Veranstaltung: 27.11.2019

Aktuelle Medientrends

Im Fokus der 33. Medientage München: Giganten wie Google, Facebook oder Amazon und die Frage, wie es den Medien in Europa gelingen kann, wieder mehr Souveränität zu erlangen. Das und einige weitere Trendthemen behandelt der Rückblick.

Wenn Künstliche Intelligenz Medieninhalte erstellt oder empfiehlt, wenn Software Nutzerdaten analysiert oder Werbeplätze verkauft und wenn Informationsintermediäre wie Google oder Facebook bestimmen, wer wann welche Informationen erhält, prägen Algorithmen menschliches Verhalten. Das bedeutet für eine vernetzte Gesellschaft Chancen, aber auch Risiken.

Einige der Gesprächspartner von film-tv-video.de zogen ein durchwachsenes Resümee der Medientage 2019.

Drei Tage lang wurde bei den Medientagen 2019 über diese und weitere Themen debattiert, es wurden Studien vorgestellt und technologische Entwicklungen auf den Prüfstand gestellt. Zur Eröffnung kam der bayerische Ministerpräsident Söder. Um nicht zu einer »digitalen Kolonie« von großen US-Internetkonzernen zu werden, sollten europäische Unternehmen ihre Kräfte bündeln, mahnte er an. 

Bei mehr als hundert Einzelveranstaltungen kamen etwa 500 Expertinnen und Experten zu Wort. Das Angebot reichte von der Keynote und der Panel-Diskussion über Talk-Formate im Expo-Programm bis zum Workshop in der Masterclass oder auf dem MedienCampus Bayern. 

Das Motto der Medientage 2019 lautete: »Next Digital Level – Let’s build the Media we want.«

»Wie die Medien in Europa ein Stück weit Souveränität zurückgewinnen können und wie wir es schaffen, ein eigenes Ökosystem zu schaffen, um den Wettbewerb mit den internationalen Giganten wieder aufzunehmen – das war dieses Jahr der rote Faden, der sich durch viele Diskussionen zog«, resümierte Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Medien.Bayern GmbH, am dritten Tag der Medientage München.

Einige der Themen und Trends der Medientage 2019 fasst dieser Beitrag zusammen. 

5 G als mobiler Brückenschlag von Unicast zu Broadcast
Noch viel Theorie und wenig Praxis: 5G in Deutschland.

Diskutiert und berichtet wurde bislang schon sehr viel über 5G, allein an praktischen Umsetzungen und Anwendungsbeispielen mangelt es noch. Der holprige Start liegt nicht nur an den langwierigen Vergabe- und Auktionsverfahren, sondern auch an der aufwendigen, datenintensiven Technik. Um den neuen Mobilfunk-Standard europaweit durchzusetzen, hat sich nun innerhalb der Europäischen Rundfunkunion EBU eine Taskforce gebildet: 5G MAG, die Media Action Group für 5G. Der Vorsitzende der internationalen Arbeitsgruppe Antonio Arcidiacono, Director of Technology & Innovation EBU, sieht enorme Chancen in der neuen Technologie, denn mit der 5G-Technik eröffne sich in Zukunft die große Chance »eines weltweiten Standards und des Brückenschlags zwischen Unicast- und Broadcast-Diensten für mobile Geräte auf Basis derselben Übertragungstechnologie«. Das bringe Broadcasting auf das Smartphone. Arcidiacono forderte Unternehmen aus dem Medienbereich, der Telekommunikation bis hin zur Automobilindustrie auf, sich bei 5G MAG zu engagieren: »Es handelt sich um ein weltweites Projekt, das wir hier von Europa aus starten. Und dabei geht es nicht nur um Information oder Entertainment, sondern um ein neues infrastrukturelles Level, das wir erreichen können.« 

In zahlreichen europäischen Ländern wird derzeit erforscht, inwieweit das Potential der 5G-Netztechnik für die Produktion und Verbreitung von Medieninhalten genutzt und weiterentwickelt werden kann.

Doch vor dem flächendeckenden Start wird derzeit noch viel geforscht und getestet, inwieweit das Potential der 5G-Netztechnik für die Produktion und Verbreitung von Medieninhalten genutzt und weiterentwickelt werden kann. Nach Auskunft von Dr. Khishigbayar Dushchuluun, Head of Radio Systems beim Münchner Institut für Rundfunktechnik (IRT), wird derzeit das neue Release 16 fertiggestellt. Auf diese neue Version warten auch die europäischen Medienunternehmen für ihre Test- reihen. So berichtete Jacques Donat-Bouillud, Vice President Broadcast and Distribution bei France TV, über Tests in Paris, die über 5G den TV-Programmempfang in der französischen Metropole mobil auf Smartphones ermöglichen. Donat-Bouillud: »Mit den bisherigen Ergebnissen sind wir zufrieden, da wir eine sehr gute Abdeckung erreicht haben.« Er gab aber auch zu bedenken, dass vor allem die Telekommunikationsunternehmen von den Segnungen der innovativen, aber eben auch teuren Technik noch überzeugt werden müssen.

