Grading: 27.03.2023

Grading für »Bardo«

Der Colorist Damien Vandercruyssen realisierte das Grading des immersiven Films »Bardo, die falsche Chronik einer Handvoll Wahrheiten« mit einem Baselight-System bei Harbor in Los Angeles.

»Bardo« erzählt die Geschichte des gefeierten Journalisten und Dokumentaristen Silverio, der sich auf eine Reise begibt, um sich mit der Vergangenheit, der Gegenwart und seiner mexikanischen Identität zu versöhnen. Silverio stellt sich Fragen über Identität, Erfolg, Sterblichkeit, die Geschichte Mexikos und die tief emotionalen familiären Bindungen, die er mit seiner Frau und seinen Kindern teilt. »Bardo «ist ein tibetisches Wort, das sich auf das buddhistische Konzept eines schwebenden Übergangszustands zwischen Tod und Wiedergeburt bezieht, der sich im Film in surreale Traumsequenzen und reale Szenen übersetzt.

Szene aus »Bardo, die falsche Chronik einer Handvoll Wahrheiten«.
Darius Khondji, vor 2018. ©JJ Georges, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Eine bewährte Partnerschaft

Der immersive Film wurde mit Baselight beim Posthouse Harbor in Los Angeles vom Coloristen Damien Vandercruyssen gegradet. Er arbeitete eng mit dem preisgekrönten Kameramann Darius Khondji zusammen, um den gewünschten Look zu erzielen.

Colorist Damien Vandercruyssen.

Khondji wurde für seine Arbeit an dem Film für den Oscar für die beste kinematografische Leistung nominiert und erhielt außerdem einen ASC-Award für herausragende kinematografische Leistungen bei Kinofilmen.

Khondji und Vandercruyssen haben bei vielen Gelegenheiten zusammengearbeitet — unter anderem bei »Uncut Gems« (2019), »Lisey’s Story« (2021) und zuletzt »Armageddon Time« (2022) — und sie haben mittlerweile eine starke kreative Bindung entwickelt. Dabei betrachten sie aber jedes Projekt als eine leere Leinwand.

»Was ich an Darius‘ Arbeit wirklich bewundere, ist die Tatsache, dass jeder Auftrag eine eigene Herangehensweise, ein eigenes Gefühl und einen eigenen Look erfordert«, sagt Vandercruyssen.

Colorist Damien Vandercruyssen und Kameramann Darius Khondji arbeiteten schon oft zusammen, unter anderem auch bei »Lisey’s Story«.

»’Bardo‘ und ‚Armageddon Time‘ wurden von demselben Kameramann, mit derselben Kamera und im selben Jahr gedreht, und doch sind sie jeweils erfrischend anders. Natürlich haben wir einen gemeinsamen Sinn und eine gemeinsame Kultur, an die wir uns anlehnen, aber wir wollen, dass jedes Projekt einzigartig ist. Das dient für uns als rote Flagge, als Stoppzeichen, um uns davor zu bewahren, zu leicht in einen Automatismus zu verfallen.«


Netflix-Trailer von »Bardo«
Oneirismus

»Natürlicher Oneirismus«, so beschreibt Vandercruyssen den gewünschten Look des Films (Anmerkung der Redaktion: Oneirismus sind als real empfundene, traumähnliche Halluzinationen.) »Wir wollten eine saubere Farbpalette mit einem ganz leichten Hauch von Filmpatina«, fügt er hinzu. »Die Farbarbeiten von Vivian Maier (Anmerkung der Redaktion: Amerikanische Fotografin, deren großer Nachlass erst nach ihrem Tod entdeckt wurde) waren eine der Referenzen während der Vorproduktion, die wir während des Gradings weiter studiert haben. Sie ist leicht verblasst, hat aber dennoch Farbakzente. Es war ein einzigartiger Look, der eine gewisse Nostalgie mit sich bringt.«

Die Bilder der Fotografin Vivian Maier waren eine der Inspirationen für den Look von »Bardo«.

»Für die Filmemacher war es wichtig, dass sich das Grading natürlich anfühlt, selbst in den Traumzuständen«, erklärt Vandercruyssen. »Wir haben die Übergänge zwischen den Szenen durch subtile Variationen, eine besondere Schwingung des Gradings und den Wechsel der Stimmung von der Realität in den Traumzustand verfeinert.«

»Wie in einem Traum beginnt der Look oft realistisch, verändert sich aber ganz natürlich, instinktiv und fast unmerklich. Alles in allem musste sich das Grading für Alejandro und Darius immer so natürlich wie möglich anfühlen.« (Anmerkung der Redaktion: Regisseur Alejandro González Iñárritu und Darius Khondji.)

LUTs

Für »Bardo« begannen Khondji und Vandercruyssen während der Vorproduktion mit der Erstellung von Look-Up-Tables (LUTs). Die Produktion fand in Mexiko statt, aber aufgrund der damaligen Covid-19-Beschränkungen war Vandercruyssen in New York, und die beiden arbeiteten bei Bedarf remote.

In Film gibt es unterschiedlichste Grades und Lichtstimmungen.

»Es ist immer ein besonderer Moment, wenn der Kameramann auf der Suche nach den perfekten Zutaten für den gewünschten Look ist«, erklärt Damien Vandercruyssen. »Zwischen Kamera, Objektiv, Beleuchtung und Farbe, die alle mit dem Kostüm- und Produktionsdesign verbunden sind, ist diese Testphase unerlässlich. Sie sorgt dafür, dass alles nahtlos ineinander übergeht.«

Nachdem er die LUTs für Gabriel Kolodny (DIT und Set-Colorist) erstellt hatte, behielt Vandercruyssen die Dailies im Auge und unterstützte die Entwicklung neuer LUTs und Anpassungen.

