Veranstaltung: 06.06.2019

Anga Com 2019: Mediengipfel

Der Mediengipfel der Anga Com beschäftigte sich mit dem Thema »Streaming als Game Changer für Film und Fernsehen«.

Unter der Moderation von Thomas Lückerath diskutierten beim Mediengipfel der Anga Com:
• Conrad Albert (Deputy CEO / Group General Counsel, ProSiebenSat.1 Media)
• Dr. Thomas Bellut (Intendant, ZDF)
• Dr. Manuel Cubero (Chief Commercial Officer, Vodafone Deutschland)
• Matthias Dang (Geschäftsführer Vermarktung, Technologie & Daten, Mediengruppe RTL Deutschland)
• Kathleen Finch (Chief Lifestyle Brands Officer, Discovery)
• Dr. Christian Franckenstein (CEO, Bavaria Film)
• Dr. Christoph Schneider (Geschäftsführer, Amazon Prime Video Germany)

Anga Com 2019 Mediengipfel
Anga Com Mediengipfel 2019: die Teilnehmer.
Anga Com 2019 Mediengipfel
Conrad Albert, ProSiebenSat.1 Media.

War ProSiebenSat.1 nicht konsequent genug, als das Unternehmen 2006 versuchte, Maxdome zum Laufen zu bringen? CEO Conrad Albert antwortete auf diese Eingangsfrage des Moderators Lückerath, dass man in den Anfängen der On-Demand-Portals Maxdome vielleicht tatsächlich zu zögerlich agiert habe, auch deshalb, weil sich die Sendergruppe damit nicht selber kannibalisieren wollte. Jetzt sieht er sein Unternehmen aber durchaus gewappnet für den Streamingmarkt, auch deshalb, weil mit mit Joyn (ehemals 7TV) im Juni die App mit dem größten kostenlosen Free-TV-Angebot in Deutschland an den Start geht. Joyn, das Joint Venture von ProSiebenSat.1 und Discovery, bietet Livestreams von über 50 TV-Sendern – auch ARD und ZDF sollen dort vertreten sein, wie Albert auf dem Podium sagte.

Anga Com 2019 Mediengipfel
Dr. Thomas Bellut, ZDF

Dass der Streaming-Markt eine große Bedeutung hat, sieht auch Thomas Bellut vom ZDF, der sich eine große Plattform für in Deutschland produzierten Content explizit wünscht. Die ideologischen Schlachten früherer Jahre brächten nichts, so Bellut, angesichts der Herausforderungen des Marktes komme man nicht umhin, mit anderen Anbietern zusammenzuarbeiten.

Mit Manuel Cubero saß ein Vodafone-Mann auf dem Panel. Den aktuellen Trend hin zum Streaming sieht er auch deshalb positiv, weil Kabelanbieter dafür die nötige Infrastruktur liefern. Zudem habe Vodafone von Anfang an eine Aggregator-Strategie verfolgt und keinen eigenen Content produziert – soll heißen, hier konkurriert Vodafone gar nicht mit den anderern (Streaming-)Anbietern, die auf dem Panel vertreten waren.

Anga Com 2019 Mediengipfel
Manuel Cubero von Vodafone ist sich sicher, dass mit neuen Technologien wie etwa 5G mehr Wachstum generiert werde.

Moderator Lückerath sprach an, dass Streamingplattformen auch deshalb sehr erfolgreich seien, weil dort Inhalte werbefrei gesehen werden könnten.

Dang von der RTL Mediengruppe, Vertreter einer werbefinanzierten Sendergruppe, entgegnete, dass er es nur für eine Frage der Zeit halte, bis auch bei Streaming-Anbietern Werbung zu sehen sei. In den USA, so Dang, finde das schon statt.

Kathleen Finch, die einzige Frau auf dem Podium, vertritt mit Discovery ein Unternehmen, das in unterschiedlichsten Märkten aktiv ist. Finch hält die Reichweite, die man per Free TV erhält, nach wie vor sehr wichtig. Das sei einer der Gründe, weshalb der Sender mit Home & Garden TV (HGTV) in Deutschland jetzt im Free TV starte, und zwar über alle TV Verbreitungswege via Kabel, Satellit und IPTV und zusätzlich hervorragend etabliert.

