Messe, Top-Story: 08.06.2005

Was außer HD noch Thema war in Las Vegas

Je nach Blickwinkel konnte man während der NAB2005 die unterschiedlichsten Trends und Entwicklungen erkennen. Dabei galt wie in vielen anderen Fällen auch: Je genauer und detaillierter man auf einen bestimmten Bereich blickt, um so mehr Facetten wird man dabei auch sehen. Das macht es nicht leichter, die Generaltrends der NAB2005 heraus zu filtern: vor allem dann nicht, wenn man mehr sagen will als nur, dass HD auch in diesem Jahr das dominante Thema war. (Um die PDF-Version mit mehr Bildern zu laden, klicken Sie bitte auf die Dateibezeichnung am Ende des Artikels.)

HD zog sich wie eine Grundmelodie durch die gesamte NAB2005. Nach der NAB und IBC im Vorjahr war diese Melodie praktisch allen Messebesuchern schon mehr oder weniger geläufig: Wer sich mit diesem Thema nicht zumindest gedanklich – als Möglichkeit – befasst hat, der war auf dieser Messe eigentlich ohnehin falsch.

Nun geht die Branche in die nächste Phase über und das fand natürlich sein Echo während der Lead-Messe in den USA: Die HD-Inseln müssen zusammenwachsen, man braucht pragmatische Lösungen für die Koexistenz von HD und SD, weil natürlich nur die wenigsten Anwender in der glücklichen Lage sind, einfach mit hartem Schnitt und einer neuen Facility zu HD wechseln zu können. »Practical HD«, der Name einer Initiative von Pinnacle, könnte daher als das wahre Motto der ganzen NAB2005 stehen.

Womit gleich ein zweites Thema angerissen ist: Die geplante und schon vor der Messe offiziell angekündigte Übernahme von Pinnacle durch Avid. Die Offiziellen beider Unternehmen hielten sich zumindest bis zur Messe so konsequent mit konkreten Kommentaren zu diesem Thema zurück, als hätten sie hierfür ein partielles Schweigegelübde abgelegt. »Verfahren in der Schwebe«, »Silence-Phase« und ähnliches wurde gebetsmühlenartig wiederholt und es hatte den Anschein, als würde das so bleiben, bis die Behörden und die Gesellschafterversammlungen dem Deal zugestimmt haben. Dann aber verriet Avid-Chef David Krall in einem Interview, doch noch etwas mehr.

Das war ganz sicher sinnvoll, denn außer den Offiziellen der beteiligten Unternehmen sprachen praktisch alle anderen – unter anderem – über dieses Thema: Weit oben auf der Liste stand dabei die Diskussion, ob die Übernahme überhaupt stattfinden wird. So soll es etwa einige rechtliche Hürden geben, die es noch zu umschiffen gelte. Auch könnte es dem Vernehmen nach eventuell Probleme mit den Pinnacle-Aktionären geben, weil der Firmenleitung wohl früher schon von anderer Seite ein höheres Übernahmeangebot vorgelegen sei, das aber abgelehnt worden sei, was natürlich nicht im Sinne der Anteilseigner wäre. David Krall zu solchen Dingen zu befragen, wäre natürlich vergebliche Liebesmüh gewesen – aber was passieren soll, wenn der Deal glatt geht, das können Sie im David-Krall-Interview nachlesen.

Einige Fragen blieben aber naturgemäß offen: Welche Auswirkungen auf Dritte wird die Übernahme haben? Mit der veränderten Marktstellung von Avid könnte sich etwa auch die Haltung des Unternehmens gegenüber bisherigen Partnern verändern, wird etwa spekuliert. Man macht sich in der Branche eben so seine Gedanken…

Neben solchen, eher auf Spekulation und Gerüchten basierenden Themen, gab es aber glücklicherweise auch Handfesteres. Etwa Neuheiten vom Frontend der Produktion: Ikegami zeigte die erste Broadcast-Kamera mit CMOS-Bildsensoren. Nach Jahren der CCD-Dominanz gibt es damit auch in diesem Markt eine Alternative zu diesem Sensortyp. Andere Broadcast-Kamerahersteller werden mit CMOS-Geräten nachziehen, so hat etwa JVC das schon konkret angekündigt.

