Kommentar, Top-Story: 16.11.2003

Falscher Stolz

Es gibt eine seltsame Art von Selbstverständnis, mit der sich überraschend viele Zeitgenossen brüsten, die in der Film- und Fernsehbranche arbeiten: offen zur Schau getragene Unkenntnis. Da gibt es Leute, die schon seit Jahren in diesem Metier unterwegs sind, aber damit kokettieren, keine Ahnung von der Technik zu haben.

Dahinter steckt natürlich oft Kalkül, die Hoffnung, der Gesprächspartner möge automatisch den Umkehrschluss ziehen: »Hat keine Ahnung von Technik, beschäftigt sich also nicht mit den niedrigen Dingen des täglichen Lebens, muss also Feingeist, Kreativer und Künstler sein.«

Was ist das bloß für eine Logik: Seit wann ist die Unkenntnis in einer Sache ein Beweis dafür, das man von anderen Dingen mehr versteht? So einfach ist es nicht, denn technische Inkompetenz und Ignoranz dürften wohl kaum als Grundqualifikationen für irgend einen Arbeitsbereich ausreichen.

Über die angeblich dummen Pisa-Versager der nachwachsenden Generationen die Nase rümpfen, aber mit Stolz auf eigene erkenntnisfreie Zonen verweisen: Was bleibt dem Beobachter da noch übrig, außer heftigem Kopfschütteln?

»Aber der gute Gestalter, Regisseur, Redakteur oder Moderator muss sich doch gar nicht mit der Technik auskennen, so lange er in seinem Bereich gute Arbeit leistet,« lautet der absolut berechtigte Einwand. Stimmt, und kein Mensch verlangt, dass jeder sich intensiv mit Technik beschäftigen müsse. Aber ein Grundinteresse für das Vehikel, auf dessen Rücken man sich beruflich fortbewegt, das darf man ganz sicher von all denen verlangen, die bei technischen Entscheidungen mitreden (wollen).

So ist es eine Sache, wenn einer der Top-TV-Reporter eines deutschen Senders bis vor wenigen Monaten glaubte, das Drehen auf Digital Betacam sei gleichbedeutend mit dem Drehen in 16:9, was ihm wiederum gar nicht zusagt. Eine andere Sache ist es, wenn er deshalb darauf besteht, lieber mit Betacam SP los zu ziehen und auch der Kameramann und die Produktion es nicht wagen, dem Großmeister zu widersprechen. Eigentlich schon schlimm genug. Aber eine weitere Dimension ist dann erreicht, wenn so ein Mensch von oben herab zum Besten gibt: »Die ganze Technik interessiert mich null. Das ist für mich im Grunde gar nicht wichtig und nur ein notwendiges Übel.«

Sollte man stolz darauf sein, keine Ahnung von den Werkzeugen und Verfahren zu haben, die erst die eigene Arbeit ermöglichen? Ein guter Architekt muss ganz sicher nicht mauern können, aber wenn er keine Ahnung von Baustoffen und modernen Baumethoden hat, wird er sich zweifellos sehr schwer tun, Neues und Innovatives umzusetzen, selbst wenn er noch so viele Ideen hat. Und wenn der Bauherr am Ende in einem schlecht isolierten Haus sitzt, ist ihm nicht geholfen, wenn der Architekt pauschal über angeblich miserable Baustoffe und vermeintlich unfähige Handwerker schimpft. Sollten schließlich die Aufträge ausbleiben, sind natürlich die engstirnigen Bauherren Schuld.

Man kann es sich schon einfach machen. Muss man aber nicht.

Sie werden sehen.

Autor
C. Gebhard, G. Voigt-Müller
Schlagwortsuche nach diesen Begriffen
Kommentar, Top-Story