»Wir müssen uns heute alle fragen, wie wir am besten die jungen Zielgruppen noch erreichen können, und dabei kann diese Technologie eine wichtige Rolle spielen«, sagte Donat-Bouillud. 

Dr. Roland Beutler, Distribution Strategy Manager beim Südwestrundfunk, warf abschließend noch einen Blick in die Zukunft. »Über 5G können wir personalisierte, kuratierte Dienste und gezielte Programmvorschläge beispielsweise in den Mediatheken anbieten oder ‚skip and play‘ ermöglichen.« Die Vorteile von 5G liegen für ihn vor allem in der Leistungskraft bei datenintensiven Übertragungen. So könnten beim autonomen Fahren über Head-up-Displays Entertainment-Inhalte, georeferenzierte Empfehlungen oder reisespezifische Services ausgespielt werden. »Die Diskussionen müssen wir aber unbedingt heute und jetzt führen, selbst wenn die Projekte erst in zehn Jahren realisiert werden«, forderte Beutler.

Wie 5G-Anwendungen schon in naher Zukunft Realität werden können, zeigte Media Broadcast am Stand während der Medientage 2019.

Streaming: in der Mitte der Gesellschaft angekommen

Neben dem klassischen, linearen Fernsehen haben sich längst non-lineare Streaming-Angebote wie Netflix oder Amazon Prime etabliert, die mit Video on Demand große Erfolge feiern. 2019 gilt deshalb schon jetzt als das Jahr der großen Einschnitte für den Fernsehmarkt, denn, so formulierte es Moderator Torsten Zarges: »Streaming ist in der Mitte und in der Breite der Gesellschaft angekommen.«

»Streaming ist in der Mitte und in der Breite der Gesellschaft angekommen«, befand Moderator Thomas Zarges, hier im Gespräch mit James Farrell, Head of International Originals bei Amazon.

Einer der großen Player auf dem Streaming-Markt ist Amazon Prime. James Farrell, Head of International Originals und damit verantwortlich für die Produktionen des Anbieters, die außerhalb der USA hergestellt werden, zeigte sich sehr zufrieden mit der aktuellen Situation. Als Teil des Online-Handelsunternehmens Amazon stehe man nicht so sehr unter dem Druck, das Publikum mit ständig neuen Produktionen halten zu müssen. Amazon Prime konzentriere sich bei seinen internationalen Anstrengungen auf Formate und Inhalte, die in den jeweiligen Ländern noch nicht vom Markt angeboten werden. So sei zum Beispiel der »Bachelor« ein Format, das bislang in Japan unbekannt war und von Amazon Prime erfolgreich dort lanciert wurde. Jedes Land sei einzigartig. Er habe allerdings die Erfahrung gemacht, erklärte Farrell, dass gerade Produktionen, die sehr konzentriert Lokalkolorit transportierten, auch international gut ankämen. Als Beispiel nannte er die Dramaserie »The Marvelous Mrs. Maisel«, die im New York der 50er-Jahre spielt. Auch im deutschen Markt sieht Farrell ein großes Potenzial. Jeweils sechs bis zwölf Projekte realisiere Amazon Prime in den einzelnen Ländern, eine Schlagzahl, mit denen die Produzenten sehr zufrieden seien, weil so ihre Projekte im großen Amazon-Angebot nicht untergehen und gut beworben werden könnten. Farrell widersprach möglichen Sorgen, Amazon werde durch den Aufbau eigener Produktionskapazitäten nicht mehr bei Fremdfirmen einkaufen. »Wir werden immer Produzenten brauchen«, versicherte Farrell in seiner Keynote.

Einer der Großen: Amazon.

Auch die Teilnehmer der anschließenden Diskussionsrunde zeigten sich optimistisch, was die Situation auf dem Fernsehmarkt angeht. Sascha Schwingel, seit kurzem Geschäftsführer von Vox, wollte lieber von einem Aufbruch statt von einem Umbruch sprechen. »Noch nie konnte man einen Inhalt so konsequent umsetzen«, sagte Schwingel, der zuvor Redaktionsleiter der ARD-Produktionstochterfirma Degeto war.

