Editorial, Kommentar, Top-Story: 26.10.2011

Ein neues Genre ist geboren!

Sucht man bei Youtube nach »Katze«, so werden rund 88.200 Videos gefunden. Die englische Variante »Cat« ergibt ungefähr die zehnfache Zahl an Clips. Und es existieren ja auch noch viele weitere Videoplattformen und spezialisierte Websites: Die Suche nach „cat video“ bei Google bringt 2.300.000 Treffer. Die meistgesehenen Katzenvideos haben schon mehr als 60 Millionen Abrufe erreicht.

Menschen, an deren Geisteszustand man nie ernsthaft zweifelte, von denen man glaubte, sie gut zu kennen, bauen derzeit verstärkt Katzenvideos in ihre Websites oder Facebook-Seiten ein. Diese Videos zeigen in der Mehrzahl der Fälle aber keineswegs die jeweils eigene(n) Katze(n), sondern irgendwelche »funny cats«, »sprechende« Katzen, böse Katzen, liebe, fürsorgliche, dumme, tollpatschige und »süße« Kätzchen. Offenbar ist hier ein neues Genre der Bewegtbildproduktion entstanden, das schon zahlreiche Unterkategorien aufweist.

Nun könnte man die Standardfrage aller Kultur- und Zivilisationspessimisten aufwerfen: »Was ist bloß mit einer Gesellschaft los, die …«. Aber weil es wesentlich Schlimmeres gibt, als die aktuelle Katzenvideomode, soll das an dieser Stelle unterbleiben. Sollte man stattdessen nicht am besten gleich selbst eine Kamera schnappen und Katzenvideos drehen? Und dann mit eingebundener Werbung reich werden? Her mit dem Whiskas-Werbegeld!

»Der Erfolg gibt ihnen Recht.« Diesen Satz hört man immer wieder und tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in diesem Zusammenhang die Popularität mehr oder weniger zum Maß aller Dinge entwickelt und wird sogar oft mit einer Qualitätsangabe verwechselt. Dahinter steckt eine einfache Annahme: Was viele haben wollen oder gut finden, das muss toll sein. Längst werden ja nicht nur Produkte so bewertet, sondern auch praktisch jede Art von Sachverhalt und auch Menschen: TV-Quoten, Umfragewerte von Politikern, Klickraten und Download-Zahlen sind ein paar Beispiele. Bis in den privaten Bereich hinein, haben sich verschiedene Währungen etabliert: Wer hat die meisten Facebook-Freunde?

Tatsächlich ist diese Reduktion und Verengung des Wertesystems aber auf vielen Ebenen gefährlich: Dass Popularität und Qualität nur selten identisch sind, das weiß im Grunde jeder, aber gehandelt wird eben anders. Dieser Tatsache verdanken wir unter anderem auch das aktuelle TV-Programm, bei dem Qualität oft nur noch als Nischenprodukt existiert. In der Politik liegen zudem Popularität und Populismus eng beieinander.

Der Herdentrieb soll dem Einzelnen Schutz bieten und zum Erhalt der Art beitragen. Manchmal bewirkt er allerdings das Gegenteil: Wenn Menschen sich wie die Lemminge verhalten, stellt sich die Frage, ob es neben der viel besungenen Schwarmintelligenz eben auch so etwas wie Schwarmdummheit gibt. Das Verhalten der Lemminge kann zwar aus biologistischer und darwinistischer Sicht durchaus auch einen Sinn ergeben, aber das ist nochmal ein anderes Thema.

Sie werden sehen.