Grading von »Der Greif«
Der Colorist Sebastian Göhs über seine Arbeit an »Der Greif«.
Im folgenden Interview von FilmLight erzählt der freiberufliche Colorist Sebastian Göhs über seine Arbeit und Herangehensweise im Grading allgemein — und auch speziell in Bezug auf den Sechsteiler »Der Greif«, der auf Prime Video zur Verfügung steht.
Sebastian Göhs lebt in Berlin und arbeitet als Senior Colorist an High-End-HDR-Inhalten für Spielfilme, TV-Serien und Werbespots. »Der Greif« hat er auf Baselight gegradet, einem Farbkorrektursystem des Herstellers FilmLight. In der Vergangenheit hat Göhs neben vielen anderen Produktionen auch »In Darkness« gegradet, wofür er 2011 mit dem Goldenen Frosch beim Camerimage Festival prämiert und für einen Oscar nominiert wurde.
Hintergrund
»Der Greif« ist eine Serie, die W&B Television zusammen mit Dog Haus für die Amazon Studios realisiert hat. Die Serie basiert auf dem gleichnamigen »Young-Adult«-Bestseller von Wolfgang Hohlbein. Der ursprünglich vierbändige Fantasy-Roman »Greif« erschien erstmals 1989 und verkaufte sich seither über eine Million mal.
Als Regisseure für die Serie zeichnen Sebastian Marka und Max Zähle verantwortlich, DoP war Willy Dettmeyer.
Der Amazon-Sechsteiler feierte seine Premiere im Mai 2023 auf Prime Video. Die Serie wurde als High-End-Produktion bezeichnet und als »opulentes Fantasy-Epos« sowie »als klug konstruierte Popkultur-Reflexion«, »mit viel Liebe zum Detail«.
Es handelt sich um eine Coming-of-Age-Story um ein paar Außenseiter aus der deutschen Provinz, die einerseits in der realen Welt erwachsen und in einer Paralleldimension zu Helden werden. Die Fantasy-Welt ist ein mysteriöser Kosmos, der voll grauenvoller Monster bevölkert ist, in der Realität der Serie spielt sie in den 1990er-Jahren — inklusive Karo-Hemden, Mixtapes und Grunge-Sound.
Prime Video stattete die Produktion mit einem üppigen Millionen-Budget aus, und es gab auch Filmförderung aus diversen Töpfen in Höhe von mehr als 5 Millionen Euro. Gedreht wurde der Sechsteiler zwischen Juli und November 2021 in Berlin und Umgebung. Das bildgewaltige Fantasy-Abenteuer läuft nun in über 240 Ländern, mit den Abrufzahlen zeigt sich der Streaming-Anbieter angeblich mehr als zufrieden.
Interview
Erzählen Sie uns von Ihrem Weg zu einem erfolgreichen Coloristen?
Ich würde Ihnen eigentlich ganz gerne sagen, dass ich schon immer wusste, dass ich Colorist werden wollte — aber so war es nicht ganz. Im Laufe der Jahre hatte ich das Glück, die Unterstützung eines Unternehmens und ein Umfeld zu haben, in dem ich mich entwickeln konnte, was mir viele Möglichkeiten eröffnete.
Ich begann meine Ausbildung zum Film- und Videoeditor im Jahr 2002 in einem der ältesten Filmlabore Europas, bei Geyer Berlin. Nachdem ich dort in der Telecine-Abteilung und im MAZ-Raum gearbeitet hatte, wechselte ich ins Digilab, wo ich einerseits den Umgang mit verschiedenen Software-Paketen wie Shake, Flame, Smoke und Digital Fusion erlernte und andererseits Filmabtastungen und -aufzeichnungen mit Arriscan und Arrilaser durchführte. Ich habe auch mit Avid zusammengearbeitet und gemeinsam mit unserer eigenen technischen Abteilung Schnitträume eingerichtet — und mich um den Dailies-Prozess und die Tonsynchronisation gekümmert. Hier konnte ich ein gutes Verständnis für die verschiedenen Phasen des Postproduktionsprozesses erwerben, bevor ich dann in die Farbkorrektur wechselte.
