Editorial, Kommentar, Top-Story: 26.04.2013

Daumenoptimierung

Dem Daumen verdankt die Menschheit mehr, als man vielleicht glaubt — und das nicht erst, seit die Römer den Daumen in der Arena als Zeichen für Wohl und Wehe einsetzten, man damit in früheren Zeiten in den Süden trampte oder bei Facebook die »Gefällt mir«-Bekundungen mit dem Thumbs-Up-Logo gezählt werden.

Erst die Oppositionsstellung des Daumens ermöglicht es schließlich, die Hand zur Faust zu schließen, sie verbessert die Greiffunktion entscheidend, und sie bringt mehr Präzision in die Hand. Der Daumen wird von mehr Muskeln bewegt als die anderen Finger — sowohl die Hirnbereiche, die seine Bewegungen steuern, wie auch die, in denen die Rückmeldungen der Nervenzellen des Daumens verarbeitet werden, sind deutlich ausgeprägter als bei den anderen Fingern.

Der Daumen wird von mehr Muskeln bewegt als die anderen Finger.

Und gerade dieser Major Player unserer Hand wurde seit dem Aufkommen von Schreibmaschinen drastisch unterfordert und durfte auch auf Computertastaturen immer nur die Leertaste bedienen. Das soll nun anders werden.

Mit der Verbreitung von Smartphones und Tablet-Computern etablieren sich zunehmend neue Tipptechniken. Vor allem, wenn man das Gerät nicht ablegen kann, bietet es sich — besonders bei größeren Tablets — an, die eingeblendete Tastatur mit den Daumen zu bedienen.

Nun hat sich auch die Wissenschaft dieses Themas angenommen: Ein Team um Antti Oulasvirta vom Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken hat ein neues, daumenfreundliches Tastatur-Layout entwickelt und gleich noch ein spezielles Korrekturprogramm dazu. Damit können laut ersten Untersuchungen normale Nutzer nach kurzer Gewöhnung 34 Prozent schneller mit den Daumen tippen, als auf einem Tablet mit dem üblichen Tastatur-Layout: Statt etwa 20 Worten schafften die Probanden rund 27 Wörter pro Minute. Im Zusammenspiel mit der Fehlerkorrektur erreichten geübte Nutzer bis zu 37 Wörter je Minute.

Vorerst wurden die Forschungen auf die englische Sprache konzentriert und als daumenoptimierte Alternative zur dort üblichen QWERTY-Tastatur haben die Forscher eine zweigeteilte KALQ-Tastatur entwickelt. Die erreicht zwei Ziele: die Bewegungszeit der Daumen zu minimieren und möglichst abwechselnd beide Seiten zu verwenden. Im neuen KALQ-Layout liegen alle Vokale im Bereich des rechten Daumens, der elf Buchstaben bedient, der linke Daumen bekommt hingegen 15 Buchstaben zugewiesen.

Das Forschungsprojekt, wurde am 1. Mai 2013 bei einer Fachtagung in Paris präsentiert und ab Anfang Mai soll KALQ als freie App für Android-Smartphones zur Verfügung stehen.

Das Ganze hat natürlich auch eine philosophische Komponente: Nur weil der Daumen so anders ist als alle anderen Finger, stattet er die menschliche Hand mit Fähigkeiten aus, die vielleicht in der Evolutionsgeschichte entscheidend waren. So mahnt uns der Daumen letztlich auch zur Toleranz gegenüber dem Andersartigen. Also: Beide Daumen hoch für die Daumenoptimierer aus Saarbrücken.

Sie werden sehen.