Dr. Yvette Gerner, die Intendantin von Radio Bremen, merkte an, sie habe schmunzeln müssen, als James Farrell die Arbeitsweise von Amazon Prime erklärt habe. Das Motto »Was es noch nicht gibt, das machen wir« sei im Prinzip auch die Herangehensweise von Radio Bremen. Zudem überlege man aber auch, was davon wichtig für die Gesellschaft sei und wie man in diesem Sinne möglichst viele Menschen erreichen könne. »Wir haben in der ARD den Ruf eines Innovationsmotors«, sagte Gerner, deren Anstalt gerade an einer Online-First-Strategie für die gesamte ARD arbeitet. Radio Bremen habe schon immer auf Talent statt auf Masse setzen müssen.

Auch Elke Walthelm, Content-Chefin bei Sky Deutschland, mochte lieber von einer Weiterentwicklung statt von einem Umbruch sprechen. »Wir haben schon lange angefangen, in fiktionale Eigenproduktionen zu gehen«, berichtete sie. Es sei noch zu früh abzuschätzen, was der Einstieg von Comcast bei Sky für ihre Arbeit bedeuten könnte. Es sei aber beruhigend, zu einer so großen internationalen Gruppe zu gehören. »Wir wollen unsere Aktivitäten in den nächsten Jahren verdoppeln«, betonte Walthelm.

Die Teilnehmer der Diskussionsrunde zeigten sich optimistisch, was die Situation auf dem Fernsehmarkt angeht.

Frank Zervos, Fiktion-Chef des ZDF, beobachtet neben dem schon länger währenden Kampf um die besten kreativen Talente auch einen »War of Ideas«. Wenn Amazon sechs bis zwölf Eigenproduktionen in Deutschland pro Jahr in Auftrag gebe, sei das eine »interessante Entwicklung«. Doch das gelte auch umgekehrt: »Wir haben bisher lokal produziert und gehen jetzt international. Wir sind inzwischen ein gefragter Partner am Tisch«, betonte Zervos auch im Hinblick auf die Emmy-Preisverleihung, bei der die ZDF-Serie »Bad Banks« nominiert ist. Natürlich habe man in Deutschland immer noch einen sehr starken linearen Markt, jedoch werde das ZDF verstärkt alle Ausspielwege gleichwertig nutzen.

Elke Walthelm betonte, dass Sky sehr genau die Nutzungsgewohnheiten seiner Kunden beobachte und dahingehend auch seine Inhalte einsetze. Im Sport-Segment sei natürlich die lineare Nutzung dominierend, aber im fiktionalen Bereich biete man sowohl lineares Fernsehen als auch die Möglichkeit zum non-linearen Binge-Watching. Auch Yvette Gerner von Radio Bremen betonte, es gebe keinen einfachen Weg für alle: »Wir dürfen auch nicht nur auf die Giga-Projekte gucken.« Hart seien die »Priorisierungsdebatten auf jeder einzelnen Ebene.«

Ab dem 1. Dezember gibt es mit »Vox ab« noch ein weiteres lineares TV-Programm. »Wir wären doof, das nicht zu machen«, sagte Vox-Chef Schwingel. Man setze darauf, innerhalb der RTL-Gruppe, zu der Vox gehört, den Erfolg von RTLNitro zu wiederholen. Die Content-Alliance der RTL-Gruppe mache es ohnehin möglich, die Inhalte möglichst sinnvoll auf alle Sender zu verteilen und damit auch bei den Kreativen zu werben. »Man muss sich in diesen Zeiten attraktiv machen«, lautete Schwingels Devise.

Ein hoch dynamischer Markt, Innovationsführer in Sachen Künstliche Intelligenz und mobiles Bezahlen – China sorgt seit einigen Jahren für Staunen über die Geschwindigkeit, mit der das Land Innovationen hervorbringt und an die Spitze der Weltwirtschaft rückt.
KI und Gesellschaft: Wer arbeitet wirklich damit?

Künstliche Intelligenz (KI) ist eines der großen Themen der digitalen Welt. Chatbots, Voice-Search, personalisierte Produktempfehlungen oder automatisierte Werbeausspielung: Selbstlernende Algorithmen beeinflussen auch zunehmend Medien und Marketing. Doch ist das wirklich schon Künstliche Intelligenz? Und welche Anwendungsbeispiele gibt es? Im Rahmen eines Panels der Medientage München gaben drei Experten Einblicke in die Praxis.

Dr. Klaus Holthausen, Geschäftsführer des Schweizer Smart-Blockchain-Ecosystem-Anbieters Teal AI, wies auf die Vorteile, aber auch auf die Gefahren Künstlicher Intelligenz hin.

