Editorial, Kommentar, Top-Story: 08.06.2005

Schleichender Verfall

Der Evangelische Pressedienst (EPD) hat mit bewundernswerter Ausdauer unter erschwerten Bedingungen über Jahre recherchiert, dass im Vorabendprogramm der ARD bezahlte Schleichwerbung stattgefunden hat: Bei Produktionsfirmen, die zur Bavaria Film gehören, kaufte eine Agentur verdeckte Werbung für Verbände und Unternehmen, die in Serien integriert wurde.

Der nebenstehende Kommentar hat schon etliche Jahre auf dem Buckel, wie die Datumszeile zeigt. Möglicherweise stimmen Bezüge nicht mehr und vielleicht wurde der Inhalt schon von der Realität überholt — aber möglicherweise auch nicht.

So weit, so skandalös. Der investigative Scoop des EPD sorgt aber bei weitem nicht für das Maß an Empörung, das man erwarten könnte: Das Echo in der Tagespresse blieb bislang ziemlich verhalten. Die Redakteure dort haben derzeit zweifellos zahlreiche, noch spannendere Themen zur Auswahl und vielleicht gehen sie auch einfach davon aus, dass ihre Leser derzeit von anderen Sorgen geplagt werden.

Außerdem fürchten manche offenbar auch den Backlash: Wer selbst die Schleichwerbung bei der ARD geißelt, aber die eigene Publikation mit PR-Geschichten füllt und Koppeldeals zwischen redaktionellem Inhalt und Anzeigenschaltung realisiert, der könnte seine Leser auf ungeliebte Weise für dieses Thema sensibilisieren und Widerspruch provozieren.

Es gibt dabei aber einen ganz entscheidenden Unterschied: die Gebührenfinanzierung der ARD. Sie ist der Grund, weshalb hier ein ganz besonders strenger Maßstab angelegt werden muss, weshalb die Empörung eigentlich gar nicht groß genug sein kann. Dass die vom EPD aufgedeckte Angelegenheit nur eine relativ flache Welle verursacht hat, liegt aber eben auch an einer gewissen Abstumpfung: Wer an die ZDF-Dauerwerbesendung »Wetten dass« mit penetrantem Product-Placement denkt, der findet die Schleichwerbung in »Marienhof« wahrscheinlich auch nicht schlimmer.

Entsprechend sah man sich bei der Bavaria und der ARD auch lediglich zu müden Pressemitteilungen genötigt, die summieren, dass alles weit zurückliege und nun abgestellt sei.

Der Ruf nach klarer Trennung von Werbung und Gebührenfinanzierung liegt in diesem Fall nahe. Aber würde er wirklich das gewünschte Ziel erreichen? Oder provozierte der Wegfall von klar als Werbung gekennzeichneten Inseln im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht noch mehr Versuche, Themen und Produkte anderweitig ins Programm zu bekommen? Vielleicht kann der aktuelle Vorfall zumindest die Diskussion darüber weiter in Gang bringen, welche Art von öffentlich-rechtlichem Fernsehen wir in Deutschland haben wollen, welche verordnet und welche verabreicht wird.

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