Festival, Film, Top-Story: 30.04.2025

Filmtipps fürs 40. Internationale Dokfest München 2025

Das Dokfest München startet am 7. Mai mit 105 Dokumentarfilmen aus 58 Ländern in Münchner und Augsburger Kinos und Event-Locations — sowie per Streaming. Hier gibt es dazu Infos und Filmtipps.




At the Door of The House Who Will Come Knocking

[Dorfleben, Beobachtung, Alter]

Serbien, Bosnien und Herzegowina 2024 / 84 Minuten / 16:9

©Dokfest München
Film Still aus »At the Door of The House Who Will Come Knocking«.

Der alte Mann, das Pferd, der Hof und der Schnee. Aus diesen Zutaten ist dieser Film gemacht, ohne Schwenk, ohne Fahrt, ohne Zoom. In starren, langen Einstellungen erzählt er den Alltag eines alten, alleinlebenden Mannes, der gelegentlich mit Igman, seinem Pferd, spricht. Er befreit den Trog vom Eis, hackt einen Baum für Feuerholz um und stapft durch den Schnee der hügeligen Berglandschaft. Der Nachbar, der zufällig vorbeikommt, hat es eilig.

Einer der wenigen Dokumentarfilme, die sich auf das Beobachten beschränken, auch wenn kurz mal Visionen durch die Bilder geistern.

[sehenswert****]

Azza

[Emanzipation, fremde Welten, Frauen in anderen Kulturen]

Deutschland 2025 / 87 Minuten

Es ist ein Auto-Film. Wir sehen die Hauptperson sehr oft im Auto, und das Auto spielt eine ganz besondere Rolle in ihrer Geschichte. Azza lebt in Dschidda in Saudi-Arabien, wurde als 16-Jährige verheiratet, hat vier Kinder aus erster Ehe und hat sich scheiden lassen.

©Dokfest München
Film Still aus »Azza«.

Um die Scheidung durchzusetzen, ist sie mit dem Auto des Mannes in die Stadt gefahren und hat ihm gedroht, ohne seine Zustimmung bekomme er den Wagen nur in Einzelteilen zurück. Sie arbeitet als Fahrlehrerin für Frauen. Besser qualifizierte Jobs bekommt sie mangels fehlenden Schulabschlusses nicht. Der Film, im Breitwandformat aufgenommen, vermittelt eine große Intimität zwischen Macher und Protagonistin, und bisweilen meint man, die Autorin sei mit Azza alleine unterwegs gewesen, obwohl da ein größeres Team war. Die Dreharbeiten fanden über einen Zeitraum von drei Jahren statt. Auch das merkt man dem Film kaum an. Geschickt ist er zu einem Portrait einer Frau montiert, die sich schrittweise aus den Zwängen einer patriarchischen Gesellschaft befreit.

[sehenswert***]

Blame

[Wissenschaft, Gesundheit, Politik]

Schweiz 2025 / 121 Minuten / 16:9

Die Frage, wie die Corona-Pandemie in die Welt kam, ist letztlich nicht abschließend geklärt. Der Film erzählt von drei Wissenschaftlern, die seit dem SARS-Ausbruch von 2003 zusammenarbeiten: Linfa Wang aus Singapur, Zhengli Shi aus Wuhan und Peter Daszak aus New York.

©Dokfest München
Film Still aus »Blame«.

Sie haben ein Ziel vor Augen. Sie erforschen Viren, um bei einem möglichen nächsten Ausbruch vorbereitet zu sein, und sie untersuchen, wie Fledermäuse die Viren in sich tragen können, ohne zu erkranken. Von den Forschenden werden sie in der Öffentlichkeit langsam zu den Schuldigen, allen voran Peter Daszak, der der Nicht-Regierungsorganisation EcoHealth Alliance vorstand. Es ist einfacher und bequem, jemanden als Verursacher zu beschuldigen, als den Versuch zu unternehmen, komplexe schwierige Vorgänge zu verstehen.

[sehenswert***]

Double Trouble

[Dorfleben, Beobachtung, Frauen, Alter]

Deutschland, Polen 2025 / 72 Minuten

©Dokfest München
Film Still aus »Double Trouble«.

Hanka und Bronka, zwei ältere Witwen, sind Nachbarinnen in einem polnischen Dorf nicht weit von der ukrainischen Grenze. Der Film beobachtet sie im 4:3 Format bei den alltäglichen Arbeiten, bei der einen oder der anderen auf dem Hof, beim Kartoffelernten, Mähen, Hühnerschlachten, Brombeersuchen und bei gemeinsamen Mahlzeiten. Sie reden unentwegt über sich, über ihre Sorgen und über das, was sie bedrückt und was sie tun. Die gemeinsamen Szenen im Film sind wie Auftritte und werden eingeleitet von einer vierköpfigen Männer-Blasmusikgruppe, die auch die Musik zum Film beisteuert und damit die Handlung kommentiert. Über die Jahreszeiten sehen wir immer neue Situationen und: Nein – keine der beiden stirbt am Ende.