Als unser Unternehmen auf nonlineare Farbkorrekturen umstieg, entschied sich unser Haus für das Lustre-System von Discreet und brauchte jemanden, der unsere Coloristen in dieses Tool einwies (Meldung). Da ich mit dem linearen Tape-to-Tape- und Telecine-Workflow sowie mit Flame und Smoke vertraut war, wurde ich also Lustre-Assistent, durfte in der Grading-Suite sitzen und mit den leitenden Coloristen zusammenarbeiten.
Schon bald hatte ich dann die Gelegenheit, mit einem DoP und einem Regisseur, die mich von einem früheren Projekt kannten, an einem kompletten Spielfilm zu arbeiten. Das lief sehr gut — und von da an bekam ich die Chance, mich als Vollzeit-Colorist bei mehreren Folgeprojekten zu beweisen — und hatte schließlich auch meine erste Begegnung mit Baselight.
An welcher Art von Inhalten arbeiten Sie normalerweise?
Normalerweise arbeite ich an hochwertigen Spielfilmen und Serien, gelegentlich auch an einem Kunstprojekt, einem Musikvideo oder einem Werbespot.
Wie beeinflusst die Farbgestaltung Ihrer Meinung nach die Art und Weise, wie das Publikum einen Film wahrnimmt?
Ich würde sagen, dass die Farbgestaltung die Bilder in ähnlicher Weise prägt, wie der Ton eine Geschichte beeinflusst: Farbe kann das Bild in verschiedene Richtungen lenken, ob es nun dunkel und düster, sonnig und fröhlich, traurig oder spannend ist. Wir können bestimmte Teile des Bildes hervorheben, aber auch bestimmte Dinge zurücknehmen oder ausblenden, um die Aufmerksamkeit des Publikums dorthin zu lenken, wo Kamera und Regie sie haben wollen.
Ein Look macht noch keinen Film, aber eine schlechtes Color Grading kann die Verbindung zum Publikum stören.
Eine häufige Anforderung, die ich höre, ist die Nachahmung bestimmter Filmmaterialien oder eines »Film-Looks«, um dem Filmmaterial ein gewisses analoges Gefühl zu verleihen und den ‚digitalen Eindruck‘ zu reduzieren.
Woher wissen Sie, ob eine bestimmte Farbgestaltung passt oder nicht?
Das ist meistens ein Bauchgefühl. Normalerweise reagiere ich stark auf eine Farbpalette und den Kontrast und darauf, ob sie gut zur Geschichte passt oder ob sie ihr zuwiderläuft und die Aufmerksamkeit ablenkt. Ich verwende die verfügbaren Werkzeuge, um das Material entsprechend zu steuern, ohne dabei zu technisch vorzugehen.
Dabei sind DoP und Regisseurin oder Regisseur immer meine wichtigsten Ratgeber: Letztendlich ist es ja deren Show.
Was ist die größte Herausforderung in Ihrer Rolle als Colorist?
Am schwierigsten finde ich die psychologische Komponente, etwa wenn es kreative Differenzen zwischen der Produktion, Regie und Kamera gibt. Kompromisse machen die Leute eben tendenziell unglücklich, vor allem, wenn sie erst spät im Prozess ausgehandelt werden. Und überraschenderweise gibt es da in einem Prozess, der eigentlich ganz einfach sein sollte, oft eine Menge Kommunikationsprobleme und ‚politische‘ Aspekte.
Wie arbeiten Sie bei einem Projekt am liebsten mit Regisseurin/Regisseur und dem DoP zusammen?
Ich bin gerne so früh wie möglich in den Prozess involviert, entwickle mit den Look und die LUTs für die Kameras am Set und spreche mit dem Set-Coloristen. Dann gibt es keine Überraschungen.
Je besser die Vorbereitung und je näher die Dailies an den Vorstellungen des DoPs liegen, desto weniger Diskussionen gibt es, weil sich eben die Produktion und die Regieseite während des Schnitts schon an die Dailies gewöhnen. Wenn sich der Look wesentlich ändert, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass es bei den Abnahmesitzungen Probleme gibt. Die psychologischen Aspekte können dann manchmal sehr stark werden, da ‚anders‘ eben oft als beängstigend empfunden wird und die Tatsache, dass der neue Look in vielerlei Hinsicht besser oder passender sein könnte, übersehen wird.
Wie ist der Markt in Deutschland im Moment?
Das ist schwer zu sagen. Wie ein Großteil Europas stehen wir am Rande einer großen Rezession und die Regierung hier überlegt derzeit noch, wie sie agieren will.
