchte versuchen, das hier in bestimmten Bereichen wieder zu etablieren. Das sollte aber kein Problem sein, wie ich aus meiner früheren Tätigkeit für Sony in Frankfurt weiß.
Wir werden auf jeden Fall versuchen, mit Partnern zusammen zu arbeiten, die unsere Nöte verstehen und die auch in unsere Richtung denken. Falls ein Kunde ein Gesamtangebot von Sony haben möchte und es gibt kein Systemhaus mit dem wir dabei zusammenarbeiten können, müssen wir die Möglichkeit haben, selbst das Gesamtangebot zu erstellen. Dafür gib es bei uns die Systems Group, die zum Teil hier in Deutschland sitzt, zum Teil in England. Wenn es in einem Projekt notwendig ist, haben wir das Know-how. Das ist eine unserer Stärken: Wenn wir gefordert werden, können wir. Wir haben uns über Jahre geleistet, die Manpower so hochzuhalten, dass wir dies tun können. Und wir sind immer noch bereit, in diesen Markt zu investieren und wir haben das auch getan.

Joachim Bause, Sony, 2002
»Wir sind nicht wie früher eine geschlossene Company, die sich auf Videorecorder spezialisiert hat oder Kameras, sondern wir sind eine Company, die sich so breit aufstellen kann, dass wir eine Komplettlösung für den Kunden integrieren können.«
? Wie wird sich die Anbieterseite im Broadcast-Markt weiter entwickeln? Etliche Branchenkenner prognostizieren, dass am Ende der derzeitigen Krise tatsächlich nur drei, vier oder fünf große Unternehmen übrig bleiben, der Rest sind dann kleine Nischenanbieter. Wie sehen Sie das?

Joachim Bause: Wenn Sie die Historie des Broadcast-Marktes betrachten, sehen Sie, dass es im Lauf der Zeit wie bei einer Sinuskurve immer wieder Hochs und Tiefs gab, und während dieser Phasen neue Firmen entstanden sind. Ich bin mir sicher, dass wir von denen, die wir heute sehen, die im Markt stark sind, den einen oder anderen in der Zukunft nicht mehr sehen werden. Aber es wird neue Player geben.

Hätten Sie vor fünf Jahren gedacht, dass Apple heute einer der größten Anbieter im Broadcast-Bereich sein würde? Die rollen den Markt von einer anderen Ecke auf. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass Silicon Graphics eigene Broadcast-Systeme machen würde. Es wird immer wieder neue Player im Markt geben, die andere ersetzen oder andere übernehmen.
Wenn die Berichte stimmen, dass Microsoft 40 Milliarden US-Dollar in der Kriegskasse hat, um Akquisitionen zu tätigen, dann bin ich mir sicher, dass Microsoft die eine oder andere Investition im Broadcast-Markt machen wird. Die haben das schon Mal gemacht mit Softimage, die haben einen gewissen Anteil an anderen Firmen.

Wenn der Markt interessant wird, wenn Broadband-Video interessant wird, dann wird es die eine oder andere Akquisition geben. Dann haben wir vielleicht Microsoft als einen der Partner. Oder als einen der Mitbewerber. Wir werden das sehen, vielleicht ist es jemand anders: vielleicht Apple, vielleicht IBM.

? Immer wieder gibt es aber auch ganz andere Spekulationen: Dass sich Sony vom Broadcast-Bereich des Unternehmens trennen könnte, wenn die wirtschaftliche Rentabilität hier weiter nach unten geht. Wenn mit der Playstation einfacher und schneller mehr Gewinn erwirtschaftet werden kann, als im schwierigen Broadcast-Markt, warum dann nicht das schwierige Business abstoßen? Droht diese Gefahr?
Joachim Bause, Sony, 2002
»Wer sich heute nicht aufstellt, um nach außen zu blicken und zu sehen, „was kann ich tun“, der ist morgen nicht mehr da. Wir haben das schon getan.«

Joachim Bause: Nein, dafür gibt es Sony schon zu lange, dafür ist Sony zu stark, innovativ und konstant. Wir sind seit 25 Jahren in der Branche tätig und werden es garantiert noch die nächsten 25, 30 Jahre sein. Kunitake Ando, der CTO von Sony, hat während der NAB-Pressekonferenz klipp und klar gesagt: Sony geht verstärkt in den professionellen Markt, weil wir eine Sättigung in anderen Märkten sehen. Früher hat die Playstation den Markt sehr stark dominiert, heute gibt es auch Gamecube und Xbox. Das heißt, da kommen neue Player auf, Expansion ist hier nur noch durch Verdrängung möglich.

Wir haben aber auch im normalen, klassischen Fernsehgeschäft Daten erreicht, wo eine große Expansion nicht mehr möglich ist. Die Expansion der Sony AG wird hauptsächlich durch Innovation und neue Geschäfte im professionellen Bereich stattfindet. Und in diesem Zusammenhang ist das Broadcast-Geschäft eine ganz große Sache. Aber ich definiere Broadcast nicht nur als die Sendeanstalten, sondern für mich ist Broadcast breiter, das sind alle Key-Kunden, die sich mit Audio, Video und IT auseinandersetzen. Für die werden wir in Zukunft der Partner sein, weil wir konstant sind, weil wir eine Größe sind, weil wir eben nicht nach zwei Jahren die Lust an einem Markt verlieren, nur weil er vielleicht nicht ganz so lukrativ ist. Wir hatten 92/93 auch eine Phase, in der es im Markt ziemlich nach unten ging. Da gab es eine große Umstrukturierung und da ist Sony auch gut rausgekommen und einige andere nicht. Wir haben die Größe, wir können es zeigen und wir machen es.

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