[sehenswert****]

Endlich unsterblich

[Musikfilm, Portrait, Konzertfilm]

Deutschland 2024 / 81 Minuten

©Dokfest München
Film Still aus »Endlich unsterblich«.

»Endlich unsterblich« begleitet Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung auf einer Tournee durch verschiedenste Auftrittsorte in Deutschland von Großstädten bis in die Provinz. Sie sind zu fünft und Florian Paul ist der Motor, der antreibt und die Texte der Lieder schreibt, die auf Deutsch vorgetragen werden. Aus dem Off spricht er der Filmemacherin seine Gedanken ein, die dem Film den notwendigen Zusammenhalt und einen Einblick in ein Musikerleben der Jetztzeit geben. Als Bildformat hat man Superscope gewählt, wird aber nicht immer dem Anspruch des breiten Bildes gerecht, wozu auch eine exzessive Verwendung eines Weitwinkelobjektivs führt.

[sehenswert**]

In Hell With Ivo

[Transgender, Musikfilm, Künstlerportrait]

Bulgarien, USA 2025 / 80 Minuten

Ivo Dimchev ist ein Star der bulgarischen Theater-, Tanz- und Performanceszene. 2020 wird sein Arbeitsfeld von den Corona-Bestimmungen getroffen und er beschließt, bei seinen Fans private Home-Konzerte zu veranstalten.

©Dokfest München
Film Still aus »In Hell With Ivo«.

Fortan tritt er in Villen, schlichten Neubauwohnungen und auch in den Quartieren der Roma auf, singt und interviewt anschließend sein Publikum. Der Film zeigt ihn auch privat und daheim bei seinen Eltern, die mit seinem homosexuellen, queeren Leben fremdeln. Auf einer USA-Reise initiiert er ein Theaterprojekt, das dem Publikum die Frage stellt: Wollt ihr lieber mit Trump in den Himmel oder mit Jesus in die Hölle? In dem Film gibt es einen schönen dokumentarischen Moment, als Ivo vor seinen Eltern spielt und ihnen dann Fragen stellt. Ansonsten haben die Macher die Chance sowohl von der Kamera (wie Trash-TV) aber ganz besonders von der Regie her verbockt, sind den Ereignissen wahllos hinterhergelaufen und zeigen viel zu viel und Weniges, was zu einem Ende kommt. Aber allein wegen Ivos Stimme sehenswert.

[sehenswert***]

Palliativstation

[Beobachtung, Alter, Sterben]

Deutschland 2025 / 244 Minuten / 16:9

©Dokfest München
Film Still aus »Palliativstation«.

Schon der Titel und die Laufzeit lassen einen an die Filme von Frederick Wiseman denken, lange Beobachtungen in gesellschaftlichen Institutionen. Wer schaut sich einen vier Stundenfilm über eine Palliativstation an? Sie werden es mögen! Gerade weil sich der Film so viel Zeit nimmt, genauso wie der Arzt und die Mitarbeiter der Station für ihre Patienten.Wer auf die Palliativstation kommt, der weiß, dass medizinische Therapie augenblicklich aussichtslos erscheint und es nur mehr um das Wohl des Patienten geht. Es geht um das Sterben, manche sind vorbereitet, andere hadern mit ihrem Schicksal. Die Kamera schaut zu, und Einstellungen können bis zu 10 Minuten dauern, immer der gleiche Blick. Alles ist aus der Hand gedreht, das Bild bebt leicht und bei aller Statik und Ruhe ist es doch lebendig. Es gibt keine Fragen und der Macher bleibt unsichtbar. Auch die Menschen vor der Kamera würdigen sie keines Blickes. In der letzten Lebensphase ist Sein und Schein so unbedeutend, dass die Patienten ihre Einwilligung zu den Filmaufnahmen gegeben haben und ihre Verletzlichkeit nicht mehr verbergen. Zwischen den Teambesprechungen und Patientengesprächen sorgen die Raumpfleger in den Gängen für kurze Erholungspausen.

[sehenswert*****]

Seite 1: Eckdaten und Tendenzen
Seite 2: Filmbeschreibungen
Seite 3: Filmbeschreibungen
Seite 4: Filmbeschreibungen