Die deutsche Filmindustrie unterscheidet sich aufgrund des hiesigen Produktionssystems schon immer von anderen Ländern, und auch wenn die letzten Jahre nicht schlecht waren, brauchen wir einige ernsthafte Reformen. Die steigenden Zinsen und die Inflation haben eine Reihe von Projekten und Produktionen in Mitleidenschaft gezogen.
Und dann ist da noch die Situation mit den Streiks in den USA, die sich auf internationale Produktionen auswirken. Noch mache ich mir keine ernsthaften Sorgen, aber wir werden sehen, wie sich die Dinge im nächsten Jahr entwickeln und ob sich die deutsche Filmindustrie wieder erholen wird.
Wie lange arbeiten Sie schon mit Baselight und was gefällt Ihnen am besten an dem System?
Meine intensivste Zeit mit Baselight war 2015, als wir die Bildabteilung bei Rotor Film aufgebaut haben (Meldung). Ich benutze Baselight nun schon seit acht Jahren und es ist seitdem mein bevorzugtes System geworden.
Was ich an dem System am meisten schätze, sind seine Flexibilität, die technische Qualität und das Farbmanagement. Das Toolset entwickelt sich ständig weiter und der Support von FilmLight hat mich nie im Stich gelassen.
Wie würden Sie Ihren Grading-Stil beschreiben und wie hilft Ihnen Baselight dabei?
Ich beginne gerne mit einem allgemeinen Look and Feel und arbeite mich Stück für Stück durch das Projekt bis zum Endprodukt. Normalerweise ist unsere Zeit für das Grading begrenzt — obwohl es bei High-End-Serienprojekten eine gewisse Entwicklung gibt, die uns mehr Zeit gibt, um die Qualität des Gradings zu verbessern.
Das Baselight-Toolset und die eingebauten Core-Looks in Kombination mit der Möglichkeit, nahtlos zwischen Kino-, SDR- und HDR-Outputs zu wechseln, bringen Zuverlässigkeit und Sicherheit in die Produktionen. Die Arbeit mit Baselight bedeutet, dass ich schneller vorankomme und schneller großartige Ergebnisse erzielen kann.
Was können Sie speziell zu »Der Greif« sagen? In welchem Stadium des Prozesses haben Sie begonnen, mit dem Team zusammenzuarbeiten?
Ich wurde erst recht spät in den Prozess einbezogen, was für eine deutsche Produktion dieser Größe ungewöhnlich ist. Die Entwicklung des Looks wurde vor dem Dreh von einem anderen Coloristen vorgenommen und während der Produktion am Set dann noch weiter entwickelt.
Das bedeutete, dass ich mit einer gewissen Erwartungshaltung an den Look und das Grading-System konfrontiert wurde: als ich zum Einsatz kam, wurde Resolve genutzt. Es gab jedoch einige Probleme mit den Dailies-Gradings und den LUTs. Nachdem ich einige Zeit damit verbracht hatte, mir das Setup anzuschauen und mit dem DoP, den Technikern im Posthouse, dem Post-Production-Supervisor und dem DIT zu sprechen, konnte ich das Team davon überzeugen, den Job auf Baselight zu übertragen. Hier konnte ich den Kern des Looks neu aufbauen, indem ich Teile des ursprünglichen Setups sowie das Baselight-Toolset verwendete.
Es war klar, dass die Bild-Pipeline von Grund auf neu aufgebaut werden musste, einschließlich der Core-Looks, und ich wollte keine Kompromisse bei der Qualität des Farbmanagements, des Toolsets und der Leistung eingehen. Ich wusste, dass ich ein HDR-Master abliefern musste, aber gleichzeitig musste ich versuchen, den DoP — der an SDR-Workflows und SDR-Referenzen gewöhnt war — zu 100 % zufrieden zu stellen. Mit Truelight Colour Spaces von FilmLight kann ich ja aber nahtlos zwischen den Darstellungsräumen wechseln, so dass ich dem Kameramann die Sicherheit geben konnte, dass auch sein SDR-Master genau so sein würde, wie er es wollte, ohne dass er bei dem HDR-Master Kompromisse eingehen musste.
Was war der »Wunsch-Look« für die Serie und wie haben Sie diesen in Baselight erreicht?