Dreharbeiten

»Bardo« wurde mit einer Alex 65 gedreht (Info). »Die Bildqualität dieser Kamera ist sehr beeindruckend«, kommentiert Vandercruyssen. »Die einzige Herausforderung bestand darin, die riesigen Datenmengen zu bewältigen, die dafür erforderlich sind, und die Grenzen der Echtzeitwiedergabe zu erreichen.«

Das Team verwendete Arri LogCv3 Wide Gamut als Arbeitsfarbraum. Alle VFX-Aufnahmen wurden in Arri Linear EXR mit eingebetteten Mattes geliefert.

»Wir begannen nur mit Plates und implementierten und überprüften die VFX-Aufnahmen, sobald sie eintrafen«, erinnert sich Vandercruyssen. »Der Main-Grade wurde bis zur Festivalpremiere in P3 D65 durchgeführt. Danach begann ich mit der Arbeit an den anderen Deliveries:  HDR/SDR für Netflix, Film-Out und Dolby Cinema.«

©Netflix
»Bardo« ist ein tibetisches Wort, das sich auf das buddhistische Konzept eines schwebenden Übergangszustands zwischen Tod und Wiedergeburt bezieht.
Grading

Vandercruyssen und Khondji begannen im Frühjahr mit der siebenwöchigen Arbeit am Main Grade und schlossen ihn ab, schon bevor alle VFX-Aufnahmen fertiggestellt waren. Im August setzten sie die Arbeit mit dem Regisseur Alejandro González Iñárritu vier Wochen lang fort und arbeiteten dazwischen zwei weitere Wochen an der HDR-Dolby-Vision-Version und der Endkontrolle.

»Wir nehmen immer das Offline-Bild als Ausgangspunkt, und der Look entwickelt sich, während wir die Szenen durchspielen und diskutieren«, erklärt Vandercruyssen. »Darius gibt den Anstoß, wenn wir eine neue Richtung brauchen, und weist auf Dinge hin, die ihm gefallen oder eben nicht. Wenn es etwas gibt, das meiner Meinung nach nicht funktioniert, schlage ich Alternativen vor.«

»Dann kommt es darauf an, ob man diese neue Richtung mag oder nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Farbe auf einen sehr subjektiven und persönlichen Geschmack trifft. Wir neigen dazu, das gleiche Aussehen zu bevorzugen, was den Erneuerungsprozess ein wenig erschwert. Aber bei ‚Armageddon Time‘ konnten wir zum Beispiel mit einer weicheren Farbpalette spielen, wie wir es vorher nicht getan hatten. Auch bei ‚Bardo‘ haben wir mit dieser weicheren Palette gespielt.«


Netflix-Trailer über die Entstehung von »Bardo«.

»Bei ‘Bardo‘ ging es vor allem um Subtilität, um kleine Anpassungen und Feinheiten«, erklärt Vandercruyssen. »Dies konnten wir zu einem großen Teil dank Baselight erreichen. Ich habe Keyframes für Shapes, Keys oder Gradations- und Opazitätsübergänge verwendet, da es in den Aufnahmen viele unterschiedliche Gradings gibt. Die Sturmszene in der Küche zum Beispiel wurde schon mit einer ganz bewussten Stimmung aufgenommen, aber wir haben die Transitions unterstützt, indem wir den Rahmen abgedunkelt haben, als der Sturm zunahm.«

Überblenden und Ausbalancieren

Einer der anspruchsvollsten Aspekte des Gradings war für Vandercruyssen die Verwaltung langer Takes mit mehreren Looks.

»Ich musste mehrere Stacks erstellen und überblenden, um die gewünschten weichen Übergänge zu erzielen«, erklärt er. Robert Crosby, der stellvertretende Colorist, und Weiyi Ang, der Farbassistent, unterstützten mich hinter den Kulissen und leisteten phänomenale Arbeit beim Tracking und Keyframing der vielen Fenster.«

Eine der kniffligsten Aufnahmen, die Vandercruyssen in Angriff nahm, war der Eingang zum Fernsehstudio, der den ganzen Weg zurück in die Umkleidekabine führte. »Das ist eine sehr lange Einstellung, die aus sechs verschiedenen Ebenen und Positionen besteht«, erklärt er. »Wir mussten die Aufnahme also in Abschnitte unterteilen, einen pro Drehort, und sie dann in den Übergängen, Fenstern und Keyframing an jedem Drehort neu mischen.«

Eine weitere Herausforderung war die Szene in der Innenstadt von Mexiko City, die in einem Zeitraffer vom Tag zur Nacht in den Straßen und dann in die Morgendämmerung auf dem Zocalo übergeht. (Anmerkung der Redaktion: Zocalo ist die umgangssprachliche Bezeichnung für den zentralen Platz einer Stadt in Mexiko.)

»Diese Szene war sehr VFX-lastig, aber die ganze Passage war eine Herausforderung«, erklärt er. »Das richtige Maß an Dunkelheit zu finden, wenn die Nacht in die Morgendämmerung übergeht, war eine echte Herausforderung. Ich fühlte mich wie ein Seiltänzer. Jede Bewegung hatte einen Dominoeffekt. Es war sehr schwierig, die richtige Balance zu finden und auch mit dem VFX-Team zu koordinieren.«

Auszeichnungen

Bardo wurde bereits bei mehreren Filmfestivals 2022 ausgezeichnet, darunter Camerimage (Polen), Capri (Hollywood) und Venedig (Italien). Der Film war auch im Rennen für einen Oscar 2023 für die beste kinematografische Leistung und einen ASC-Award für herausragende kinematografische Leistungen in einem Kinospielfilm.