In seiner Keynote wies Dr. Klaus Holthausen, Geschäftsführer des Schweizer Smart-Blockchain-Ecosystem-Anbieters Teal AI, auf die Vorteile, aber auch auf die Gefahren Künstlicher Intelligenz hin. »Die neuen Technologien können mithilfe der regelbasierten Rechenmaschinen psychologische Mechanismen imitieren und so Entscheidungen oder Informationsweisen nachhaltig beeinflussen«, mahnte Holthausen. Dies gelte zum Beispiel für soziale Online-Netzwerke. Als berühmtes Beispiel nannte er die Affäre von Cambridge Analytica rund um die vergangene US-Wahl. Problematisch seien auch die Algorithmen autonom fahrender Autos, wenn diese im Verkehr tödliche Folgen haben könnten. Der reflektierenden Einführung folgten drei KI-basierte Fälle aus der Praxis.

Den Anfang machte Oliver Bruckner, Geschäftsleiter von Plan.Net Innovation, mit der Vorstellung von Butterfly Coach, einer »Fitness-App für Menschen, die nicht an Fitness-Apps glauben«. Im Auftrag eines Kunden sei es darum gegangen, eine Fitness-Apps zu entwickeln, die sich im dicht besetzten Markt hervorhebe. Heraus kam ein digitaler Personal Trainer, der jeden Nutzer individuell kennenlernt und ihm einen Trainingsplan präsentiert, in dem keine Einheit der anderen gleicht. Herzstück hierfür bildet eine KI-Lösung, die Millionen von Übungen aus dem Internet analysiert, Infos aus der Community sammelt und auswertet und dem einzelnen Nutzer passgenaue Übungen an die Hand gibt. »Butterfly Coach bietet eine völlig andere Experience als andere Fitness Apps. Die Trainingspläne variieren und auch die Intensität der Übungen wird durch die KI berechnet.« Seit April auf dem Markt, entwickle sich die App gut.

Drei KI-basierte Fälle aus der Praxis wurden vorgestellt.

Als nächstes Beispiel stellte Dunja Riehemann, Director Marketing bei BrandMaker, eine Marketing- Ressource-Management-Lösung vor, in der ebenfalls KI zum Einsatz kommt. Die B2B-Software hilft Marketingabteilungen, alle Ressourcen besser zu managen, das Projektmanagement zu optimieren oder auch Budgets zu planen. Sie ersetzt laut Riehemann aufwändige Excel-Listen und steigert die Effizienz. So könnten Algorithmen den Menschen wichtige Aufgaben abnehmen.

Beim dritten präsentierten Fall gab Richard Seitz, Vice President Data Products von ProSiebenSat.1 Media, Einblicke in die automatisierte Werbeausspielung der Zukunft. »Wie können wir bei Werbung im linearen TV effizienter und für Werbekunden lukrativer werden?«, habe die Aufgabenstellung des noch in der Testphase befindlichen Projektes gelautet. Dazu würden datenschutzkonform Daten aus der linearen Vermarktung, aus Web- und HbbTV-Tracking sowie auch aus den E-Commerce-Aktivitäten des Konzerns gesammelt und ausgewertet. Dadurch wisse man über jeden einzelnen gelaufenen Werbespot, wer ihn gesehen, das Produkt gekauft, während der Werbung weggezappt habe etc. und erfahre viele weitere Insights über die Zuschauer. Natürlich handle es sich dabei stets um anonymisierte Daten. Auf Basis der Erkenntnisse entwickle der Algorithmus Erkenntnisse, wie Spots in Zukunft erfolgreich und effizient platziert werden könnten – in Bezug auf Umfeld, Sender, Zeitslot etc. Für die Testphase konnte Seitz über Effizienzsteigerungen zwischen zwanzig und hundert Prozent berichten.

Wir brauchen ein öffentlich-rechtliches Google
Raum für Diskussionen: Medientage 2019.

Fake News, Rassismus, Diskriminierung, Populismus, Echokammern oder Filterblasen: Kommunikation in digitalen Kanälen und insbesondere in sozialen Online-Netzwerken gerät zunehmend außer Kontrolle. Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Philosoph, Autor und Staatsminister a.D., referierte im Rahmen der Medientage über Ursachen und bilanzierte, dass es gelte, die Kontrolle über Tools, Technologie und Daten zurückzuholen, um so das Bürgerrecht der informationellen Selbstbestimmung zu wahren und die technologische Entwicklung zu steuern und zu gestalten. »Wir brauchen ein öffentlich-rechtliches Google«. Schließlich sei es das erste Mal in der Geschichte der Industrialisierung, dass »wir es zugelassen haben, dass Infrastruktur und technische Entwicklung fast ausschließlich vom Kommerz geprägt wird und sich in den Händen von einigen wenigen Großkonzernen befindet«, so Nida-Rümelin.