Mit Dr. Christian Franckenstein, CEO der Bavaria Film, saß ein Vertreter der Produzenten auf dem Podium. Aus seiner Sicht sind nicht die Streamer die eigentliche Revolution, sondern die Digitalisierung. Mit der weltweiten Verfügbarkeit der Inhalte eröffneten sich zwar neue Märkte, zudem werde in Deutschland so viel produziert wie nie zuvor. Das führe allerdings auch dazu, dass Produzenten zunehmend Personal suchten und (Personal-)kosten in der Folge steigen würden, was Druck auf die Produktionen aufbaue.

Anga Com 2019 Mediengipfel
Christoph Schneider (rechts) von Amazon macht im Streamingbereich ein verändertes Nutzerverhalten aus – etwa das Binge Watching, das bei den Zuschauern die  Erwartungshaltung triggere, dass Inhalte sofort verfügbar sein müssten. Links: Christian Franckenstein.

Druck sieht Moderator Lückerath auch auf den etablierten Streaminganbietern in Deutschland lasten, denn mit Disney und etlichen anderen stehen neue Anbieter in den Startlöchern, die ebenfalls auf den Streamingmarkt drängen und die Großen wie Netflix oder Amazon Prime angehen möchten.

Dr. Christoph Schneider, Geschäftsführer von Amazon Prime Video Germany, sieht dem gelassen entgegen, wenngleich auch er betont, dass der Markt keinen Platz für alle biete. Wer aber neu in einen Markt einsteige, müsse etliche Hürden überwinden – diese Erfahrung hätten schon  alle Streaminganbieter gemacht.

Thomas Bellut vom ZDF will das Streaming nicht den Markt-Giganten überlassen, weshalb das ZDF ebenfalls Inhalte produziere, die in diese Richtung zielten, etwa »Bad Banks«.

Conrad Albert befand, dass am Markt längst ein Machtwechsel stattgefunden habe, und zwar hin zum Zuschauer, der jetzt eben die Wahl habe.

Christian Franckenstein warf die Frage auf, wo es denn im TV-Bereich noch Wachstumsmöglichkeiten gebe, denn Wachstum, so Franckenstein, sei in der Branche zwingend notwendig, wenn man steigende Produktionskosten bewältigen wolle.

Anga Com 2019 Mediengipfel
Matthias Dang, RTL und Kathleen Finch, Discovery.

Matthias Dang wies darauf hin, dass die »klassischen« Anbieter auch deshalb unter Druck gerieten, weil sehr viel Werbegeld zu den großen Tech-Giganten in den USA fließe – also zu Unternehmen, die selber keinerlei Inhalte produzierten, aber in erheblichem Maß Werbegelder abschöpften. Er ergänzt, dass mittlerweile auch vielen Werbetreibenden klar werde, dass sie ihre Botschaften ohne lineare TV-Sender nur noch schwer in der Breite absetzen können, denn Streamingangebote bedienen vielfach nur  Sparten.

Auch Kathleen Finch betonte den hohen Wert einer etablierten Marke, weil sie  große Verbreitungsmöglichkeiten ermögliche. Sie ist sich sicher, dass Streaminganbieter zwar oft viel Content anbieten, etliches davon aber schlichtweg untergehe in der Masse.

Wie wird sich der Streamingmarkt weiter entwickeln? Matthias Dang ist sich in Bezug auf Netflix sicher, dass der Anbieter irgendwann gekauft werde. Conrad Albert geht sogar noch einen Schritt weiter und glaubt, dass das Businessmodell von Netflix nicht nur endlich ist, sondern sich im Gegenteil irgendwann auch wieder rückläufig entwickeln werde.

Chancen für lineares Fernsehen sehen etliche der Panel-Teilnehmer in der Live-Berichterstattung, die im Streamingbereich in dieser Form nicht stattfinde – ebensowenig wie die Newsberichterstattung.