Eine weitere Erkenntnis auf der Geräte-Technologie-Seite könnte lauten: Festspeicher ist auf dem Vormarsch. Dazu zwei Beispiele: Ikegami bietet, wie im Vorjahr als Idee angekündigt, nun Festspeicher als Alternative zu seinen harddisk-basierten FieldPaks als Speichermedium für die bandlose Editcam an. Thomson, oder wie das Unternehmen ja neuerdings durchgehend genannt werden will: Grass Valley, hat für die Digital-Film-Kamera Viper nun einen andockbaren Festspeicher-Recorder namens Venom im Programm (den auch Arri für die D-20 verwenden will). Venom erlaubt den kabellosen Betrieb und das Arbeiten mit Viper wie mit einer Filmkamera. Und um das Mimikry zu perfektionieren, sieht Venom auch noch aus wie eine Filmkassette.

Mit Viper ist ein anderes Thema angeschnitten: Digital Film. Und hier gibt es ebenfalls einiges an Trends und Entwicklungen zu berichten – auch wieder zum Thema Mimikry: An etlichen digitalen Bearbeitungssystemen kann man nun Bedienpulte sehen, wie sie von Coloristen schon seit Jahren genutzt werden, etwa auch bei Quantel, wo es eine Color-Grading-Option mit speziellem Bedienpult für iQ und eQ gibt. Ganz scheint es so, als reichten die bekannten Argumente nicht aus, um die eher traditionell orientierten Teile der Branche von den neuen Systemen zu überzeugen. Also heißt es, sich anpassen: »If you can’t beat them, join them.«

Color Grading ist insgesamt ein Thema, das derzeit eine so große Rolle spielt, wie noch nie zuvor: Immer neue Systeme werden für einen in der Realität sehr überschaubaren Markt vorgestellt, etliche Firmen buhlen um ein Spezialthema, mit dem sich bis vor Kurzem nur sehr wenige Experten befassten: Ganz sicher werden nicht alle davon überleben. Da Vinci und Pandora haben Konkurrenz bekommen: Autodesk unterstreicht mit der Übernahme von Colorfront, dass man es Ernst meint mit Lustre. Quantel baut iQ und eQ auch in Richtung Color Grading aus. Nucoda will, nun unter dem Dach von Digital Vision richtig Gas geben. Filmlight ist in diesem Markt sehr aktiv, auch Assimilate mischt mit. Und das sind noch nicht einmal alle.

Die Filmrestaurierung – schon vor drei, vier Jahren als Thema im Aufwind – erlebt im Angesicht dessen, dass immer mehr Sender schon jetzt oder innerhalb der kommenden Jahre HD-Material zum Senden brauchen, neuen Auftrieb: Systeme wie Restore von Datim, aber auch von etlichen anderen, gehen dabei neue Wege. Bei Posthäusern spielt dieses Thema eine wachsende Rolle und füllt teilweise die Auftragsbücher wieder etwas auf, allerdings erfordern solche Jobs mitunter anderes Equipment, als derzeit vorhanden ist. Eine Chance für Cinecure von Imagica, Archangel von Snell &Wilcox, die Systeme von MTI und anderen?

Überragendes Thema der NAB2005, wenn es um Digital Film und Digital Intermediate ging: 4K-Bearbeitung und zwar in Echtzeit – vor wenigen Jahren noch unvorstellbar, nun auf dem Weg zur Realität – zumindest in den USA und in Soho. Wer auf der Herstellerseite in der Oberliga der Postproduktion mitspielen will, zeigt während dieser NAB die 4K-Fähigkeit seines Systems. DVS führt mit Clipster in der neuesten Version 2 die Riege der Hersteller mit einem 4K-System an, das schon jetzt einsatzbereit ist und während der Messe unter anderem am Sony-Stand als Zuspieler für Sonys 4K-Projektor eingesetzt wurde. Andere zeigten in Technologie-Demos, dass auch bei ihnen die Reise in Richtung 4K gehen soll.

