Branche, Top-Story: 03.08.2006

Michael Ballhaus: Digitale Medien lieben lernen

Im Interview mit www.film-tv-video.de spricht DoP Michael Ballhaus über seine Arbeit und seine Haltung zu HD und digitalen Medien. (Eine druckoptimierte PDF-Version dieses Artikels steht am Artikelende zum Download bereit, Größe: 3 Din-A4-Seiten, 310 kB.)

Michael Ballhaus ist der mit Abstand bekannteste deutsche DoP — ihn kennen auch viele Menschen, denen die Namen anderer Kameraleute nicht geläufig sind.

Ballhaus wurde für seine Arbeit schon vielfach geehrt und ausgezeichnet, so auch während der Berlinale im Jahr 2006, wo er einen Goldenen Bären für sein bisheriges Lebenswerk erhielt und mit Vorführungen früherer Werke geehrt wurde.

Auf die Wiedergabe seiner umfassenden Filmografie oder eine Auflistung seines beruflichen Werdegangs soll hier verzichtet werden: Das würde jeden vernünftigen Rahmen sprengen und beides ist zudem einfach über die gängigen Filmportale abrufbar. www.film-tv-video.de sprach mit Michael Ballhaus über seine Arbeit und seine Haltung zu HD und digitalen Medien — am Rande der Veranstaltung »Digitale Cinematographie«, wo er auf Einladung von Band Pro unter anderem an einem Werkstattgespräch und einem Panel teilnahm.

Wie wird man der mit Abstand bekannteste deutsche DoP?

Michael Ballhaus: Das schafft man, in dem man arbeitet, sehr viel arbeitet und sehr viel Spaß daran hat. In dem man seinen Beruf unendlich liebt und jede neue Begegnung mit einem Regisseur als einen Glücksmoment empfindet. Und dadurch, dass man das Glück hat, dass man auch wunderbare Regisseure getroffen und sehr schöne Stoffe angeboten bekommen hat. Es ist also kein Geheimnis dabei: Es ist ein bisschen Glück und die große Freude an diesem Beruf.

Muss man Deutschland verlassen, um das zu erreichen?

Michael Ballhaus: Ja — um Filme in der Größenordnung zu machen, wie ich das in den letzten 25 Jahren getan habe schon. Man kann halt in Deutschland keine Filme produzieren, die 100 Millionen Dollar kosten — und von denen hab ich ein paar als Kameramann gemacht. Das ist eben in Deutschland nicht möglich, weil wir halt den Markt nicht haben. Von der Kapazität der Künstler wären solche Filme auch in Deutschland möglich — es liegt einfach nur an der Größe des Marktes.

Sie haben sich neben ihrer Arbeit mit Film auch schon früh mit HD und anderen digitalen Videoformaten befasst und diese bei kleineren Projekten auch eingesetzt. Was war der Grund dafür?

Michael Ballhaus: Ich habe noch keinen Spielfilm auf HD oder einem anderen digitalen Medium gedreht — bisher waren meine Filme alle auf Film.

Aber mich hat HD und die Digitaltechnik sehr interessiert, auch aus dem Grund, weil ich viel unterrichte — so wie ich das etwa vier Jahre lang in Hamburg getan habe. Die digitalen Medien sind die Zukunft der Kameraleute heute, sie müssen sich mit dieser Technik beschäftigen. Die müssen sie erlernen und auch lieben lernen.

Deshalb habe ich mich damit beschäftigt, weil ich wissen wollte: Wo geht der Weg hin? Das war meine Motivation, mich mit diesem Medium auseinanderzusetzen.

Haben Sie Verständnis dafür, dass manche Ihrer Berufskollegen hier größere Berührungsängste haben?

Michael Ballhaus: Ja, durchaus, durchaus — ich habe dafür großes Verständnis. Ich selbst war noch nie in der Lage, dass ich einen Spielfilm mit digitaler Technik drehen musste. Wenn dieser Fall eintreten würde, hätte ich vielleicht nicht ganz so große Berührungsängste, weil ich ja schon Erfahrungen bei kürzeren Projekten gesammelt habe, aber trotz allem kann ich das sehr gut verstehen. Nach wie vor sagen diese Kollegen ja auch zu recht, dass Film etwas ist, was man kennt, weiß wie gut es ist und man manchmal eben nicht einsieht, warum man dieses Medium verlassen sollte.

Ist die Technik aus Ihrer Sicht für die eigentliche Arbeit eines DoP überhaupt wichtig? Geht es dabei im Grunde nicht um etwas, was von der Aufnahmetechnik losgelöst ist?

Michael Ballhaus: Das ist völlig richtig. Ich selbst bin kein sehr technischer Kameramann. Im Gegenteil: Ich überlasse eigentlich die Technik meinen Mitarbeitern, meinem Operator. Und wenn irgendwas mit der Kamera nicht in Ordnung ist, dann laufe ich schnell weg. Ich fühle mich als ein Gestalter der Bilder, das heißt der Komposition, des Lichtes.

Letzten Endes ist die Technik nicht ganz unwichtig: Bei einer Filmkamera und bei Film, da weiß ich was dabei raus kommt, weil ich weiß, wie Film reagiert, wie der Film-Stock von Kodak reagiert. Ich weiß wie meine Kameras reagieren. Deshalb bin ich da sehr sicher. Wenn ich jetzt mit einem digitalen Medium einen Spielfilm drehen müsste, müsste ich da erst Erfahrung sammeln. Daher rühren eben auch die vorher angesprochenen Berührungsängste.

Hat die eingesetzte Technik auch Rückwirkungen auf die gestalterische Seite? Erlebt man das vielleicht auch als Limitation?