Die Hauptidee des DoPs und des Showrunners war es, ein nostalgisches Kinogefühl der 80er- und 90er-Jahre zu schaffen — insbesondere so wie bei den Amblin-Filmen. Der DoP drang stark auf eine Kodak-2393-Print-Simulation, die er bei der Erstellung des Looks verwendet hatte. Also habe ich den Haupt-Look der Show darauf aufgebaut und einige der Macken und Einschränkungen ausgeglichen, damit wir eine gute Grundlage für unser HDR-Master hatten.
»Der Greif« springt ja zwischen der realen Welt und der Fantasiewelt des dunklen Turms, der verschiedene Ebenen und Decken aufweist, hin und her. Außerdem gibt es zwei Zeitebenen, die 1980er- und 1990er-Jahre. Wie sind Sie beim Grading damit umgegangen?
Wir haben die »Hier und Jetzt«-Ebene bei einem mittleren Kontrast und einer realistischen Farbpalette gehalten, um einen Kontrast zur jenseitigen Natur des dunklen Turms zu schaffen.
Dieser jenseitige Look wurde ganz im Geiste der 80er-/90er-Jahre-Filme erreicht, vor allem durch die Dekoration der Kulissen, Kostüme, Practicals, gut platzierten VFX und ein wenig Hilfe beim Color Grading. Wir verdunkelten den Himmel, wo immer es angemessen erschien, gaben ihm eine unwirkliche Färbung und verstärkten die Farbe der Vegetation, um die Botschaft zu vermitteln, dass sie sich nicht mehr in Kansas befinden.
Der dunkle Turm ist eine seltsame Welt mit seltsamen Kreaturen und verschiedenen Biomen, die direkt nebeneinander liegen. Für die Flashback-Sequenzen haben wir uns für einen kontrastarmen, vorgeblitzten Magenta-Look entschieden, da der DoP sehr darauf bedacht war, auf der analogen Seite der Dinge zu bleiben.
Wie bereiten Sie als Freelancer ohne ständigen Zugang zu einem kompletten Baselight-System Looks und Techniken vor?
Ich besitze eine Daylight-Lizenz sowie Baselight Look und verlasse mich stark auf FilmLight Truelight Colour Spaces und auf bestimmte Werkzeuge im Baselight-Toolset. Mit Daylight habe ich den vollen Funktionsumfang von Baselight und kann Looks und Setups erstellen, die ich kompromisslos auf das komplette Baselight-System übertragen kann. Baselight Look hat zwar einige Einschränkungen, erlaubt mir aber, mit Compositing-Effekten auf der Timeline herumzuspielen.
Für andere Grading-Systeme erstelle ich 64×64-Würfel meiner Looks auf Projektbasis. Und wenn ich Zugang zu einem HDR-Monitor der Klasse 1 benötige, wende ich mich normalerweise an die Postproduktionshäuser, mit denen ich zusammenarbeite.
Ich bin es gewohnt, zu Hause zu arbeiten und Projekte unterwegs vorzubereiten, und das ist mein systemunabhängiger Workaround.
Was gefällt Ihnen an der Arbeit als freiberuflicher Colorist und was nicht?
Als Freiberufler arbeite ich in einer Vielzahl von Postproduktionshäusern, treffe viele talentierte Leute und erlebe alle Arten von Arbeitsabläufen. Es ist großartig, eine neue Perspektive auf die Dinge zu erhalten, und ich lerne gerne dazu. Und natürlich kann ich auch selbst entscheiden, wie viel ich arbeite.
Die Kehrseite der Medaille ist natürlich die Abwesenheit von meinem Zuhause und meinen Kindern, das Leben im Hotel und die Tatsache, dass ich gelegentlich Kunden hinterherlaufen muss, damit sie auch ihre Rechnungen bezahlen. Ich vermisse auch die Möglichkeit, jederzeit an einem Blackboard 2 vor einem Klasse-1-Monitor oder in einem Kino zu sitzen, wann immer ich das will — das war natürlich viel einfacher, als ich noch als Leiter einer Bildabteilung angestellt war.
Was steht bei Ihnen als nächstes an?
Ich schließe gerade eine große Netflix-Show ab und fahre dann mit meinen Kindern in den Urlaub. Wenn ich zurückkomme, habe ich ein paar Spielfilmprojekte und einen großen Serienauftrag in der Pipeline.