Braucht aber wirklich jedes Projekt 4K, oder wird diese Auflösung auch auf längere Sicht eher den Top-Produktionen aus den USA vorbehalten bleiben? Diese Frage stellen sich nicht nur Skeptiker – im Grunde sind sich viele Anwender aus Deutschland und letztlich auch die meisten Hersteller darin einig, dass 4K wohl auch künftig eher den Spielfilmprojekten jenseits des Atlantiks vorbehalten bleiben wird. In Deutschland, so die weit verbreitete Wahrnehmnung, mühe man sich ja derzeit noch mit HD und 2K ab, da werde wohl 4K erst recht noch weit in der Zukunft liegen.

Die Diskussion um 4K zeigt aber, dass Digital Film in der Postproduktion längst Realität geworden ist – wenn auch nicht in der maximalen Auflösung. Selbst Regisseure und Produzenten, die eher dem Film als der Video- oder Datenwelt verhaftet sind, setzen auf die neuen Möglichkeiten der digitalen Filmproduktion und -postproduktion. Grundsatzdiskussionen drehen sich schon längst nicht mehr um das »Ob«, sondern um das »Wie« der digitalen Bearbeitung.

Eine wichtige Frage in Sachen »Wie« ist die des Color-Managements. Wie schafft man es, dass die Bilder auf dem Monitor des Farbkorrektur-Systems später auch auf der Leinwand so aussehen wie gewünscht? Das ist eine zentrale Frage, die sich viele Postproduktionshäuser stellen – und um sie zu beantworten, realisieren die Kunden ganz unterschiedliche Infrastrukturen und Arbeitsabläufe, die alle ein Ziel haben: ein vernünftiges, verlässliches Color-Management. Kodak hat diesen Bedarf schon frühzeitig erkannt und mit dem Display Manager ein System entwickelt, das aus einer Kalibrierungs-Hardware und einer Display-Software besteht, beides auf dem Farbraum basierend, der durch das Print-Filmmaterial und die Kinoprojektion vorgegeben ist. Auf der Basis von Typ und Kalibrierung des Ausgabegerätes erstellt der Kodak Display Manager dann eine verschlüsselte 3D-LUT, die das Postproduktionssystem für die kalibrierte Bilddarstellung benutzen kann.

Auch andere Hersteller sind in diesem Bereich des Color-Managements aktiv: Die britische Firma Filmlight etwa entwickelte das Truelight-Farb-Management-System, und der skandinavische Hersteller des Filmbelichters Cinevation stellte erst kürzlich ein System vor, dass garantieren soll, dass der Cinevator so auf Film ausbelichtet, wie es in den Bearbeitungsstufen zuvor auch angelegt wurde.

Eines lässt sich sicher sagen: Eine Universallösung gibt es noch nicht, und dieser Zustand dürfte die Branche auch noch eine Weile begleiten. Und schließlich gibt es noch einen anderen Aspekt: mit der Ausbelichtung ist der Digital-Film-Prozess eigentlich noch nicht zu Ende. Erst wenn die digitale Projektion in den Kinos voran schreitet, schließt sich der Kreis. Und das dürfte noch eine Weile dauern, auch wenn Sony – wie schon erwähnt – während der NAB2005 einen 4K-Projektor zeigte.

Die Realität der digitalen Prozesse nicht zu negieren, aber trotzdem möglichst dem Film treu zu bleiben, das ist ganz klar die Strategie von Kodak. Zur NAB2005 setzte der Hersteller einen weiteren Dominostein in diesem Spiel und stellte seine Alternative zur digitalen Akquisition, zu Viper und Konsorten vor: Ein 16-mm-Filmmaterial, das für Scan-Anforderungen optimiert ist. Flach und farbarm kommt das belichtete Material aus der Entwicklung, ungeeignet um davon Kopien zu ziehen, aber optimal für die Digitalisierung mit einem Scanner. Der gewünschte Filmlook wird dem Material erst nachträglich zugewiesen, von einem Prozessor, den Kodak hierfür entwickelt hat und der den Look aller aktuellen und vieler schon ausgelaufener Filmmaterialien emulieren kann.