Michael Ballhaus: Meiner Erfahrung nach nimmt die Technik einen größeren Raum ein, wenn man mit digitalen Medien arbeitet. Das ist eigentlich nicht gut für die Arbeit — ich finde, dass die Technik etwas Untergeordnetes sein muss und dass sie selbstverständlich sein muss. Wenn da Probleme auftauchen oder wenn da zu viel Technik ins Spiel kommt, dann hindert das nur die künstlerische Arbeit.

Würden Sie sagen, dass es Sujets oder einzelne Drehbücher gibt, die eindeutig nach dem einen oder anderen Medium verlangen?

Michael Ballhaus: Das würde ich auch so sehen, unbedingt. Es gibt Stoffe, die kann man heute wirklich ausgezeichnet mit der digitalen Technik drehen. Das ist ein bisschen eine andere Art von Bildern, die da entstehen — und für bestimmte Geschichten ist das ein guter neuer Look. Das bestreite ich überhaupt nicht — es gibt aber eben auch bestimmte Stoffe, für die sich diese Technik nicht eignet. Da gilt es halt vorsichtig auszuwählen: Für den einen Stoff ist es richtig und für den anderen vielleicht nicht.

Wird es mit den Möglichkeiten der Postproduction und des DI-Prozesses in Zukunft überhaupt noch eine Rolle spielen, ob am Anfang Film, Video oder Daten standen?

Michael Ballhaus: Die Frage ist, wie intensiv die Bilder überhaupt bearbeitet werden müssen. Ein Beispiel: Ich habe mit Martin Scorcese den Film »Gangs of New York« gedreht. Da stellte sich die Frage, ob wir das als Digital Intermediate machen und ich sagte: Nein, wir brauchen das nicht, denn wir haben ein sehr gutes Material. Da hatten wir die Möglichkeit, alles zu bestimmen, denn es wurde alles in Cinecitta in Italien gebaut, wir brauchten also die Möglichkeiten des DI gar nicht und haben es dann eben auch nicht gemacht.

Bei »The Departed«, dem neuen Film, den ich mit Martin Scorcese gemacht habe, werden wir dagegen DI einsetzen. Aber wir werden dabei nicht so intensiv eingreifen, wie das vielleicht möglich wäre: Wir werden manche Dinge im Farbton, in der Gradation, in der Farbsättigung ein bisschen ändern. All das kann man eben einfach machen, bestimmte Dinge, die man während des Drehens beim Film selber eben nicht so einfach machen kann — dafür ist es auch sehr gut.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Vor- und Nachteile beim Arbeiten mit HD oder 2K?

Michael Ballhaus: Aus der Sicht des Kameramanns, da weiß ich nicht, ob es da sehr viele Vorteile gibt. Die Vorteile liegen wirklich mehr bei der Produktion, sie liegen teilweise auf der finanziellen Seite: Dass es billiger sein kann und meistens auch ist.

Für den Kameramann bedeutet es, sich mit einem neuen Medium zu beschäftigen, die Möglichkeiten, die das Medium bietet, auszunutzen. Aber die Arbeit ist dann mehr oder weniger dieselbe. Für einen Kameramann spielt es letztlich keine Rolle, ob der Regisseur drei Takes macht oder 20 — das ist für den Regisseur und die Produktion wichtig, aber nicht für den Kameramann.

Am Set schon ein großes Bild in hoher Qualität sehen zu können, ist das wichtig, sinnvoll, erstrebenswert?

Michael Ballhaus: Ich finde es nicht störend, aber ich finde es auch nicht so wichtig. Ich habe ja heute bei den Filmkameras eine sehr schöne Ausspiegelung auf einem Farbmonitor, der groß genug ist um ein Bild sehr gut beurteilen zu können. Aber ich brauche gar nicht unbedingt einen großen Monitor, auf dem ich schon das »endgültige« Bild sehen kann, denn ich habe genug Erfahrung um zu wissen, wie das Bild dann auf der Leinwand aussehen wird. Außerdem sehe ich ja noch Muster in der Projektion und dann weiß ich ganz genau wie’s aussieht. Also für mich spielt der Monitor am Set keine so große Rolle.

Verlagert die Digitaltechnik nicht auch — quasi automatisch — immer mehr Elemente der Bildgestaltung in die Postproduction? Wie sollte man als Kameramann damit umgehen?

Michael Ballhaus: Ich kann nur sagen, wie ich damit umgehe: Ich halte nicht sehr viel davon, dass man das alles in der Postproduction macht. Ich mag diesen einen Spruch gar nicht: »Fix it in the post«. Das ist nicht mein Arbeitsprinzip. Ich möchte, dass der Film so aussieht, wie ich ihn aussehen lassen möchte, während ich drehe — nicht so, wie man sich das hinterher ausdenkt. Dass man später dann kleine Veränderungen vornimmt oder spezielle Dinge einfügt, die man mit dem Film so nicht machen kann, das ist eine andere Geschichte.

In welchem Film sehen Sie selbst den bisherigen Höhepunkt Ihres Schaffens?

Michael Ballhaus: Nachdem ich »The Departed« gesehen habe, den noch nicht ganz fertiggestellten, jüngsten Film den ich mit Scorcese gemacht habe, muss ich sagen, dass ich darin einen gewissen Höhepunkt sehe — aus verschiedenen Gründen.

Das ist eine sehr, sehr starke, tolle Geschichte, ein spannender Psycho-Krimi mit den besten Schauspielern in Amerika, mit dem besten Regisseur. Und das Resultat, das ich bisher gesehen habe — ich muss das DI noch machen — das ist so gut, dass ich glaube, das ist schon ein gewisser Höhepunkt.

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