Ganz generell breitet sich also die Sichtweise aus, dass es in Zukunft in allen Bereichen der Branche immer mehr um IT und Daten gehen wird, wenn man von Bildern spricht. Was in der Filmpostproduktion massiv eingesetzt hat, wird dort nicht stehen bleiben. »Letztlich wird unsere gesamte Branche datenzentrisch werden. Video-Hardware im engeren Sinn wird dann nicht mehr benötigt, es geht um Files und Daten, die über Computerschnittstellen ausgetauscht werden, es geht um Software.« Wer das sagt, ist einer, der in den vergangenen Jahren mit hoch spezialisierter Video-Hardware sein Geld verdient hat und derzeit auch noch verdient, der aber jetzt schon die Weichen für die Zukunft stellen will: Robert Ekstrom, der Präsident und CEO von Digital Vision, dessen Firma aus diesem Grund Nucoda übernommen hat.

Schaut man sich die aktuellen Videoformate von Sony und Panasonic und die Schnittstellen dieser Geräte an, dann weiß man, dass hier nur einer konsequent weitergedacht und deutlich ausgesprochen hat, was tatsächlich unausweichlich scheint. Mit dem Band, von dem sich dessen stärkste Verfechter Sony und Panasonic nun langsam verabschieden, wird auch die klassische Video-Hardware sterben – außer vielleicht in der Live-Produktion – bis nur noch die Kameraköpfe in dieser Gerätekategorie übrig bleiben. Das wird noch Jahre dauern, aber die Schienen sind verlegt und die Weichen gestellt.

Ein etwas anderes, aber doch damit verbundenes Thema ist während der NAB2005 ebenfalls sehr präsent: Das Streben nach immer mehr Effektivität, das teilweise fast schon leicht wahnhafte Züge annimmt. Immer mehr Programm mit immer weniger Aufwand, mit immer weniger Personal zu erzeugen, das zieht sich als Generalthema quer durch alle Aspekte der Branche.

Im Grunde kann das nicht überraschen: Das Fernsehen befindet sich in den vergangenen Jahren auf dem Weg von der Manufaktur zur Fabrik und diese Entwicklung beschleunigt sich zunehmend, seit PCs mit Videosignalen umgehen können. Alles muss schneller gehen, automatisiert ablaufen, die Schlagzahl erhöht sich, die einzelne Programmminute muss – zumindest auf der technischen Seite – immer billiger werden.

Was mit dem eingesparten Geld passieren soll und was tatsächlich damit passiert, das ist eine andere Frage. Gleichzeitig geht es aber darum – bei einer immer weiter wachsenden Anzahl an Kanälen – dass diese ein eigenes Profil, eine unverwechselbare Identität erreichen. Teure Sportrechte zu kaufen ist eine Möglichkeit hierfür, mehr Geld in die Verpackung der üblichen Inhalte zu stecken, eine andere – die Inhalte selbst zu verbessern, das wird dagegen nur sehr selten erwogen.

Das ist aus vielerlei Sicht ein Problem: Denn die Verbesserung der Inhalte hat bis zu einem gewissen Maß auch wieder etwas mit Technik zu tun. Technik kann der Kreativität neue Möglichkeiten eröffnen oder sie töten. Momentan scheint der fast überall in der Broadcast-Branche vorherrschende Effektivitätswahn überwiegend Zweiteres zu bewirken. Ob HD hier eine Entwicklung zum Besseren bringen wird, ist offen. Aber vielleicht erfüllt sich ja die Hoffnung, die viele in der Branche in sich tragen: Mehr Bildqualität könnte auch wieder etwas mehr Anspruch bei Machern und Zuschauern mit sich bringen.

Damit schließt sich der Kreis und das Anfangsthema ist wieder erreicht: HD zog sich wie eine Grundmelodie durch die gesamte NAB2005.

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